Epilog zum Verdi-Jahr

Opern-Kritik Mehr als eine werktreue Inszenierung wünscht man sich eine Oper, die zu Martin Kusejs Inszenierung von "La forza del destino" an der Bayerischen Staatsoper gepasst hätte

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In meinem Artikel zum Verdi Jahr hatte ich bereits anhand von "La Traviata", "Otello" und "Falstaff" einiges zu Verdi und den Befindlichkeiten des bürgerlichen 19. Jahrhunderts geschrieben. "La forza del destino" fügt sich vollkommen in diesen Kontext ein.

In "La forza del destino" werden Konstellationen aus "La Traviata" in anderem Sujet variiert. Hier übernimmt Alvaro die Rolle von Violetta. Er ist der gesellschaftlich dubiose Verführer, der sich als edler Mensch erweist, während Don Carlo, der Spross aus edler Familie, sich in einen moralisch zweifelhaften Rachefeldzug begibt.

Was uns heute an dieser Oper stört, die kolossale Unwahrscheinlich der Handlung, diente ursprünglich genau dazu, die sensitiven Stellen der bürgerlichen Befindlichkeit zu massieren. Wenn Verdi im nachhinein ein wenig unbehaglich bei dieser Oper war, dann deshalb, weil er selber spürte, dass er dabei hier ein wenig zu exploitativ vorgegangen war.

Der Pistolenunfall im ersten Akt, bei dem Leonoras Vater getötet wird, hat exakt dieselbe Funktion, die der Liebestrank im Tristan hat. Er dient dazu, den Helden, auf durchaus etwas fadenscheinige Weise, moralisch zu entlasten. Und das bürgerliche Publikum war vollkommen willens diesen Köder zu schlucken.

So kann Marke im dritten Akt erleichtert gegenüber Tristan feststellen: Du hast zwar mit meiner Braut geschlafen, doch bist Du vollkommen unschuldig, da ja schließlich der Liebestrank schuld war. Genauso wird Alvaro dafür, dass er fälschlicherweise des Mordes an Leonoras Vater beschuldigt wird, mit einer moralischen Gloriole versehen, so dass sein eigentliches Vergehen, die Tochter des Hauses verführt und entführt zu haben, darüber verblasst.

Dadurch, dass dieser Alvaro in der Folge heldenhaft das Leben von Don Carlo rettet, wird dieser moralische Zwiespalt zwischen Sympathie und Eros sowie Schuld und patriarchalischer Ordnung, den das bürgerliche Publikum mit Lust goutierte, fast pornographisch auf die Spitze getrieben.

Was uns den Zugang zu einer Oper wie dieser zudem versperrt, ist die Tatsache, dass sich unser emotionales Verhältnis zu Militär und Kirche so ziemlich um 180 Grad gedreht hat. Wenn im 2. Akt lauthals "der Krieg ist schön" gesungen wird, ist da keinerlei Ironie oder negative Demonstration im Spiel, auch wenn man das heute Verdi gerne euphemistisch unterstellen möchte. Militärisches Heldentum ist im 19. Jahrhundert positiv besetzt, da führt kein Weg vorbei.

Entsprechend ist neben dem Walzer der Marsch das prominenteste populäre Genre des 19. Jahrhunderts. In romantischen Opern wimmelt es nur so vor Märschen und auch Richard Wagner maß seinen großen Orchestermärschen eine zentrale Bedeutung bei, die uns heute ein wenig unverständlich geworden ist.

Ähnliches gilt für die Kirche, die vor allem in Bereichen von Ethik und Moral sehr weit gehende Konvergenzen mit der bürgerlichen Gesellschaft aufwies und im emotionalen Spannungsfeld von Eros und Ordnung eine gewisse Pufferfunktion hatte. Das 19. Jahrhundert kultivierte eine kompensatorische Lust an der Reue und Entsagung. Deswegen taucht die Kirche, bevorzugt in monastischer Form, in der romantischen Oper immer wieder als letzter Ausweg aus einem moralischen Dilemma auf. Selbst bei Wagner, der eigentlich wenig religiös war, brach sich diese Befindlichkeit im Tannhäuser und dann vor allem im Parsifal Bahn.

Vor allem der zweite und dritte Akt von "La forza del destino" war für das Publikum des 19. Jahrhunderts eine emotionale Achterbahnfahrt zwischen martialischer Euphorie und zerknirschter Reue-Verzückung, die uns weitgehend unzugänglich geworden ist.

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Heute sind die Chor Nummern musikalisch fast immer das langweiligste in Verdi Opern und dienen meist dazu, den Regisseuren Raum für ihre antithetischen Einfälle zu bieten. So auch in der Münchener Neuinszenierung von Martin Kusej. Im Grunde macht Kusej dabei nichts anderes als das, was Verdi und seine Librettisten damals taten, nämlich die aktuellen Befindlichkeiten bedienen.

Unser Gutmenschen-Pazifismus ergötzt sich an der demonstrativen Anklage staatlicher und militärischer Gewalt, den Kusej mit den 9/11 und Abu Ghraib Zitaten ausschmückt, und der säkulare Antiklerikalismus ist ein wunderbares Vademekum gegen das chronische schlechte Gewissen über unseren sinnentleerten Hedonismus.

Dagegen ist zunächst überhaupt nichts einzuwenden. Wie bereits im oben genannten Artikel bemerkt, ist es eine wesentliche Funktion lebendiger Kunst, auf aktuelle Befindlichkeiten zu reagieren, sie spürbar zu machen, sie zu reflektieren oder zu kommentieren.

