Die 99,5 Prozent

We R no race Brasilien will als Gastland der Fußball WM 2014 und der Olympischen Spiele 2016 mit DNA-Tests ein Signal gegen Rassismus setzen. Der Sportminister hat den Anfang gemacht
Vorgeschmack auf die olympischen Spiele 2016 in Brasilien
Vorgeschmack auf die olympischen Spiele 2016 in Brasilien

Foto: Graham Stuart/ AFP/ Getty Images

Brasilien bereitet sich auf die Fußball WM 2014 und die Olympischen Spielen 2016 vor. Um der Welt das wahre Brasilien, jenseits von Karneval und Caipirinhas, näher zu bringen, unterstützt die Regierung eine Kampagne, die eine weltweite Diskussion über ethnische Zugehörigkeit und Rassismus anstoßen soll.

Die Kampagne "We R no race“(„Nós não temos raça“), bietet kostenlose DNA-Tests an, die veranschaulichen sollen, dass es nur ein Menschengeschlecht gibt. Die Kartierung des Genoms zeigt, dass Menschen genetisch zu 99,5 Prozent identisch sind und der Großteil genetischer Unterschiede zwischen Menschen auftreten, die in geografischer Nähe zueinander leben und weitaus weniger zwischen solchen, die geografisch getrennt sind. Kurz gesagt: Die Kategorie „Rasse“ entbehrt jeder genetischen Grundlage.

Im Rahmen des Projekts, das der brasilianische Genforscher Sérgio Pena leitet, hofft man alle an den anstehenden Sportwettbewerben teilnehmenden Athleten und Fußballer testen zu können. An der brasilianischen Botschaft in London läuft gerade ein Pilotprojekt, bei dem jeder einen kostenlosen DNA-Test durchführen lassen kann. Der brasilianische Sportminister Aldo Rebelo machte als erster mit.

In Brasilien konnte die Kampagne aufgrund von inneren und äußeren Faktoren hochrangige politische Unterstützung gewinnen. Die sozioökonomische Ungleichheit macht sich auch in diesem Land nach wie vor sehr stark an der der Hautfarbe fest. Global betrachtet offenbaren rassistische Vorfälle in Sportarenen, dass dieses Denken schwer aus der Welt zu bekommen ist.

Mit dem Gentest-Projekt will Brasilien nun die Debatte über die Kategorie Rasse auf internationaler Ebene wieder beleben, indem es die Vorstellung anficht, dass es – jenseits von sozialen Konstruktionen – Unterschiede zwischen Menschen gibt, die mit ihrer Zugehörigkeit zu so etwas wie einer Rasse zu erklären wären.

Die wissenschaftliche Existenz dieser Kategorie zu leugnen, bedeutet weder, abzustreiten, dass sie als soziales Konstrukt besteht, noch zu behaupten, der Rassismus hätte nicht ganz reale Auswirkungen. Vielmehr ist es der Versuch, den Rassismus zu bekämpfen, indem die ihm zugrunde liegende Annahme – dass es nämlich einen Unterscheid gebe – dekonstruiert wird.

Diese Position wird innerhalb der hoch politisierten und historischen Debatte kontrovers betrachtet. In Brasilien, den USA und Europa ist die ethnische Zugehörigkeit eine politisch relevante Kategorie, viele Menschen dort identifizieren sich nach wie vor darüber.

Die Sklaverei war in Brasilien brutal und dauerte offiziell bis 1888. Dennoch vermischten sich die drei wichtigsten Einwanderergruppen – Indianer, Europäer und Afrikaner – so sehr, dass eine Gesellschaft mit Menschen verschiedenster Pigmentierung entstand, in der der Zusammenhang zwischen Hauttönung und Abstammung nur äußerst schwach ist.

Am Sonntag übergab Großbritannien den olympischen Stab an Braslien, ein symbolischer Augenblick, der Anlass bietet, über die jüngst abgelaufenen und über die kommenden Spiele nachzudenken. Jetzt, wo Brasilien zu einer der stärksten Volkswirtschaften geworden ist, kann auch sein kultureller Einfluss nur zunehmen. Könnte Brasiliens Vision einen kulturellen Wandel in der Haltung zum Begriff der „Rasse“ bewirken? Wird vielleicht die bloße Vorstellung von „Rasse“ in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts vielleicht einmal nichts weiter sein als ein Anachronismus?

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Übersetzung: Zilla Hofman/Holger Hutt
Geschrieben von

Siân Herbert | The Guardian

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