Harmlose Schweinereien

Opern-Kritik In der Münchener Neuinszenierung von Mozarts "La Clemenza di Tito" sitzt man einmal mehr der naiven Vorstellung vom aufklärerischen Gutmenschen-Stück auf.

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Der Dichter Pietro Metastasio (1698-1782) thront wie ein schwarzes Loch in der Operngeschichte des 18. Jahrhunderts. Gemessen an seiner Popularität und Verbreitung war er die bei weitem bedeutendste Gestalt im damaligen Opernbetrieb. Seine Libretti waren das Maß aller Dinge und wurden zwischen London und Neapel immer und immer wieder vertont. Es soll mehrere hundert Opern geben, die auf seinen Texten beruhen.

Doch das seltsame ist, dass diese Hundertschaften für uns unsichtbar sind. Von den Originalproduktion, die meisten davon in Zusammenarbeit mit Antonio Caldara und Johann Adolph Hasse, kennt man keine. Lediglich an den Peripherien, bei Händel, Gluck und Mozart, in zum Teil starken Bearbeitungen und in allen Fällen für die Komponisten nur mit mäßigem Erfolg, erhaschen wir einen Blick auf das Phänomen Metastasio.

Und doch bildet Metastasio und die Opernästhetik, die er repräsentiert, das Gravitationszentrum für alle Opern, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts geschrieben werden. Selbst die mit Gluck verbundene Opernreform ist ex negativo an dieser Ästhetik ausgerichtet (dazu mehr zu Glucks 300. Geburtstag).

Tatsächlich wird die Bedeutung Metastasios heute immer noch ein wenig unterschätzt. Nach einer Wunderkindhaften frühen Karriere in Italien, kam er 1730 knapp 30 jährig als Hofdichter Karls VI. nach Wien. Binnen weniger Jahre wurde Wien zum wichtigsten Opernschauplatz Europas. Dass sich Gluck und später Mozart nach Wien orientierten, hat maßgeblich mit dem Ruf zu tun, den Wien unter Karl VI. und später Maria Theresia durch Metastasios Ausstrahlung und ästhetischer Meinungsführerschaft erworben hatte.

Anders als Händel, der zwar gute Kontakte bis ins Englische Königshaus hatte, doch dem Temperament nach ein misantrophischer Einzelgänger war, war Metastasio ein Mann mit großer persönlicher Ausstrahlung. Gesellschaftsmensch durch und durch, was sich auch in seinen Libretti niederschlägt, deren Chrarakteristikum lange, fein geschliffene Dialogszenen sind. Ein Geheimnis seines Erfolgs war, dass er in permanenten Tuchfühlung mit Leuten ein Gespür für aktuellen Moden entwickelte und diese geschickt bediente.

Doch wie die meisten Karrieristen war er verlogen bis ins Mark, darin seinem Zeitgenossen Voltaire durchaus ähnlich. Alles was er schreibt ist von einer toxischen Schicht ironischen Edelschimmels überzogen. Man muss sich ständig davor fürchten nicht von ihm an der Nase herumgeführt zu werden. Als Psychologe kann er es durchaus mit Proust aufnehmen, mit dem er auch eine gewisse spinnenhafte Grausamkeit gemein hat.

Wie fast immer in der Barockoper ist alles mehrfach codiert. Hinter Titos Mildtätigkeit, die wir naiv für aufklärerisches Gutmenschentum halten, steckt in Wahrheit noch etwas ganz anderes: die kranke Abart eines bösartigen, manipulativen Narzissmus. Tito ist in etwa so mildtätig wie Vladimir Putin, wenn er Edward Snowden aufnimmt oder kurz vor Sotchi medienwirksam Chorodkowski und Pussy Riots begnadigt.

Die Parallele zu Proust kommt nicht von ungefähr, ist das fin de siécle in ihrem historisch psychologischem Klima dem Spätbarock durchaus ähnlich ist und auch in Metastasios Texten spielt Homosexualität, wenn auch immer codiert und verschleiert, fast immer eine Rolle. Dass da etwas zwischen Tito und Sesto läuft, das die Grenzen edler Freundschaft ein wenig überstrapaziert, haben schon viele Kommentatoren festgestellt.

In Proust Recherche wird der Erzähler einmal Zeuge wie der homosexuelle Monsieur de Charlus sich in einem Bordell von einem jungen Mann unter vulgären verbalen Beleidigungen auspeitschen lässt. Danach beklagt sich Charlus unzufrieden beim Leiter des Bordells, der Junge sei noch zu nett gewesen, das nächste Mal wünsche er sich jemanden, der noch gemeiner und verkommener ist.

Das ist in etwa die Gefühlslage von La Clemenza die Tito. Tatsächlich ist das homoerotische Begehren Titos, auf Sesto aber auch auf Annio gerichtet, samt seinen manipulativen sado-masochistischen Sublimierungen das geheime Zentrum der Geschichte. Die Verschwörung und der Mordversuch Sestos samt seinem überschwänglichen Schuldbekenntnis sind das reinste Aphrodisiakum für Tito.

Auch für das, was davor ablief, nämlich, dass Tito zunächst Annios Geliebte Servilia, dann Sestos Geliebte Vitellia heiraten möchte, gibt es eine parallele Szene bei Proust. Einmal verkündet der Erzähler seiner Geliebten Albertine, dass er genug von ihr habe und lieber eine Beziehung mit Andrée eingehen möchte, zu der er eigentlich viel besser passe. Das perfide daran ist nicht nur, dass er sie für eine andere verlassen will, sondern dass er ahnt, dass Albertine insgeheim ein Verhältnis mit Andrée hat.

Tito ist wahrscheinlich ebenso gut im Bilde über das Verhältnis zwischen Annio und Servilia bzw. Sesto und Vitellia und seine Heiratsankündigungen ein eben solcher sadistisch manipulativer Zug. Marquis de Sade ist im 18. Jahrhundert eben keine exterritoriale Erscheinung, sondern nur der letzte Ausläufer einer moralischen Degeneration, die die aristokratische Kultur schon viel früher unterminiert hat.

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Nun war ja auch Mozart kein Waisenknabe und hatte selbst durchaus einiges übrig für frivole erotische Verwirrspiele a la Cosi fan tutte. Für die Wiener Fassung des Don Giovanni hat er sogar ein kleine Bondage-Szene eingebaut. Doch das spitzzüngig manipulative lag ihm nicht. Bei allem frivolem Leichtsinn hatte er doch schon etwas vom bürgerlichen Idealismus in sich, der sich vor allem in seinen Singspielen manifestiert.

Es ist wohl kein Zufall, dass schon damals in Prag das erfolgreichste Stück in Tito das kleine Duett zwischen Annio und Servilia war, das in seiner Innigkeit und seinem singspielhaften Charakter fast wie ein Fremdkörper wirkt.

Die berüchtigte Invektive von der "porcheria tedesca", der deutschen Schweinerei, aus dem Munde der Kaiserin Maria Luisas, die mit ihrem Gatten Adressatin der Feierlichkeit war, offenbart nicht nur, dass man dieses angebliche allegorische Herrscherlob keineswegs mit Angela Merkel-hafter freundlich gleichgültiger Contenance goutierte, sondern mit hedonistischem Zynismus. Es zeigt auch deutlich, dass es bereits eine geschmacklich ästhetische Differenz gab, die die historische Zeitenwende von 1789 widerspiegelt.

Dass Mozart in Clemenza di Tito die Klarinette so prominent auftreten lässt, mag auch zu dieser Irritation beigetragen haben, ist im Klang dieses Instruments zwischen Mozarts und Brahms gewissermaßen das romantisch bürgerliche Zeitalter eingebettet. Die Flöte von Friedrich des Großen, die wiederum für die aristokratische Sprezzatura steht, konnte Mozart bekanntermaßen nicht ausstehen.

Dabei hatte sich Mozart durchaus bemüht, den aristokratischen Geschmack zu treffen. Mozart hatte ein phänomenales mimetisches Talent. Idomeneo etwa ist eine Oper vollkommen im Gluckschen Gusto, nur besser komponiert. Und Clemenza di Tito orientiert sich unverkennbar an dem am Hof aktuell populären Geschmack eines Salieri. Gerade das, was uns heute, vor allem im direkten Vergleich mit der gleichzeitig entstandenen Zauberflöte, an Clemenza di Tito so streif gedrechselt erscheint, kommt aus dieser Richtung. Doch letztendlich konnte auch Mozart nicht aus seiner Haut und auch wenn Clemenza di Tito handwerklich eine sublime Partitur ist, schwächt der ästhetische Opportunismus die Oper doch sehr, vor allem wenn man sieht, zu was Mozart in der Lage war, wenn er mit ganzem Herzen dabei ist.

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Was uns heute den Zugang zu dieser aristokratischen Ästhetik so schwer macht, ist, dass sie in jenem metastasianischen schwarzen Loch verschwunden ist. Uns erscheint die Musik Hasses oder Quantz nur noch als unfassbar einfältiges Gedudel. Doch genauso wird die Popmusik von heute auch in ein paar hundert Jahren erscheinen.

