Städtevergleich Bundesweit demonstrieren heute Menschen gegen hohe Mietpreise und Immobilienspekulation. In welchen Städten sind arme Familien am stärksten betroffen?
Seit Jahren verfolgt die Mietrechtsanwältin Carola Handwerg, wie Mieter aus ihrem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg verdrängt werden. Lange Zeit galt die Stadt als Standort für günstige Wohnungen. "In den letzten Jahren hat sich die Wohnsituation dramatisch verschärft", sagt sie. "Die Mieterhöhungen treiben viele Familien aus ihren Wohnungen."
Gegen Mieterhöhungen und die Verdrängung von Menschen mit niedrigem Einkommen aus ihren Stadtvierteln protestiert am Samstag ein breites Bündnis aus Bürgerinitiativen in zwölf deutschen Städten. Handwerg hat sich der Protestbewegung angeschlossen. "Die Rechtslage ist unbefriedigend und die meisten Abgeordneten wissen es nicht einmal."
Der Freitag hat die Mietsituation für arme Familien i
lgt die Mietrechtsanwältin Carola Handwerg, wie Mieter aus ihrem Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg verdrängt werden. Lange Zeit galt die Stadt als Standort für günstige Wohnungen. "In den letzten Jahren hat sich die Wohnsituation dramatisch verschärft", sagt sie. "Die Mieterhöhungen treiben viele Familien aus ihren Wohnungen."Gegen Mieterhöhungen und die Verdrängung von Menschen mit niedrigem Einkommen aus ihren Stadtvierteln protestiert am Samstag ein breites Bündnis aus Bürgerinitiativen in zwölf deutschen Städten. Handwerg hat sich der Protestbewegung angeschlossen. "Die Rechtslage ist unbefriedigend und die meisten Abgeordneten wissen es nicht einmal."Der Freitag hat die Mietsituation fXX-replace-me-XXX252;r arme Familien in den 100 größten, deutschen Städten aufbereitet. Wie die Lage vor Ort ist, sehen Sie in der Grafik weiter unten.Debatte auf Hartz 4 verengtWer an Armut denkt, denkt an Hartz 4. Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt allerdings, dass es in einigen Städten die Familien mit Geringverdienereinkommen sind, die am stärksten unter den hohen Mietpreisen leiden.Arme Familien, die keine staatliche Unterstützung beziehen, seien ebenfalls von Armut bedroht, sagt der Armutsforscher Christoph Butterwegge von der Universität Köln. Doch diese tauchen in keiner Statistik auf. Sie seien eine "doppelte Dunkelziffer". Zum Einen sind dies Menschen, die kein Wohngeld beziehen. Zum Anderen sind es solche, die ihr Einkommen nicht mit Hartz 4 aufstocken.Die Debatte um Armut geht an ihnen vorbei, wie zuletzt bei der von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen beschlossenen Gesetzesänderung zu Hartz 4. Die deutsche Öffentlichkeit diskutierte, ob die Hartz 4-Sätze um 5 Euro angehoben werden sollten und ob Bildungsgutscheine die richtige Art der Förderung seien. Nahezu unbemerkt blieb, dass der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger gestrichen wurde. Wohlgemerkt, nicht für Hartz 4-Empfänger. Betroffen sind von Armut betroffene Familien, die kein Hartz 4 beziehen."Es sind viel mehr Menschen von Armut bedroht, als in der Hartz 4-Statistik auftauchen", sagt Anette Stein, Familienexpertin der Bertelsmann-Stiftung. "Trotzdem haben viele nur die Hartz 4-Empfänger auf dem Radar." In Frankfurt, zum Beispiel, seien rund 19 Prozent aller Familienmitglieder von Armut bedroht – bedeutend mehr als Hartz 4-Empfänger.Laut der Bertelsmann-Studie gilt eine Familie als arm, wenn