Bernhard zum 25. Todesjahr- keine Epigonen?

Jubiläum Am 12.02.1989 starb mit Thomas Bernhard der letzte große deutschsprachige Autor. Den Nobelpreis hat er nie bekommen, aber den Ritterschlag der Rebellion!

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Bernhard und kein Ende- dieser Autor polarisiert und interessiert bis heute. Warum auch nicht? Uns fehlen solche Intellektuelle, leider. In dem "Wohlfühlkulturbetrieb", in dem Menschen ohne Brüche, alle samt Brachial-Studierte, tätig sind und sich Kritik immer nur in eine Richtung bewegt, wenn es eben gegen die "bösen" Gemeinplätze des Mainstream geht, die da heißen Russland (Putin!), Türkei, Serbien, China und dort den Hort des bösen ausmachen, kann man nicht mehr von einer Intelligenzia sprechen, die kritisch ist, sondern die Kritik macht, um eigene Interessen zu bedienen. Alle gegen alles und jeder gegen Jeden. Die eigentlichen Probleme werden unter den Teppich gekehrt und die Intelligenzia ist dabei kräftig mit beteiligt. Bernhard schaute nicht so sehr ins Ausland, obwohl er kongenial die Konterrevolution z.B. in Portugal unter Spinola auseinandernahm, nein, ihn interessierte, wie man den Dreck vor der eigenen Haustür aufkehrt. Das war es, was ihm wichtig erschien. Denn es kann nur dem Anderen helfen, wer erst selbst bei sich aufgeräumt hat. In Deutschland gibt es unzählige Probleme, doch die "Mutti" lächelt alles weg und fast alle in dieser Republik lächeln mit, als wäre hier der Hort der Glückseligkeit. Nein, es scheint, dass es in Deutschland überhaupt keine Probleme gibt. Nur das Ausland ist eben zu dumm sich richtig zu regieren und da muss Deutschland halt "unter die Arme greifen".

Menschenrechte? Die Verfassung wird mit Füßen getreten

Jeden Tag werden in Deutschland die Menschenrechte gebrochen. Ob in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft- überall wird tagtäglich Menschen gewalt angetan, diese muss gar nicht körperlich bzw. physisch sein, sie kann psychisch oder existenziell sein, dass ist manchmal sogar schlimmer. Wir haben 500.000 Obdachlose, Menschen, deren Würde jeden Tag mit Füßen getreten wird. Arbeitnehmer, die für Klein- und Kleinstlöhne schufften müssen und damit weder leben noch sterben können und oftmals in schlimmsten Verhältnissen arbeiten müssen, was ihre originären Rechte als Arbeitnehmer und Menschen angeht, Menschen, die irgendeiner Minderheit angehören, vor allem Migranten und Sindhi/Romas, die oftmals durch alle gesellschaftlichen Schichten hinweg unterschwelligen Rassismus erleiden müssen. Und selbst die Homosexuellen, die sich immer hinstellen und mit dem Finger auf andere Länder zeigen, sollten sich fragen, ob in ihrer Heimat alles zum Besten steht. Dabei geht es nicht um die unsägliche Diskussion, ob man heiraten soll oder nicht, dass ist nicht existenziell wichtig, sondern das es immer noch vor allem homosexuelle Männer gibt, die wegen ihrer Neigung ermordet werden, z.B. von Strichern. Und das im 21. Jahrhundert in einer Gesellschaft, die sich als ach so tolerant und aufgeklärt gibt. Die Rentner, die einige Montate nach der Pensionierung sterben, sprich, nix von ihrer Rente haben, weil sie jahrzehnte geschafft hatten und das bisweilen sehr, sehr schwer und dann sterben, weil der Körper kaputt ist.

Umfassend hat sich Bernhard als Gesellschaftskritiker auch zu diesen Themen geäußert, wenn auch nicht explizit. Er war kein Autor, der den klassischen, akademischen Duktus durchgemacht hat und aus einer Heile-Welt-Familie stammte, sondern ein uneheliches Kind einer alleinerziehenden Mutter, dass sehr schwer lungenkrank war und dem der Tod schon in jüngsten Jahren auf die Stirn geschrieben war. Das er "nur" eine kaufmännische Ausbildung gemacht hat und einige Monate Unterricht in Schauspiel und Musik erhielt, zeigt, dass Bernhard näher am Leben der Menschen dran war, als die üblichen Germanisten und Philosophen, die nach ihrem Studium im Elfenbeinturm Bücher über Bücher schreiben, die zumeist eh niemand versteht (und liest) und noch meinen, sie gehörten zur Intellektuellen Oberschicht, weil sie Vorurteile bedienen, im neuen Gewand versteht sich, aber mit der gleichen Denke wie früher. Bernhard schaffte unter Anderem in einem Kolonialwarenladen in einem Wiener Arbeiterbezirk, er wusste, was Arbeit war und das macht seine Literatur glaubwürdig. Alles, was er schrieb, war immer auch von den Erfahrungen der Arbeit durchsetzt und der Todesahnung wegen seiner Erkrankung, bevor dann der Durchbruch kam. Ein akademischer Autor, wie so viele, wäre sicher im Kulturbetrieb mehr anerkannt gewesen, aber nicht in der gemeinen Bevölkerung. Bernhard war auch deshalb umstritten, weil er es sich leisten konnte, die Finger in die Wunde zu legen und z.B. die Aufarbeitung der Vergangenheit Österreichs bzw. dessen NS-Geschichte vehemment in seinen Werken anging.

