Wer hat's erfunden? Zur Geschichte der Finanzmarktgestaltung seit 1990

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Wer hat's erfunden? Bei der ersten Beratung des „Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ am Mittwoch im Bundestag ging es immer wieder auch um diese Frage: Waren es nicht SPD und Grüne, die den Finanzmarkt erst so richtig deregulierten – und nun in der Opposition als Kämpfer für eine Kontrolle von Hedgefonds und Co. auftreten?

Interessant war dabei unter anderem eine Kurzintervention der sozialdemokratischen Abgeordneten Barbara Hendricks während der Rede der FDP-Fraktionsvorsitzenden (nachuzlesen hier im Protokoll). Birgit Homburger hatte gerade darauf hingewiesen auf die elfjährige Verantwortung von SPD-Finanzministern seit 1998 hingewiesen – deren Schuldenmachen und die Aufweichung des Stabilitätspaktes hätten die Eurokrise gewissermaßen mitverursacht. Vor allem aber zitierte Homburger genüsslich aus einer Rede von Hans Eichel vom März 2003.

Rot-grüne Verantwortung

Hedgefonds sollen gegenüber herkömmlichen Investmentfonds nicht mehr diskriminiert werden“, hatte der SPD-Mann seinerzeit im Bundestag erklärt, „private Anleger werden von höheren Renditen der Hedgefonds profitieren können.“ Anfang 2004 trat das „unter rot-grüner Verantwortung“, wie Homburger betonte, das so genannte Investmentmodernisierungsgesetz in Kraft. Man konnte es ohne weiteres einen wichtigen Schritt der Deregulierung der Finanzmärkte nennen. Sogar das Manager-Magazin sprach damals von einem "Spiel mit dem Feuer". Auch die Linkspartei hat in den vergangenen Jahren immer wieder auf dieses Erbe der SPD-Grünen-Regierung hingewiesen.

Im Parlament meldete sich darauf am Mittwoch Hendricks zu Wort – um etwas richtigzustellen – „zumal Sie sich bei der Unrichtigkeit IhrerBehauptungen zu diesem sachlichen Punkt mit der Fraktion der Linken treffen“. Die Zulassung von Hedgefonds sei zwar „in der Tat“in der Verantwortung von Rot-Grün geschehen, diese seien dabei aber „streng reguliert“ worden. „Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis und hören Sie auf, Rot-Grün – wie das die Linke ebenfalls macht – unter Verdacht zu stellen!“, zürnte die SPD-Abgeordnete und stieß nach: „Bei diesem Gesetz, wiepraktisch bei allen Finanzmarktgesetzen, ging der FDP die Liberalisierung nicht weit genug.“

Wer sich die komplette Geschichte der De- und Regulierung der Finanzmärkte durch den deutschen Gesetzgeber anschaut, wird in solchem Streit um die Schuldfrage einen kleinlichen parteipolitischen Schlagabtausch sehen. Die Dimensionen der Marktentfesselung (und nachträglichen Reparaturbemühungen) sind weitaus gewaltiger, als dass man ihnen mit rot-grünen oder schwarz-gelben Aufklebern ein alleingültiges Etikett verpassen könnte.

Schon im Februar 1990 trat ein „Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Finanzmärkte“ in Kraft. Damals regierte noch der Einheitskanzler – zusammen mit den Liberalen. Die Novelle beinhaltete eine Änderung des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, sie erleichterte die Regeln für Investmentfonds und ließ Options- und Finanztermingeschäfte zu, sie änderte das Auslandinvestment-Gesetz, damit Investmentfonds europaweit vertrieben werden konnten, hob das Kapitalverkehrsteuer- und das Wechselsteuergesetz auf, was zum Wegfall der Börsenumsatzsteuer (ab 1991) und der Wechselsteuer (ab 1992)führte. Mit dem „Gesetz zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Finanzmärkte“ wurde seinerzeit eine EG-Richtlinie aus dem Jahr 1985 umgesetzt. Die Bundesregierung sprach damals von einer Stärkung des Finanzplatzes Deutschland und der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit deutscher Investmentfonds.

Steinborns Studie

Das Beispiel aus dem Jahr 1990 ist hier willkürlich herausgegriffen. Ende vergangenen Jahres hat Susanne Steinborn im Auftrag der Luxemburg-Stiftung eine Kurzstudie vorgelegt, die eine chronologische Übersicht aller in der Bundesrepublik erlassenen Rechtsakte zur Finanzmarktgestaltung seit 1990 enthält. (Die Liste reicht zeitlich bis September 2009 und knapp an die 100er-Marke heran.) Schon aus den oft bandwurmartigen Namen der Novellen lässt sich erkennen, was mit den Gesetzen bezweckt wurde: „Deregulierung“, „Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit“, „Senkung der Steuersätze“ – bis sich der Wind dann 2008 etwas drehte, und es nunmehr eher um die „Begrenzung der mit Finanzinvestitionen verbundenen Risiken“ und die „Stabilisierung der Finanzmärkte“ ging.

Steinborn hat an anderer Stelle die Ergebnisse ihrer Studie etwas genauer bewertet. „Standortförderung“ sei das bestimmende Thema in den Debatten gewesen, „die Bereitstellung möglichst guter Bedingungen für Investoren“ sei „immer schon als Bedingung von Wirtschaftswachstum in der internationalen Konkurrenz gedacht worden. „Nachdem in den 90er Jahren erfolgreich die Finanzmärkte in Schwung gebracht wurden, rückt dann der Anlegerschutz stärker ins Zentrum; allerdings weiterhin unter der Prämisse, dadurch ein attraktiver Standort für Kapitalinvestoren sein zu wollen.“ Teilweise sei die Bereitschaft erkennbar, „sich auf strengere Regeln für Finanzmärkte einzulassen“, diese soll allerdings „nur EU-weit oder international abgestimmt erfolgen, um keinen Nachteil allein für den eigenen Standort darzustellen“.

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Geschrieben von

Tom Strohschneider

vom "Blauen" zum "Roten" geworden

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