Vielleicht geht alles auf die Großeltern zurück, die ein Kino besaßen. Denn Judith Butler ist in einer Umgebung aufgewachsen, in der Hollywood die Vorstellungen bestimmte. Die Großmutter orientierte sich an Helen Hays, die Mutter an Joan Crawford und der Großvater an Clark Gable oder Omar Sharif; auch eine Art, wie sich assimilierte Juden in Cleveland, Ohio, um Assimilation bemühen konnten. Jedenfalls, so erinnert sich die 1956 Geborene, habe sie sich schon früh mit Geschlechterstereotypen auseinandergesetzt, noch bevor sie als 14-Jährige entdeckte, dass sie Mädchen mehr mochte als erlaubt und das Wort, das es dafür gab, irgendwie hässlich war.
Es gibt gerade viel politischen Trouble um die Philosophin Judith Butler. Weit mehr, als es G
, als es Gender Trouble je vermocht hätte. Jenes Buch, das sie in den frühen Neunzigern zur Galionsfigur von akademischen Girlies machte, die nichts mehr mit den Parolen der damals noch vergleichsweise jungen „Altfeministinnen“ anfangen konnten. Dass Butler die Frauen aufforderte, die Opfer-Perspektive hinter sich zu lassen, sich vom Identitätsdiktat zu emanzipieren und eine parodistische Geschlechtermaskerade zu initiieren, erschütterte zwar den kleinen feministischen Kosmos, aber kaum die Welt der Realpolitik.Und wahrscheinlich würde die Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises am 11. September an eine US-Wissenschaftlerin, die sich während ihrer Studienzeit in Heidelberg in Hegel versenkte und in Yale reüssierte, mit leisem feuilletonistischen Rauschen erledigt worden sein – hätte sich der Sekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan J. Kramer, vergangene Woche nicht gegen diese bekennende „Israel-Hasserin“ in Stellung gebracht und dabei noch einen verdienten linksliberalen Frankfurter Philosophen und eine streitbare österreichische Schriftstellerin öffentlich abgewatscht.Seither ist die „Schlammschlacht“ für und wider Butler und ihre Berechtigung auf einen Preis, dessen jüdischer Namensgeber Adorno 1933 aus Deutschland vertrieben und auch nach seiner Rückkehr vom bürgerlichen Publikum nicht unbedingt geschätzt wurde, eröffnet.Zur Frau gemachtWenn sie danach gefragt wird, was sie sei, sagt Butler, käme ihr als erstes „gay“ in den Sinn, nicht Frau, Jüdin, Amerikanerin oder Philosophin. Natürlich repräsentiere sie das, aber mit Identitäten hat sie auch in eigener Sache Probleme. Denn was ein Mensch „ist“, ist nach ihrer Auffassung ein Resultat kultureller, sozialer oder sexueller Handlungen und immer abhängig von einem Gegenüber. Man wird zur Frau, zum Mann gemacht, das wissen wir schon seit den Arbeiten von Simone de Beauvoir, einem frühen Vorbild Butlers. Aber gibt es tatsächlich so etwas wie eine Identität, ein „Kern-Ich“? Beauvoir und Sartre hätten das – politische Subjekte, die sie waren – bestimmt bejaht: Franzosen, Kommunisten... Wer könnte daran denn zweifeln?Judith Butler hingegen misstraut Identitäten aller Art. In einem Klima groß zu werden, das zwar Assimilationswilligkeit und Streitfreude förderte, aber Misstrauen gegenüber Fremden ebenfalls, implizierte die Frage „Ist der jüdisch?“ auch immer „Gehört der zu uns?“ Später wiederholt sich das für die junge Frau an der Universität: Bist du Feministin, bist du lesbisch? Vielleicht erinnerte sich Judith Butler da an Spinoza, dem sie als aufmüpfige Jugendliche im Nachhilfeunterricht begegnet war: Der ebenfalls jüdische Philosoph war im 17. Jahrhundert wegen abweichender Meinungen aus seiner Gemeinde ausgeschlossen worden. Und Butler entschied: Sie wollte nicht mehr sagen müssen, was sie ist, wo sie hingehört, wer ihre Gefolgschaft einfordern darf.Nicht anfällig für GewaltDas ist ihr nun in zweierlei Hinsicht zum Fallstrick geworden. Zum einen hat sie sich bei einer akademischen Veranstaltung – man kann sich die Abgehobenheit des Campus in Berkeley gut vorstellen – dazu hinreißen lassen, Hamas und Hisbollah in der „internationalen Linken“ zu verorten, rein politologisch, wie sie nun nachschiebend beteuert und überhaupt nicht sympathisierend. Was ihr abzunehmen ist, denn die Tochter aus gutem Hause ist nicht anfällig für Gewalt. Andererseits hat sie, ganz gegen ihre Prinzipien, ein bisschen kategorisiert, Identitäten verteilt. Außerdem beteiligt sie sich an einem Konsumboykott gegen Israel – eingeschränkt, begrenzt, wie sie betont. Jetzt gilt sie als Nestbeschmutzerin, weil sie sich als Nachfahrin einer Familie, die viele ihrer Mitglieder in Ungarn im Holocaust verloren hat, nicht in die Treuepflicht für den Staat Israel nehmen lässt.Damit setzt man sich aus. In einer Zeit, in der der Dezisionismus neue Urständ’ feiert und der Wille zur Entscheidung nicht mehr nur am Stammtisch eingefordert wird. Aber, hält Butler dagegen, wir Menschen sind doch ohnehin Ausgesetzte und Verletzbare, die der Anteilnahme Anderer bedürfen. Würden wir bei jedem Gewaltexzess, in jeder kriegerischen Auseinandersetzung etwas länger innehalten, in Trauer auch um diejenigen, die auf der anderen Seite stehen, es wäre schon viel gewonnnen.Damit positioniert sich diese Frau, die mit einer anderen Frau einen Jungen aufzieht und auch noch beansprucht, als Frau zu denken, selbst an einer Grenze. Diese Grenzen, betont Judith Butler, sind verletzlich und schützenswert, doch sie lassen sich auch verflüssigen durch gegenseitige Anerkennung: Körpergrenzen, Identitätsgrenzen, Grenzen zwischen Ethnien und Nationen. Damit nicht die Angst vor „dem Anderen“ übergreift. Und sich keine „abweichend“ denkende Theoretikerin und auch keine jüdische Minderheit in Deutschland fürchten muss.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.