Problematisch ist lediglich die hybride Konstruktion von zwei ästhetischen Welten, die in unterschiedliche Richtungen streben ohne dass sich aus der Antithese ein ästhetischer Mehrwert ergibt. Gerade weil "La forza del destino" so direkt und eindeutig damalige Befindlichkeiten bediente, bleibt heute wenig Spielraum für alternative Bedeutungsebenen, die zumindest teilweise verfangen würden.

Was das interessante an Leonora und Alvaro für Verdi ist, ist, dass sie beide sich vollkommen mit der patriarchalischen Ordnung identifizieren, aus der sie ausbrechen wollen, und sich genau deswegen selbst als schuldig empfinden, also in sich selbst den Konflikt tragen und austragen. Indem Kusej sie dem modernen Empfinden folgend zu Opfern einer gesellschaftlichen Ordnung macht, raubt er ihnen jenen inneren Konflikt. Als moderner Zuschauer möchte man ihnen ständig zurufen: hört auf mit den albernen Selbstvorwürfen, tretet euren Unterdrückern endlich in die Eier und befreit euch selbst.

Leonora funktioniert noch leidlich als psychopathologischer Fall eines masochistischen Opferkomplexes, doch Alvaro wirkt wie ein konfliktscheuer Softie im falschen Film. In einem modernen Kriegsfilm wäre er der Rächer der Unterdrückten, doch was weiß Verdi schon von modernem Terrorismus.

Das meiste fühlt sich einfach falsch an. Apathisch grau staubige Menschen singen muntere Militärmusik. Der buffo Charakter Melitone singt als klerikaler Inquisitor lustige Lieder. Am schlimmsten aber ist die Orgie im dritten Akt. Dass das Militär im 19. Jahrhundert immer einen gefährlichen Drift zu Trinkerei, Glücksspiel und Hurerei hatte, war ein zeitgenössischer Topos. Daraus eine moderne hedonistische Gruppensex-Party zu machen, ist ein schlimmer psychologischer Fehlgriff. Wenn schon einvernehmlicher Sex in modernen Kriegsfilmen vorkommt, ist er hart, schnell und kalt.

Das traurige an solchen modernen Verdi Inszenierungen ist, dass Verdis Musik solche antithetischen Belastungen nicht aushält. Anders als Wagners Musik, die sich als Tonspur immer behauptet, ist Verdis Musik viel funktionaler und entfaltet sich viel stärker erst im dramatischen Kontext. Fehlt dieser Kontext, zerfällt sie sehr schnell in triviale Floskeln und Umtata. Musikalisch war der Abend ein ziemlicher Reinfall.

Zwar waren Anja Harteros und Jonas Kaufmann das beste, was der Abend zu bieten hatte, doch die Elogen, die teilweise zu lesen waren, waren doch ziemlich übertrieben. Beide sind vielleicht keine großen doch immerhin ziemlich gute Schauspieler, was im Opernbetrieb, wo zum größten Teil marmorn statuatisiert oder schrecklich chargiert wird, eine ganze Menge ist. Besonders die Harteros wirkte als Charakter durchaus stimmig, auch wenn man dabei an die Ausdrucksintensitäten und -nuancen, die die Callas dieser Rolle abgewinnen konnte, nicht denken darf.

Stimmlich war solides Mittelmaß geboten. Die Harteros hat eine der typischen wenig individuell klingenden, amorphen Stimmen mit ziemlich viel Vibrato, wie man sie heute ziemlich häufig antrifft und bei denen es vor allem darum geht, einen stabilen Klang in die riesigen Opernhäuser zu stemmen. Das beste, was diese Stimme zu leisten imstande ist, ist eine gewisse Emphase. Für den Melos und die rhythmische Elastizität, die der Belcanto Gesang Verdi eigentlich fordert, ist die Stimme viel zu schwerfällig.

Jonas Kaufmanns Stimme klingt zwar individueller, doch auch bei ihm hat man immer den Eindruck, dass Ton für Ton rausgewuchtet wird. Er verfügt weder über den melodischen Schmelz der berühmten "drei Tenöre" noch das virile Temperament der Di Stefano Generation, geschweige denn über die elegante Beweglichkeit der Stimme der alten Garde eines Caruso oder Tito Schipa, die nicht nur zeitlich sondern auch ästhetisch dem Verdi Gesang am nächsten stehen.

Was ihn neben seinem schauspielerischen Talent auszeichnet, ist eine gewisse Intensität, die vielleicht überhaupt die Hauptwährung der heutigen Wow- und Gänsehaut-Ästhetik zu sein scheint. Eine solche Stimmästhetik ist mit Puccini und Wagner noch ganz gut kompatibel allerdings wenig mit der Musik von Verdi, Bellini oder Rossini. Entsprechend fiel auch sein Verdi Album aus diesem Jahr weit weniger überzeugend aus als sein Wagner Album.

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Das eindrücklichste an der Inszenierung von Martin Kusej blieb der erste Teil der Ouvertüre und einige Bühnentableaus, die eine durchaus stimmige ästhetische Vorstellung evozierten. Das dumme war nur, dass die Oper selbst eine völlig andere Richtung einschlug. Mehr noch als eine werktreue Verdi Inszenierung wünschte man sich fast eine Oper, die zu Kusejs Inszenierung gepasst hätte. Eine Oper, die modernen Befindlichkeiten entspricht, modernen Stimmen gerecht wird, eine Oper, die endlich neues, lebendiges Blut in das Mausoleum Oper bringt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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