Wir Knastbrüder

Justiz Heiko Maas' Gesetzesentwurf zu Verschärfung des Sexualstrafrechts verstärkt einen Trend unserer Gesellschaft, die den Täter überall wähnt, nur nicht in ihrer Mitte
Ausgabe 16/2014

Gefängnishierarchien sind Spiegel der Gesellschaft, sagt man. Kindermörder und Kinderschänder stehen auf der alleruntersten Stufe, und ihre Strafe besteht nicht zuerst im Freiheitsentzug, sondern darin, von den übrigen Knackis traktiert zu werden. Mit der durch den Fall Edathy ausgelösten neuerlichen Debatte um kinderpornografische Bilder und dem strafrechtlichen Schnellschuss aus dem Justizministerium wird noch einmal bestätigt, was im Volk Konsens ist: Wer sich an Kindern vergeht oder sie missbraucht zur eigenen sexuellen Stimulans, gehört nicht zu uns. Da sind wir auch nicht weiter als die Knastgemeinschaft.

Geprägt von diesem Geist hat der neue SPD-Justizminister Heiko Maas nun einen Gesetzentwurf vorgelegt. Das Erstellen von „Posing“-Bildern, also das Ablichten von nackten Kindern in „unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“, soll künftig mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr belegt werden. Ausgenommen sind im Familienkreis angefertigte Fotografien, die dort im sozialverträglichen Rahmen kursieren. Verboten werden sollen außerdem Aufnahmen, die Erwachsene in entwürdigender Weise zeigen und geeignet sind, sie bloßzustellen. Damit übernimmt das Ministerium eine Idee aus Österreich, wo der Tatbestand des „Verbreitens bloßstellender bildlicher Darstellungen“ derzeit diskutiert wird unter Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen. Wer demnächst in einer feuchtfröhlichen Runde feiert, sollte also sein Handy stecken lassen. Fotojournalisten müssen sich künftig gut überlegen, wie viel informative „Bloßstellung“ sie sich noch leisten können.

Die Verschärfung des Sexualstrafrechts bleibt nicht ohne kritische Resonanz: 27 Strafrechtler, Kriminologen und Psychiater haben in einer Stellungnahme vor „Generalisierungen“ gewarnt, weil die Strafverschärfung beispielsweise dazu führen könnte, dass sich Pädophile nicht mehr an Hilfeeinrichtungen wenden und so aus der therapeutischen Fürsorge fallen. Außerdem würde damit eine Bevölkerungsgruppe stigmatisiert, auf deren Konto nur der kleinere Teil von Sexualdelikten an Kindern geht.

Ja, Kinderschutz ist richtig und wichtig. Aber wenn, dann nicht mit gespaltener Zunge. Wem es mit dem Kinder- und Jugendschutz ernst ist, der sollte ansetzen an der flächendeckenden sexualisierten Werbung, die Kinder und Jugendliche zum Objekt macht. Oder an fragwürdigen Vorbildern, die Mädchen (und verstärkt auch Jungs) unter Anpassungsdruck setzen bis hin zur Magersucht. Strafrecht und Ausgrenzung sind der falsche Weg.

Die vom Justizministerium vorgelegte Verschärfung des Sexualstrafrechts ist Ausfluss einer gesellschaftlichen Abspaltungsbewegung, die den Täter überall wähnt, nur nicht in ihrer Mitte. Die Schweizer etwa stimmen im Mai über eine Initiative ab, die verurteilten Pädophilen den beruflichen Umgang mit Kindern verbieten soll. Sie hat gute Chancen, angenommen zu werden. Auch das ist eine Art, mit „schlechter“ Sexualität umzugehen.

Uns übrigen bleibt das berühmte Panoptikum, das Jeremy Bentham im 19. Jahrhundert entworfen hat: Die allgegenwärtige Überwachung bis zur freiwilligen Unterwerfung. