Reden wir von den Profiteuren

Weltfrauentag Emanzipation ist mehr als Chancengleichheit und freier Konsum. Bewegungen in anderen Teilen der Welt erinnern uns daran
Ausgabe 10/2013
Gegen Gewalt und Ungleichheit: Frauen demonstrieren in Indien, wo Ende 2012 eine Protestwelle anlässlich der Vergewaltigung und dem Tod einer jungen Studentin aufflammte
Gegen Gewalt und Ungleichheit: Frauen demonstrieren in Indien, wo Ende 2012 eine Protestwelle anlässlich der Vergewaltigung und dem Tod einer jungen Studentin aufflammte

Foto: AFP/ Getty Images

Nimmt man die öffentlichen Erregungszonen einmal als Maßstab, können wir Frauen uns nicht beschweren: Kaum eine Woche, in der nicht die allgegenwärtige Diskriminierung angeprangert, Belästiger durchs mediale Dorf getrieben, eine neue F-Diva, die den Untergang der Männer besingt, aufs Titelbild gehoben oder eine weitere Geschlechtsgenossin an der Spitze der Macht begrüßt würde. Die Top-Frauen streiten für Chefinnen-Quoten und eine Kinderbetreuung, führen Begriffe wie Gender Gap und Empowerment im Munde und machen sich stark für die Freiheit der Wahl, für die der freie Markt die Grenzen zieht.

Es gibt keinen Zweifel: Frauen hierzulande waren die Jobgewinnerinnen in der Globalisierungsphase, und sie werden möglicherweise sogar siegreich aus der Krise hervorgehen, weil sie das Legitimationsvakuum, das uns der Kasinokapitalismus hinterlassen hat, noch am ehesten glaubwürdig füllen können.

Doch auf der anderen Seite hat die Partizipation kein Paradies der Gleichheit und Gewaltlosigkeit hervorgebracht, und interessanterweise werden wir durch Ereignisse in ganz anderen Teilen der Erde daran erinnert. Als im Dezember 2012 die Vergewaltigung einer indischen Studentin das Land in Aufruhr versetzte und den dortigen gesellschaftlichen Konsens, nach dem „Frauen weniger wert sind als ein Wurm“, aufkündigten, brach auch hierzulande ein auf der Strecke gebliebenes Thema wieder auf: Es gibt sie auch bei uns, die alltägliche sexuelle Anmache und Nötigung, obwohl die jungen Frauen heute viel selbstbewusster sind – oder vielleicht gerade deshalb. Da ist keineswegs nur ein „Lynchmob“ unterwegs, wie uns kürzlich der Wiener Philosoph Robert Pfaller einreden wollte, sondern Frauen, die ihre Wut lange weggeschluckt haben. Das musste auch Bundespräsident Joachim Gauck erkennen, der den "Aufschrei" der Frauen in üblich männlicher Verharmlosungsmanier als bloßen "Tugendfuror" abtun wollte; pünktlich zum Frauentag fordert er nun kleinlaut eine "Sexismus-Debatte".

Die Brandkatastrophe in einer Textilfabrik in Bangladesh, die vielen dort unter miesesten Bedingungen arbeitenden Frauen das Leben kostete, machte andererseits auf einen Schuldzusammenhang aufmerksam, den wir gerne verdrängen, wenn wir bei H&M oder neuerdings bei Primark billige Klamotten kaufen.

Die Kosten, die wir als freie Marktsubjekte verursachen, sind kaum bezifferbar. Als Konsumentinnen tragen wir zur Verschwendung von Ressourcen und zum Verschleiß billiger Arbeitskräfte in den Ländern des Südens bei. Bis das schlechte Gewissen ins Langzeitgedächtnis wandert und die Konsumkultur verändert, ist es ein weiter Weg. Und er überzeugt nur, soweit nicht auch hierzulande vor allem Frauen am Ende der Wertschöpfungskette stehen mit entsprechend schlechtem Einkommen.

Wenn diese Woche der Internationale Frauentag begangen wird – der in gewisser Weise ja auch wie ein Ablasshandel zwischen den Geschlechtern anmutet –, dann werden die Festreden davon handeln, dass Frauen zwar über die Hälfte der weltweiten Arbeit verrichten, aber nur ein Prozent des Eigentums besitzen, am meisten zur Ernährungs- und Nachwuchssicherung beitragen, gleichzeitig aber die geringsten Zukunftschancen haben und von männlicher Gewalt bedroht sind. An „Eigenverantwortung“, dieser Zauberfee des freien Marktes, mangelt es Frauen also gewiss nicht. Im Gegenteil wird das Drittel, das weltweit sich und die Kinder alleine durchbringen muss, von all der Verantwortung erdrückt.

Da es mittlerweile wieder gestattet ist, vom Kapitalismus zu reden und das „Ego“ zu kritisieren: Sprechen wir doch auch wieder davon, dass es Männer sind, die von der Arbeitsteilung, die er voraussetzt, profitieren.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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