sie über weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens in der jeweiligen Stadt zur Verfügung hat. Im Gegensatz zu vielen anderen Studien orientiert sich die Armutsgrenze bei diesen Ergebnissen an den regionalen Durchschnittseinkommen. Ob das Einkommen einer Familie durch Wohngeld aufgestockt wird, wurde nicht gesondert erhoben.Die 100 größten, deutschen Städte im VergleichDer Freitag zeigt auf einer Deutschlandkarte, wie groß der Unterschied zwischen einer vierköpfigen Familie mit zwei Kindern und Hartz 4-Empfängern ist, in Prozent. Alle 100 größten, deutschen Städte sind markiert. Wenn Sie darauf klicken, sehen Sie außerdem, wie viel eine familiengeeignete Wohnung im unteren Preissegment durchschnittlich kostet, wie hoch die durchschnittliche Mietbelastung ist, und wo die Armutsschwelle liegt.Die farbigen Markierungen zeigen, um wie viel das verbleibende Einkommen einer armen Familie über oder unter dem Hartz 4-Regelsatz liegt.Quelle: Bertelsmann-Stiftung, Visualisierung: Timo StukenbergDie Unterschiede sind drastisch. Während eine arme Familie in Iserlohn nach Abzug der Mietkosten 53 Prozent mehr Geld zur Verfügung hat als vergleichbare Empfänger von Hartz 4, ist in Frankfurt am Main das Gegenteil der Fall. Dort haben arme Familien, nachdem sie ihre Miete bezahlt haben, 37 Prozent weniger Geld zur Verfügung.Auch in anderen Städten wie Jena, München, Freiburg oder Offenbach können sich arme Familien kaum eine Wohnung leisten. Nur jede hundertste Wohnung ist in diesen Städten laut der Studie familiengeeignet und bezahlbar. "Dort treffen hohe Mietpreise auf einen Mangel an Wohnungen", erklärt Stein. "Das zwingt diese Familien über ihren Verhältnissen zu leben."In Städten mit besonders hohen Mieten und Wohnungsmangel, bleibt armen Familien oft nichts anderes übrig, als die Innenstädte zu verlassen. Experten befürchten eine "Ghettoisierung" an den Stadträndern, wie man es aus Ländern wie Frankreich kennt. Das schließe arme Familien von sozialer Teilhabe aus, erklärt Stein. Am stärksten betroffen sind Kinder.Wie viel bleibt nach der Miete?Im Vergleich der 20 größten, deutschen Städte hält Frankfurt einen weiteren, traurigen Rekord. Die durchschnittlichen Mietkosten für eine armutsgefährdete Familie liegen bei 828 Euro. Zum Leben bleiben noch rund 729 Euro. Damit müssen arme Familien mit Kindern unter 18 Jahren mehr als die Hälfte ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Deutschlandweit lag der Durchschnitt im Jahr 2010 bei 22,4 Prozent.Wohnungen wie WürstchenDie Stadt Berlin hat den Wohnungsmangel erkannt. In dem Bezirk Neukölln, zum Beispiel, werden laut Verwaltung statistisch gesehen 11.000 zusätzliche Wohnungen benötigt. Die Bezirksverwaltung Neukölln hat jetzt eine Studie veröffentlicht, wonach in dem Bezirk genug Baufläche für 14.000 zusätzliche Wohnungen ist.Der Berliner Mieterbund kritisiert: "Der Neubau erhöht derzeit nur die Zahl der Eigentumswohnungen und der hochpreisigen Mietwohnungen." Der Verband fordert unter anderem, den sozialen Wohnungsbau zu fördern, das Wohngeld zu erhöhen und Mieterhöhungen zu begrenzen. Für Armutsforscher Butterwegge liegt der Grund für Mietarmut allerdings tiefer. Er kritisiert, dass der soziale Aspekt auf dem Wohnungsmarkt keine Rolle spiele. "Das Hauptproblem ist, dass Wohnungen wie Würstchen gehandelt werden."
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