Zuerst nannte er den Genfer Aktionsplan zum iranischen Atomprogramm schlecht. Dann sehr schlecht, bald außerordentlich schlecht. Schließlich sprach er von einem „historischen Fehler“, der Gefahren für den Weltfrieden heraufbeschwöre. Damit hatte Benjamin (Bibi) Netanjahus Rhetorik ihren Höhepunkt erreicht. Es ging Israels Premier nicht etwa um Einzelheiten der Flurdiplomatie im Genfer Intercontinental. Für ihn steckt der Teufel nicht im Detail, sondern im großen Ganzen. Netanjahu droht das wichtigste Projekt seiner Amtszeit zu verlieren: Teheran zur Aufgabe seiner Nuklearvorhaben zu zwingen. Er hat die Bedrohung, die vom Iran ausgeht, mit dem Aufstieg der Nazis nach 1930 verglichen und gewarnt, die Fehler von damals zu wiederholen. Man mü
52;sse „mit allen gebotenen Mitteln“ einschreiten.Eine Zeitlang sah es so aus, als sei ein israelischer Militärschlag – mit oder ohne Amerikaner – nur eine Frage der Zeit. Inzwischen ist die Mehrheit der Weltgemeinschaft entschlossen, den Atomstreit diplomatisch beizulegen. Was bedeutet das für Bibi, dessen Verlangen, „keine Kompromisse“ einzugehen, nicht beachtet wurde? „Genf hat ihn politisch geschwächt“, sagt Gil Hoffman, Kolumnist der Jerusalem Post. „König Bibi, wie man ihn kennt, sieht im Moment gar nicht mehr wie ein König aus.“ Avraham Diskin, Politik-Professor an der Hebräischen Universität, ist anderer Auffassung, eigentlich sei Netanjahu nicht wirklich geschwächt. „Seine prinzipielle Haltung stößt in Israel weiter auf Sympathie.“Die USA und EU sind darum bemüht, Netanjahu bei Laune zu halten. Erst wurde Simon Grass, britischer Chefunterhändler in Genf, nach Jerusalem entsandt, um das Agreement zu erklären. In dieser Woche will US-Außenminister John Kerry nachlegen, um mit Netanjahu über den Iran wie die Friedensgespräche mit den Palästinensern zu reden.Daniel Levy vom European Council for Foreign Relations sieht für Netanjahu drei Möglichkeiten: „Er kann die Iran-Vereinbarung annehmen, boykottieren oder untergraben. Er könnte natürlich ebenso die Atomanlagen bombardieren, wobei ich nicht ernsthaft glaube, dass er auf eigene Faust losschlägt. Oder er kann dafür sorgen, dass die Iran-Diplomatie doch noch scheitert. Ich schätze, wir bekommen genau das zu sehen.“So viel steht fest, nachdem er Genf als „Deal des Jahrhunderts“ zugunsten Teherans geächtet hat, kann Netanjahu das Ganze nicht plötzlich als Sieg für sich reklamieren. Auch wenn er darauf beharrt, dass Israel die militärische Variante nicht vom Tisch nimmt, ist die Wahrscheinlichkeit eines unilateralen Angriffs äußerst gering. Es bleibt als allein realistische Option, das Abkommen zu unterminieren, weiterhin eine unnachgiebige Rhetorik zu pflegen und verdeckte Operationen gegen iranische Ziele nicht auszuschließen.Die öffentliche Meinung in Israel scheint das zu goutieren, denn 58 bis 60 Prozent der Israelis glauben, das Arrangement von Genf stelle eine Gefahr für ihr Land dar, und unterstützen Netanjahus Hartleibigkeit. „Israelis gehen sich oft gegenseitig an die Gurgel. Wenn sie aber von einer existenziellen Gefahr ausgehen, rücken sie zusammen“, meint Matt Rees, Koautor von Psychobibi, einem Ebook über den Premier.„Es ist gar nicht so, dass Netanjahu in der Iran-Frage hervorragend agiert. Es fehlt einfach jemand, der ihm qualifiziert Paroli bietet“, meint Amit Segal, Chefkorrespondent beim israelischen Fernsehsender Channel Two. Der neue Oppositionsführer Isaac Herzog, der gerade an die Spitze der Arbeitspartei gewählt wurde, warf Netanjahu vor, beim Thema Iran „unnötige Panik“ zu schüren. Aber Netanjahus Iran-Politik generell in Frage zu stellen, das wagt Herzog nicht.Trotz dieses Rückhalts für den Premier treibt die ökonomische Malaise die Menschen mehr um als die Iran-Frage. Aber Bibi kann seinen Wählern in dieser Hinsicht nur wenig bieten, so dass er sich lieber Gehör verschafft, indem er permanent vor existenziellen Nöten warnt. Doch stellt seine Schwarzmalerei die Geduld der wichtigsten Verbündeten auf eine harte Probe. „Netanjahus Sturheit und die Versuche, sich in die US-Innenpolitik einzumischen, wirken deplatziert. Es gibt Stimmen in der US-Regierung, die sagen, man müsse einfach zusehen, wie man ihn umgehen könne. Und die gewinnen an Boden“, glaubt Gil Hoffman von der Jerusalem Post.John Kerry will Netanjahu nicht nur in der Iran-Frage überzeugen, sondern auch animieren, engagierter mit den Palästinensern zu verhandeln. Nach Genf ist das freilich höchst unwahrscheinlich. Bruce Riedel von der Washingtoner Brookings Institution hält die Friedensgespräche mit den Palästinensern für das große Opfer des Genfer Deals. Nach dem vorläufigen Konsens im Atomstreit dürfte es sehr schwer sein, Netanjahu zu bewegen, den Palästinensern entgegenzukommen.Andere halten das für übertrieben. Es gebe ohnehin keine Anzeichnen dafür, dass die Gespräche zu irgendeinem Ergebnis führen. „Wer behauptet, Genf lasse den Friedensprozess scheitern, der verkennt, wie festgefahren der ist“, sagt Levy. Netanjahu sehe „nur Bedrohungen, niemals Möglichkeiten. Genf untergräbt sein Selbstverständnis. Was wird nun aus meiner Amtszeit? – dürfte er sich fragen.“ Buchautor Matt Rees hat nicht den Eindruck, dass Netanjahus Glaube an seine historische Rolle gelitten hat. „Er sieht sich als Strategen und glaubt, dass nicht einmal die USA die Sicherheit Israels garantieren können. Dass er allein steht, wird ihn zunächst einmal stärken.“
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