Grass, Walser- nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt

Die Autoren, denen man gemeinhin zutraut, sich der Problematik des Menschen und dessen Nöten anzunehmen, gleiten zu sehr ins politische ab oder schreiben gar überhaupt nichts mehr, was nur annähernd kritisch erscheinen mag. Warum schreibt Herr Grass kein Gedicht über die vielen Obdachlosen in diesem Land, in dem er anklagt, was mit ihnen passiert? Warum kann Herr Walser nur noch Liebesschnulzetten schreiben, aber kein Roman, der von einem Arbeiter handelt, der als Rentner fünf Tage nach seiner Pensionierung stirbt, weil er seit seinem 15. Lebensjahr als Maurer und Arbeiter auf dem Bau schwerste Arbeiten getätig hatte? Fehlt denen die Phantasie oder ist man zu sehr angekommen in der Gesellschaft, die man einst kritisierte? Das Alter alleine kann es nicht sein, Stephane Hessel steht da als leuchtendes Beispiel, dass man auch noch mit über 90 Jahren große Literatur schreiben kann.

Und die jungen Autoren. Warum nehmen sie sich nicht mehr solcher Themen an? Thriller, Krimis, Fantasy, Liebesromane- ja, alles schön und gut und hat auch seine Berechtigung. Aber wo um alles in der Welt ist der gesellschaftskritische Roman geblieben? Wo ist der Autor, der sich traut, von der Gewalt gegen einen Migranten in seinem Alltag zu berichten, Figuren zu zeichnen, die den Frost der Gesellschaft spüren? Nirgends. Es scheint eine ewige Ruhe über dem Land zu liegen. Autoren wollen schnelles Geld, berühmt sein, da passt man sich doch glatt an den Mainstream an. Doch guckt man auf die Lebensläufe der jungen Autoren, die ab den 1970er Jahren geboren wurden, so finden sich fast ausnahmslos Akademiker und Studierte in ihren Reihen. Arbeiterliteratur wird heute nur noch von sechzigjährigen gemacht, die aber aus einer anderen Zeit stammen. Wo ist heute der rebellische 18 jährige, der keine blauen Haare hat oder Irokesenschnitt- Rebellion ist nicht an äußeren Dingen festzumachen, sondern an der inneren Haltung- der Lyrik schreibt, die kritisch ist und dieser treu bleibt, auch wenn er die 45 überschritten hat und schon im Kulturbetrieb angekommen ist?

Zurück zu Bernhard. Er hat ja auch so geschrieben, dass es jeder verstehen konnte, keine ziselierten Texte wie von einem auf den Wolken schwebenden Dichter, sondern dem Volke aufs Maul geschaut, aber nicht im Sinne von Menschenverachtung, sondern Philanthropie (Menschenliebe). Was hätte er zu den vielen Ungerechtigkeiten der Postmoderne gesagt? Nun werden viele wieder sagen, dass man die damalige Zeit nicht mit heute vergleichen kann, dass Bernhard sicher auch seine dunklen Seiten hatte bla bla bla. Doch die Schriftsteller, die sich gesellschaftskritisch nicht äußern, haben auch dunkle Seiten und wer hat das nicht? Im Übrigen kann eigentlich nur ein glaubwürdiger Gesellschaftskritiker sein, der Ecken und Kanten hat, eine irgendwie gebrochene Biographie und der eben auch Widersprüche öffentlich vertritt, wo andere das im Verborgenen halten, was viel schlimmer ist. Sicher, bei Bernhard kann man viel vermuten. Manche meinen, dass er heimlich homosexuell gewesen sei und niemals dazu stand, andere, er habe die Gesellschaftskritik nur genutzt, um sich bekannt zu machen. Aber selbst wen das so wäre, hätte es aber doch wenigstens einen Effekt gehabt, von dem die Menschen mehr oder weniger profitierten, weil er Fragen stellte und ungefährdet war er auch nicht, galt er doch als Vaterlandsverräter. Doch Bernhard war ein Mann, der die Nähe des Todes direkt gerochen hatte, alles was er kritisierte, war auch im Dunstkreis des Todes zu sehen, den er sicher nicht fürchtete, wo er aber auch zurecht wusste, wo die Auswüchse all der Dinge hinführen können, die er so vehemment kritisierte.

58 Jahre ist kein Alter. Viele Autoren werden alt, doch sie kämpfen nicht und daher werden sie so alt. In den 58 Jahren, die Bernhard auf der Erde weilte, hat er die meiste Zeit geschrieben oder gelesen. Er hat versucht, die Welt halbwegs zu hinterfragen und sicher auch etwas besser zu machen. Ob ihm das gelungen ist, ist eine andere Frage, die er aber nicht zu verantworten hat. Jung sterben zumeist die aktiven Autoren. Bernhard war aktiv.Was von ihm bleibt, ist die Suche nach einer anderen Welt, einer Klage in der Kritik an den Zuständen. Österreich hat mal wieder geschlafen. Festlichkeiten fanden kaum statt. Man scheint froh zu sein, dass dieser Kritiker seit mehr als 25 Jahren tot ist und nun nicht mehr meckern kann. Anders lässt sich diese Gleichgültigkeit nicht erklären.

Kolonialwarenladen

Hinter der Theke steht die Kritik,

noch feiert diese keinen Sieg,

erst später wird der Ruhm kommen,

wenn die Literaturgebirge erklommen.

Bernhard ist jung und unbekannt,

später regiert sein Geist das Land,

der uneheliche schreibt in Pausen,

während die Kunden vorbeisaußen.

Schließt man den Laden ab,

sieht man die Waren nicht zu knapp,

die vom seinem Geist geprägt,

bevor die Krankheit an dem Jungen sägt.

Thomas, Thomas, wo ist Österreich?

Fragt man ihn sogleich,

eine Antwort wird er später finden,

wird man ihn auch noch soviel schinden!

Ende.

16.02.2014

Alle Rechte vorbehalten.

Thomas Fix, 2014.

https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Bernhard

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