Mensch, Peer!

Alltagskommentar Spätestens seit Gertrud Steinbrück beim Parteikonvent gemeinsam mit ihrem Mann auftrat, menschelt Politik wieder. Aber wollen wir das wirklich?
Ausgabe 25/2013

Seit einigen Wochen schon war er seltsam. Sprach wenig. Anders als gewohnt beließ er es nicht dabei, sondern erging sich in Andeutungen. Eines Tages schließlich klingelte bei ihr das Telefon. Ganz entgegen ihrer Gewohnheiten stand sie gerade am Herd und zauberte sich eine kleine norddeutsche Mittagsköstlichkeit. Oder so was Ähnliches. Sie runzelte die Stirn und meldete sich mit einem freundlichen, aber bestimmten: „Ja, hallo?“

Er: „Hallo, ich bin’s.“

Sie: „Ah, hallo, was gibt’s?“

Er: „Halt dich fest, es ist was passiert!“

Es ist nicht überliefert, ob sie sich kurz auf ihren etwas aus der Mode geratenen Rattan-Sessel niederließ und durchatmete, oder ob sie eine laute Antwort parat hatte. Fest steht jedoch ihr Bekenntnis, dass sie „erschüttert“ war, als er sie über eine Entscheidung und die bevorstehende Veränderung ihrer beider Leben in Kenntnis setzte.

Er macht trotzdem, vielleicht auch gerade deshalb sein Ding. Lässt sich von seiner Frau den Rücken stärken und das, obwohl er sie mit seinem Alleingang verletzt haben muss. Vielleicht auch gerade deshalb. Am Ende zittern ihm die Hände, tränen die Augen und versagt die Stimme.

Szene einer Ehe

Paartherapeuten dürfte diese Szene einer deutschen Ehe sehr bekannt vorkommen. Auch unverheirateten Paaren ist sie vermeintlich nicht fremd. Aber wie geht es wohl den Wählern und Wählerinnen mit diesem Einblick in den deutschen Beziehungsalltag eines SPD-Kanzlerkandidaten?

Die meisten schütteln nicht nur den Kopf, sondern den ganzen Körper, als wollten sie das leise Gefühl der Fremdscham abschütteln, das sie soeben erfasst hat. Denn das größte Missverständnis lautet auch in diesem Wahlkampf: menscheln. Die Leute wollen doch Leute wie dich und mich wählen, heißt es da gerne. Sie wollen mit Geschichten gefüttert werden aus deren Alltag, damit sie sich nicht so klein und bedeutungslos fühlen.

Was für ein Quatsch.

Die meisten Leute wollen Leute wählen, die auch ihre Familie mit eiserner Hand managen und mit ihr showreif auf Staatsbesuch gehen, wie es Barack Obama eben wieder vollbrachte. Sie wollen einen Machtmann, der selbst im traditionellsten Russland nach 30 Jahren Ehe seine Frau rauswirft.

Sie wollen Tränen, wenn Kinder erschossen werden oder Häuser überflutet oder das Blasorchester der Bundeswehr bei der Verabschiedung aufspielt. Aber doch nicht, wenn sich die Ehefrau beklagt, weil niemand das Engagement ihres Kandidaten-Mannes würdigen will, der dabei ist zu verlieren. Mensch, Peer!

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

Susanne Lang

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden