Die rote Linie überschritten

Israel Neue Siedlungen, wie sie die Regierung Netanjahu plant, sollen Ostjerusalem von der Westbank trennen und einem Palästinenser-Staat definitiv die Hauptstadt nehmen
Mit der jetzigen Entscheidung sollen die Palästinenser für die „Frechheit“ bestraft werden, den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen beantragt zu haben
Mit der jetzigen Entscheidung sollen die Palästinenser für die „Frechheit“ bestraft werden, den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen beantragt zu haben

Foto: Menahem Kahana/AFP/Getty Images

Wer eine Zweistaatenlösung des israelisch-palästinensischen Konflikts unterstützt, fühlt sich immer mehr wie jemand, dem mit schweren Stiefeln auf die Finger getreten wird, während er sich am Rand einer Klippe festklammert. Am Montag waren es israelische Stiefel. Nachdem man es so dargestellt hatte, als hätten die EU-Regierungen Israels Plan, eine Siedlung zu bauen, die Ost-Jerusalem von der Westbank abspaltet, missverstanden, gelobte das Büro des israelischen Premiers, dieser Beschluss sei durch nichts zu ändern.

Gemessen daran, wie milde der Protest europäischer Diplomaten sonst ausfällt, war er diesmal von unbekannter Schärfe. Großbritannien, Frankreich, Schweden und Spanien bestellten jeweils den israelischen Botschafter ein, auch wenn keines der vier Länder konkrete Maßnahmen zur Maßregelung Israels ergriff. Sie hätten das tun sollen. Die Westbank-Siedlungen waren von Anfang an ein Zeichen des Opportunismus. Dabei tut es nichts zur Sache, ob es eine republikanische oder eine demokratische US-Außenministerin ist, die ihre Empörung bekundet. Condoleeza Rice sprach sich 2007 gegen den Bau von Har Homa aus. Fünf Jahre später ist vom „letzten Stein in der Stadtmauer Jerusalems“ die Rede, der niemals aufgegeben werden soll. Gleiches wird nun über das Gebiet E1 gesagt, das zwischen der Siedlung Ma'aleh Adumin – ebenfalls ein Akt der Besatzung – und Jerusalem liegt.

Stück für Stück

Laut Angaben der israelischen NGO B'Tselem datiert der Plan zur Bebauung von E1 aus dem Jahr 1999. Die US-Administration hat ihn von Anfang an verurteilt, weil eine solche Siedlung den palästinensischen Staat von seiner potenziellen Hauptstadt Ostjerusalem abschneidet. Wenn europäische Diplomaten den Plan als rote Linie bezeichnen, sollte es niemanden wundern, dass die nun überschritten wird. Das Puzzle der Siedlungsplanung ist bereits von vorherigen israelischen Regierungen Stück für Stück gelegt worden. Dabei bestand von Anfang an die Absicht, die Westbank gegen Ostjerusalem abzuriegeln.

Mit der jetzigen Entscheidung sollen die Palästinenser für die „Frechheit“ bestraft werden, den Beobachterstatus bei den Vereinten Nationen beantragt zu haben – einer Organisation, in der Israel Vollmitglied ist. Israel hatte gehofft, 20 bis 30 Länder bewegen zu können, gegen den palästinensischen Antrag zu stimmen. Als es dann soweit war, stimmten nur acht UN-Mitglieder – darunter vier winzige pazifische Inselstaaten – mit „Nein“. Statt die Palästinenser zu isolieren, zeigte die Abstimmung bei der UNO, wie viel Rückhalt Israel auf dem Kontinent verloren hat, den es am meisten schätzt – in Europa nämlich. Nur aus Tschechien kam Unterstützung.

Wenn die neuen Siedlungen eine Strafe für den Frevel sein sollen, vor die UNO gegangen zu sein, wie will dann Premier Netanyahu die Palästinenser davon überzeugen können, an den Verhandlungstisch zurückzukehren – nun, da er ihnen den Weg buchstäblich physisch versperren will? Hält er die Zweistaatenlösung lediglich für eine bequeme Fiktion. Soviel ist klar. Netanyahu kann weiter ungestraft handeln. Solange die USA ihre Beziehungen zu Israel nicht neu justieren und solange die israelische Staatsführung nicht spürt, dass sie für die Siedlungen einen Preis zu zahlen hat, wird der Plan einer Zweistaatenlösung ein Wunschtraum bleiben.

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Guardian-Editorial | The Guardian

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