Die Routine der Segregation

Apartheid Eine Ausstellung im Münchener Haus der Kunst zeigt, wie die Fotografie in Südafrika den Alltagsrassismus dokumentierte. Und das Bild der schwarzen Bürger veränderte
"Nanny and child", Johannesburgo, 1956
"Nanny and child", Johannesburgo, 1956

Foto: Peter Magubane. (Mit freundlicher Genehmigung: Haus der Kunst)

Frauen in förmlicher Kleidung und Stöckelschuhen stehen still nebeneinander. Ihre Haarschnitt ist akkurat, einige tragen Hüte. Sie halten Plakate hoch, auf denen mit tadelloser Kalligraphie steht: „Wir protestieren gegen den Entzug der grundlegenden Menschenrechte"; „Jetzt legal, aber für immer unmoralisch“. Alle tragen eine schwarze Schärpe am Oberkörper. Alle haben weiße Haut.

Die Frauen aus der Oberschicht, die in den 1950er Jahren die Bewegung "Black Sash" (Schwarze Schärpe) gründeten, um gegen die Apartheid in Südafrika zu protestieren, sind eine der verschiedenen Gruppen, die ab 1948 den Widerstand gegen Rassentrennung formten – vom zivilen Ungehorsam zum bewaffneten Konflikt. Zusammen mit diesen Gruppen entwickelten die südafrikanischen Fotografen einen neuen Blick auf ihr Land, das traditionellerweise durch die Siedler repräsentiert worden war.

Die Geschichte dieses Kampfes und die Geschichte der südafrikanischen Fotografie sind untrennbar miteinander verknüpft. Das zeigt die Ausstellung Aufstieg und Fall der Apartheid, bis 26.05. im Haus der Kunst in München. Auf zweitausend Quadratmeter zeigen mehr als 600 Fotos, Filme und Solides die Zeit ab Beginn der Apartheid bis zu Nelson Mandelas Entlassung aus dem Gefängnis 1990 und seiner Wahl zum Präsidenten 1994. Die meisten Werke sind von südafrikanischen Fotografen und Künstlern. „Wir haben eine Prämisse: Was wir heute als südafrikanische Fotografie kennen, ist im Jahre 1948 entstanden. Vor dieser Zeit gab es eine anthropologische Darstellung der Südafrikaner. Die Fotografie nach der Apartheid musste erst das Bild des schwarzen Bürgers erfinden“, sagt Kunsthistoriker Okwui Enwezor, Direktor des Museums und Kurator der Ausstellung mit Rory Bester.

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Jean Sinclair, Gründungsmitglied der Black Sash-Gruppe, demonstriert in der Jan Smuts Ave in Johannesburg, 30. Mai 1985. Foto: Gille de Vlieg

Dazu hielten die südafrikanischen Fotografen in ihren Bildern nicht nur die Protestbewegungen fest, sondern auch die durch die Gesetzgebung in Kraft gesetzten Routinen, die die Staatsbürgerschaft der Schwarzen im Land abschafften. In den ersten Jahren der Apartheid wurden die Ehe zwischen Schwarzen und Weißen verboten. Aus der Unterscheidung und Trennung nach Hautfarben in white, black und coloured – so die damaligen Bezeichnungen – in den Städten stammt die wörtliche Bedeutung des Begriffs Apartheid: aus dem Niederländischen: getrennt (apart) und Stadtviertel (heid). Obwohl es Rassentrennung in der Kolonialzeit immer gab, förderte das System der Apartheid neuen Raum für soziale Spannungen und Widerstand, die eine neue Fotografie in Südafrika antrieb.

Einer der wichtigsten Fotografen dieser Zeit, Ernest Cole, musste sich eine neue Identität kreieren. Er schaffte es, als coloured klassifiziert werden, um durch die Straßen gehen zu können, wo Schwarze einen Pass brauchten. Seine Fotos spiegeln wieder, was der Kurator "petit apartheid" nennt: die alltäglichen Rassentrennungsregeln, die städtischen Zeichen und Schilder, welche bestimmten, wer sich auf die Bank setzen oder die öffentliche Verkehrsmittel und Toiletten benutzen durfte. Peter Magubane ist ein weiterer prominenter Fotograf des Alltagslebens in den Zeiten der Apartheid. Eines seiner emblematischen Fotos porträtiert ein Mädchen auf einer Bank, auf der "Europeans only" geschrieben steht. Auf der andere Seite des Bank – der Seite für Schwarze – sitzt ihre Kinderfrau und liebkost sie.

Diese Fotos erinnern an die Zeit der Jim-Crow-Gesetze in den USA, welche weniger bekannt sind, weil die Medien in erster Linie über die Gewalt berichteten. „Dieser Fokus der Medien hat andere Elemente der Apartheid verborgen“, sagt Enwezor, der der Ausstellung den Untertitlel Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens gab. „Obwohl es immer Widerstand gab, wurden der politische Wille mit einer Art Alltags-Normalisierung gedeckelt. Nur so konnte die Apartheid funktionieren.“

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Pauline Moloise (Mutter von Ben Moloise), zwei weitere Frauen und Winnie Madikizela Mandela trauern bei der Gedenkfeier für Benjamin Moloise, der an diesem Morgen durch den Strang hingerichtet worden war, Khotso House, Johannesburg, 18.10.1985. Foto: Gille de Vlieg

Trotz des Untertitels widmet sich ein großer Teil der Ausstellung Fotos von verschiedenen Protestbewegungen, z.B. den Demonstrationen, dessen Symbol erhobene Daumen waren. Das diskrete Zeichen wurde danach durch aufgerichtete Fäuste ersetzt, als die Bewegungen agressiver wurden. Das geschah nach dem Massaker von Sharpeville, der Erschießung von 69 Demonstranten während eines Protests wegen des Passes für Schwarze im Jahr 1960; und nach 1976, als vier Studenten in einer Demonstration in Soweto ermordet wurden. Während einige Bewegungen sich veränderten, behielten andere die gleiche Strategie bis zum Ende der Apartheid bei, wie die Black-Sash-Gruppe, die sich die Sprache des Systems aneignete und die moderne Typographie der städtischen Segregationsymbole benutzte.

Im Text des Kataloges der Ausstellung identifiziert Enwezor zwei Ansätze im Werk der südafrikanischen Fotografen: Fotografie als Mittel für politische Veränderung oder als Mittel der sozialen Analyse. Der Kurator erkennt trotzdem, dass auch Fotografen wie David Goldblatt, der Fotos mit einem hohen Abstraktionsgrad machte, eine starke Kritik übten. Goldblatts Fotos symbolisieren Situationen der Absonderung und des Verlassenseins und beeinflussten junge Fotografen wie Thabiso Sekgala und Sabelo Mlangeni, deren Fotos aus den Jahren 2010 bis 1012 auch einen Platz in der Ausstellung haben. Mit einem distanzierte Blick auf kleine Städte bilden diese Fotos einen Epilog über den Aufnahme des historischen und photographischen Erbes der nachfolgenden Generationen.

Am Ende fasst ein Spruchband den langen Kampf gegen Apartheid zusammen, welcher trotz seiner Unterdrückung immer aktiv blieb, wie man in der umfangreichen Ausstellung erfahren kann. Anhand eines Fotos während eines Protests 1985, bei dem 25 Leute ermordeten wurden, wurde das Spruchband vom Center of Historical Reenactments in Johannesburg reproduziert. Darauf steht: „They will never kill us all“.

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Geschrieben von

Suzana Velasco

Journalistin aus Brasilien

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