Denn das eigentlich entscheidende an solcher Musik ist das Lebensgefühl, das sie transportiert. Was heute der schwarze Hiphop verheißt, Partys in Luxusvillen, Sex und Drogen, cool, reich und schön zu sein, eine ähnlich Verheißung, Hofbälle, Sex und Drogen, raffiniert, reich und schön zu sein, war auch in jener Musik eincodiert.

Der eigentlich Reiz solcher Musik befindet sich an der Oberfläche. Wie heute die Sounds und Beats raffiniert zu einer Empfindungsoberfäche gemixt werden, die direkt in den Magen geht, so waren es im 18. Jahrhundert die bezeichnenderweise auch in musikalischer Terminologie so genannten Manieren und Galanterien, auf die es ankam, um die sinnlichen Zonen zu reizen. Selbst die Personalunion von Komponist und Produzent, die im Hiphop üblich ist, spiegelt sich merkwürdig wieder. Auch Quantz, Hasse und Salieri waren nicht nur Komponisten, sondern eben auch prominente Flöten- bzw. Gesangslehrer.

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Schon als Sesto in der ersten Szene unter den Rock von Vitellia kroch, war mir klar, dass von dieser Neuinszenierung von Jan Bosse an der Bayerischen Staatsoper in München nichts zu erwarten ist. Denn diese Art von Kalauereien, denen man auf deutschen Opernbühnen leider in Masse begegnet, ist immer ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Regisseur mit der Sache nichts anzufangen weiß.

Dass die schon bei Mozart gekürzten Rezitativ Szenen Metastasios nochmal kräftig eingedampft wurden, war zwar einerseits verständlich, will man etwas, mit dem man nichts anzufangen weiß, nicht noch unnötig in die Länge ziehen. Doch kann man sich dabei natürlich fragen, ob damit nicht das gesamte ästhetische Konzept dieser Art von Oper in Frage gestellt wird.

Der gewaltige Erfolg von Metastasio Opern in ihren originalen Versionen, zeigt ja gerade, dass man sich bei den langen Rezitativen keineswegs langweilte, sondern dass sie essenzieller Bestandteil des verführerischen Mixes waren. Tatsächlich sind sie eigentlich eher soetwas wie Strindberg Stücke mit Musikeinlagen. Doch natürlich muss man ein Begriff von der toxischen Ironie Metastasios haben und in der Lage sein, das Klima psychologischer Ambivalenz darzustellen. Doch davon hat keiner auch nur irgendeinen Schimmer.

Kristine Opolais hysterische Vitellia hätte vielleicht ein gewisses Potential gehabt, zumal man ihren weiblichen Reizen einige Überzeugungskraft zutraut, doch von der existenziellen Panik, die hinter ihrer Manipulationssucht steht, bekommt man nichts mit.

Die Tito Rolle ist bei Metastasio eigentlich eine klassische Kastraten Partie gewesen. Senesino, der ein schwules narzisstisches Monster war, wäre ideal dafür gewesen (möglichweise hat er sie tatsächlich in irgendeiner Vertonung einmal verkörpert). Toby Spence strahlt zwar durchaus eine gewisse Ambiguität aus, doch fehlt ihm die gefährliche Ausstrahlung, die wohl in dieser Inszenierung auch gar nicht gewünscht war. Zudem ist er vokal zu unsicher, was in so einer Partie fatal ist. Denn die vokale Virtuosität der Kastraten war eben immer auch ein Mittel, um die Herrscher-Rollen mit der nötigen Autorität aufzuladen.

Sesto war auch bei Mozart noch eine Kastratenpartie während Annio schon damals eine Hosenrolle war. Sesto auch mit einer Frau zu besetzen ist daher gewiss nicht völlig undenkbar, doch Tara Erraught fehlt es dazu an der dann nötigen Androgynität und, pardon, auch an der nötigen Attraktivität. Sesto ist gewiss die diffizilste Partie von allen. Er ist ein Typ wie Morel bei Proust. Ein unsicherer, leicht beeinflussbarer, karrierebesessener Mensch, der aber gerade auf Grund seiner prekären volatilen Psyche in Verbindung mit einer virilen Ausstrahlung auf Frauen wie auf Männer unwiderstehlich wirkt.


Kostüme und Bühnenbild waren hübsch anzuschauen. Chor und Orchester waren bestens präpariert. Allerdings hätte man sich gerade für diese Partitur ein historisches Instrumentarium gewünscht, das die dünnhäutige Klangoberfläche dieser rückwärts gewandten Musik besser spürbar gemacht hätte. Die Linse in die ferne Vergangenheit barocker Opernkultur wurde durch das pastose moderne Instrumentarium und die romantisch verschleppten Tempi noch zusätzlich verschmiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Thomas.W70

Was vom Leben übrig bleibt / Thomas.W70@web.de

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