Kein journalistisches Produkt: eine „Bild“-Studie von Arlt/Storz

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Der Skandal eines ganzen Berufsstandes“, hat Kai Diekmann vor ein paar Wochen Klaus Staeck zitiert, „besteht darin, dass es Bild gelungen ist, die kaum mehr bestrittene Meinungsführerschaft in den Medien zu erringen.“ Dem Bild-Chefredakteur ging es dabei nicht um die Empörung des Akademie-Präsidenten, sondern um die in der Kritik versteckte Anerkennung: Meinungsführerschaft. Wie das Bild gelungen ist, ob man darüber überhaupt reden kann, welcher Mittel sich das Blatt dabei bedient und welche Rolle das Springer-Blatt in der Politik spielt, darüber ist zuletzt erst wieder im Zusammenhang mit dem Aufstieg des dann schnell gefallenen Verteidigungsministers diskutiert worden. Auch die Spiegel-Titelgeschichte, zu der das oben angesprochene Diekmann-Interview gehört, deutete das Phänomen Bild unter der Schlagzeile „Die Brandstifter“: Das Blatt, so die These, über nehme „die Rolle einer rechtspopulistischen Partei, die im deutschen Politikbetrieb fehlt“.

Ansonsten stößt die Spiegel-Geschichte vor allem in jenes kritische Horn, das Töne macht, die nach häufiger Wiederholung nur noch wenig Resonanz finden: Es seien „fortlaufend Fälle anzuzeigen, die die ethischen Standards und die journalistische Qualität der Bild und ihrer Mitarbeiter in Frage stellen“, heißt es da. Aber lässt sich das Blatt überhaupt noch in solchen Kategorien bewerten? Handelt es sich überhaupt noch um eine Zeitung? Der frühere Chefredakteur der Frankfurter Rundschau Wolfgang Storz und der ehemalige DGB-Pressesprecher Hans-Jürgen Arlt haben jetzt eine Studie vorgelegt, die diese Fragen mit Nein beantworten. Wer Bild nur anhand journalistischer Kriterien untersucht, könne „weder ihre Machart verstehen, noch ihren Erfolg erklären“, heißt es bei der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung, unter deren Ägide die Arbeit entstanden ist. „An die Stelle des Journalismus, der mit seiner Arbeit der Information, der Orientierung und Kommentierung von gesellschaftlich Bedeutsamen sein Publikum erreichen will, setzt Bild Methoden der Werbung, der Unterhaltung, der Kampagnenkommunikation und des Marketings“, so das zentrale Ergebnis von Arlt und Storz.

Drucksache Bild – eine Marke und ihre Mägde – hier
Eine Zusammenfassung der Studie als PDF – hier

Irre:
Bild ist gar keine Zeitung – die Taz über die Studie
Bild dir deine Kohle – Hans Leyendecker in der Süddeutschen

Die beiden verfolgen ihre Argumente am Beispiel der Bild-Berichterstattung über die Griechenland- und Euro-Krise im vergangenen Jahr. Man erinnert sich an Schlagzeilen wie „Ihr griecht nix von uns!“ oder „Verkauft doch Eure Inseln, ihr Pleite-Griechen … und die Akropolis gleich mit!“ – und der Spiegel hatte sich gefragt: „Ist das Journalismus? Oder Kabarett?“ Weder noch, finden Arlt und Storz. Bild behandele Themen und Ereignisse auf eine Weise als eine Knetmasse für publizistische, wirtschaftliche und politische Zwecke, die über das, was auch andere Zeitungen machen, hinausgreift. Das Blatt, so die Autoren, löse am konsequentesten „die Grenze zwischen massenmedialer Veröffentlichung und ökonomischem Produkt“ auf, soweit, das Bild „vermutlich so ganz nebenbei zu einem der ganz großen Einzelhändler Deutschlands“ geworden sei: Vom Computer über Wandfarbe bis zu Bahn-Tickets gibt es hier nahezu alles. Hans Leyendecker hat in der Süddeutschen angelegentlich der Studie an ein Wort von Hans Magnus Enzensberger erinnert, nach dem der einzig ernst zu nehmende Rivale von Bild der Quelle-Katalog sei – nun, das Schicksal des Versandunternehmens ist bekannt. „So dreht sich Bild immer mehr um Bild und seine Nebengeschäfte“, schreiben Arlt und Storz. "Bild wird auch als Werbung für Bild produziert.“

Die Studie über Bild soll zu einer Debatte über Grenzen einladen: Wo hört Journalismus auf, wo fangen andere Gattungen öffentlicher Kommunikation an? Arlt und Storz setzen damit ihre Beschäftigung mit dem Zustand der veröffentlichten Meinung in Deutschland fort: Im vergangenen März hatte eine Analyse der Wirtschaftsberichterstattung von dpa und ARD aktuell bereits für einigen Wirbel gesorgt.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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