Grundrecht auf Überwachung

Kommentar Die schwarz-gelbe Koalition will die legale Überwachung am Arbeitsplatz drastisch ausweiten. Die Folgen könnten fatal sein.

Vor genau 23 Jahren stürmten Ost-Berliner Bürger die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße, um die heimlich zusammengetragenen Datenunterlagen vor ihrer Vernichtung zu sichern. Unter anderem die Bespitzelung des eigenen Volkes trug der DDR den Titel „Unrechtsstaat“ ein. Seit den Datenschutzskandalen bei Lidl, Telekom und Deutscher Bahn aber wissen wir, dass zumindest die Privatwirtschaft in Sachen Ausspähung der Stasi die Hand reichen könnte – ohne dass die Unternehmen allerdings mit dem Präfix „Unrechts“ bedacht worden wären.

Immerhin haben die Skandale dazu geführt, dass der 2008 schon einmal in Angriff genommene Beschäftigtendatenschutz im April 2010 erneut aufgenommen und vom Innenministerium in einen konkreten Entwurf gegossen wurde. Seither lag das Gesetzesunternehmen brach, bis Anfang der Woche überraschend bekannt gegeben wurde, dass das Gesetz bis Ende Januar durch den Bundestag gehen soll.

Dem Entwurf ist sichtlich noch der Schrecken über die heimliche Massenausforschung von Beschäftigten eingeschrieben. Er erklärt die heimliche Ausspionierung von Arbeitnehmern grundsätzlich für nicht erlaubt. Auch soziale Netzwerke dürfen nicht mehr als Quelle dienen, etwa wenn es um eine Neueinstellung geht.

Besteht allerdings der Verdacht einer Straftat oder einer schweren Pflichtverletzung, darf der Arbeitgeber gezielt Daten abgleichen, Arbeitnehmer eine gewisse Zeit beobachten oder abhören. So will der Gesetzgeber Unternehmen eine Handhabe geben, um gegen Korruption und Diebstahl vorzugehen. Was aber, wenn sich Beschäftigte an Journalisten wenden, um betriebliche Missstände bekannt zu machen wie bei Lidl? Was, wenn sie Kollegen „aufwiegeln“ und angeblich den Betriebsfrieden stören?

Ein noch grundsätzlicheres Problem ist das Recht auf offene Überwachung im Betrieb, die den Arbeitgebern nun ausdrücklich eingeräumt wird, um ihr Eigentum zu schützen, ihre Anlagen zu sichern oder ganz generell Gefahren abzuwenden. Mit der Ausnahme von Sanitäranlagen, Umkleide- und Schlafräumen ist Videoüberwachung überall erlaubt, also auch in Pausen- und Aufenthaltsräumen. Das gilt auch für Ortungssysteme, soweit sie die „schutzwürdigen Interessen des Beschäftigten“ nicht verletzen. Wer aber entscheidet in betrieblichen Abhängigkeitsverhältnissen, wessen Interessen schutzwürdiger sind?

Geradezu als Aufforderung müssen es Arbeitgeber verstehen, wenn ihnen Überwachungssysteme zur allgemeinen Leistungs- und Verhaltenskontrolle angedient werden, etwa die Überprüfung von Telekommunikationsdiensten. Die auf Vorrat gespeicherte private Email oder das private Telefongespräch kann jederzeit Grund für eine Abmahnung oder eine Kündigung sein.

Die Transparenz, die das Bundesinnenministerum in seinen Grundsätzen hochhält, ist ein zweischneidiges Schwert, denn der Beschäftigte darf so lange zum beobachteten Objekt gemacht werden, wie er darüber Kenntnis hat. Die daraus resultierende Konditionierung des Verhaltens, die die Arbeitnehmer verinnerlichen, könnte möglicherweise wirkungsvoller sein, als es die Machenschaften der Stasi je vermocht hätten.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

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