Untergang des konservativen Familienidylls

Moderne Norbert Blüm schreibt in der Süddeutschen Zeitung über die "Familie am Ende". Angesichts der politischen Umstände liest sich der Text wie eine unfreiwillige Grabrede
Ausgabe 19/2013

Norbert Blüm gelesen. Und nein, nicht geweint. Ganz im Gegenteil! Gelächelt. Da gelingt dem konservativen Urgestein, wie man bei Männern von Blüms Kaliber zu sagen pflegt, auf seine späten Jahre doch eine messerscharfe Analyse: „Familie am Ende“, so lautet sein aktuellster Befund. Und was soll man sagen: Recht hat der 78-jährige Veteran des sozialen christdemokratischen Flügels! Das müssen nun sogar die CSU und Teile der SPD im bayerischen Homeland der Familienidylle öffentlich eingestehen.

Selbstverständlich lag und liegt es einem wie Blüm fern, die Familie aufgrund unhaltbarer Vetternwirtschaft zu beerdigen. In seinem Gastbeitrag in der Süddeutschen Zeitung zu Wochenbeginn fährt er nochmals alle Geschütze auf, um das konservative Familienbild gegen die zerstörerischen und emanzipatorischen Kräfte der Postmoderne zu verteidigen. Es liest sich unter den aktuellen politischen Umständen leider nur wie eine unfreiwillige Grabrede.

Denn die Familie, wie sie hartnäckige Traditionalisten definieren, besteht aus Abhängigkeiten und hat einen tieferen ökonomischen Sinn: Nachwuchs und sonstiges Vermögen generieren. In guten wie in schlechten Zeiten. Daher beklagt ein Blüm, dass bei Ich-AGs keine vergemeinschafteten Einkommen mehr vorgesehen seien. Schlimmer noch, dass uneigennützige Partner bei einer Scheidung heute die Dummen seien: „Für die Ehefrau, die aus ehelicher Uneigennützigkeit zum Beispiel dem Mann das Studium bezahlte, mit dessen Hilfe sich dieser später ein Spitzeneinkommen verschaffte, bleibt nach der Trennung ein ‚Vergelt’s Gott‘ als überirdischer Trost.“

Vielleicht sollte Norbert Blüm eine nahestehende Person des Vertrauens darauf hinweisen, dass jene Ehefrau auch im Falle der Nicht-Trennung die Dumme ist. Sogar für den bayerischen Sonderfall, dass der Ehemann in seiner Spitzenposition seine treue Gemahlin als Dank in seinem Büro als Facebook-Kraft und seinen Schwiegervater als Facilitymanager anheuert.

Rechtlich war es lange auch kein Problem, seine Ehefrau, seine Kinder, Nichten, Enkel und sonstigen Anhang durchaus auch auf Staatskosten zu beschäftigen. Wie die meisten Berichte über die jüngsten Ausläufer der Vetternwirtschaft alle betonten, handelt es sich bei dem Prozedere aber um ein „moralisches“ Vergehen. Der allgemeine Konsens darüber, selbst in Bayern, ist neu.

Im Unterschied zum konservativen Familienbild geht das zeitgemäße nicht davon aus, dass Vati verheiratet mit Mutti der Kern einer ökonomischen Einheit Familie sein müsse. Daraus folgt nicht zwangsweise, dass moderne Familien per se auf Zeit ausgelegt sind. Ihre Mitglieder haben im Falle einer Trennung nur andere und für alle Beteiligten bessere Umgangsformen gefunden. Ermöglicht wird dies auch durch die wirtschaftliche Unabhängigkeit beider Partner. Sie ist nicht vorgeschrieben, aber erwünscht.

Im besten Falle führt dies dazu, dass die Frau nicht mehr auf einen 800-Euro-Job beim Mann angewiesen ist, sondern ihre eigenen Wege geht. Dass im aktuellen Skandal auch Frauen ihre Männer gesponsert hatten, macht das Modell nun wahrlich nicht progressiver.

Die modernisierte Familie ist nach Niklas Luhmann ein eigenes System, das in einem Geflecht aus persönlichen Beziehungen das Bedürfnis nach Liebe erfüllt. Alles andere, von beruflichem Werdegang bis Sex, lassen sich in unpersönlichen Beziehungen sicherstellen. Das mag das Familienleben komplizierter machen. Aber es ermöglicht eines.

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Geschrieben von

Susanne Lang

Freie Redakteurin und Autorin.Zuvor Besondere Aufgaben/Ressortleitung Alltag beim Freitag

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