Die Schau zum Ersten Weltkrieg in Berlin

Ausstellung Das Deutsche Historische Museum präsentiert auf 21 Stationen eine Ausstellung über die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, dem Ersten Weltkrieg
Ausgabe 23/2014

In Ypern der Gaskrieg, in Brüssel Massenvergewaltigungen an Zivilistinnen. In den Dolomiten primitiv ausgerüstete Gebirgsjäger, in Gallipoli das Bild eines während der Vertreibung der Armenier zurückgelassenen Kindes. Auf den Weltmeeren in U-Boote eingezwängte und ihren Abschuss erwartende Seeleute, in Berlin an Hunger und Grippe sterbende Arbeiterinnen und Kinder. Die großen Kriege des 20. Jahrhunderts separierten wie nichts anderes die Lebensräume von Männern und Frauen: Hier Frontabschnitte und die Etappen der Soldaten, dort die Heimatfront oder das Besatzungsland der Zivilbevölkerung, die aber immer stärker in die Kriegsereignisse involviert wurde.

Ein Globalgeschehen wie den Ersten Weltkrieg räumlich fassbar zu machen, ist so gesehen eine naheliegende Idee, nachdem im Zuge der verschiedenen wissenschaftlichen turns auch die letzten Winkel der sogenannten Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts ausgeleuchtet sind. Die neue Ausstellung des Deutschen Historischen Museums in Berlin (noch bis 30. November) nähert sich dem Phänomen in 21 Stationen an 14 Orten: von Marne, Somme und Verdun nach Tannenberg, Galizien und Tarnów, von Ostafrika ins osmanische Gallipoli, vom italienischen Isonzo nach Petrograd, vom Luftkrieg bis zum uneingeschränkten U-Boot-Krieg auf den Weltmeeren.

Während im Eingangsbereich die neue Koalition des militärisch-wissenschaftlich-industriellen Komplexes angedeutet und heruntergebrochen wird auf das „kleine Leben“ mit Exponaten wie dem Waffenrock von Karl Liebknecht oder dem Abschiedsbrief des schon im Dezember 1914 gefallenen Seeoffiziers Gerhard Baade, versuchen die „Lokaltermine“ einen inhaltlichen Kern zu fassen. Der Überfall auf das neutrale Belgien („Brüssel“) thematisiert die Gewalt gegen die Zivilbevölkerung; die Schlacht bei Tannenberg die Propagandaschlacht; in Galizien führt die Suche nach dem „inneren Feind“ zu dramatischen Übergriffen gegen die Zivilbevölkerung. Für jede Station wurden mehr oder weniger (Ostafrika!) Exponate zusammengetragen, die alle mehr oder weniger spannende Geschichten erzählen.

Was aber dominiert, sind die neuen Waffensysteme: Grabenkeule und Stielhandgranate, Luftminenwerfer und die ersten Maschinengewehre – und natürlich die als Tanks getarnten neuen Panzer. Soweit es sich um die historische Wirklichkeit handelt, ist das evident: kein Krieg ohne Waffen. Doch die bemerkenswerte Faszination, die solche Ausstellungsstücke auf kleinere und größere männliche Besucher auszuüben scheinen, stellt das Ausstellungskonzept auf den Prüfstand.

Denn nicht nur stehen die rund 500 Exponate relativ beziehungslos nebeneinander, auch die teilweise aufwendig aufbereiteten Räume kommunizieren nur wenig miteinander. War der Erste Weltkrieg nun die berühmte Modernisierungsagentur – auch in Bezug auf die Geschlechter? Lässt sich Ähnliches für die Juden konstatieren? Was bedeutete das „Schrumpfen der Welt“ für die Masse bäuerlicher Soldaten und die Erfahrung des neuen Lagersystems für die heimkehrenden Gefangenen?

Die Ausstellungsmacher stellen keine Fragen, sondern vertrauen auf das sprechende Objekt. Doch das Objekt spricht nicht für sich, sondern nur in Kohärenz, in die es gestellt wird und die immer zeitgenössische Konstruktion bleibt. Aber lieber eine gute Konstruktion als ein Grab mit – zugegeben spannenden – Exponaten.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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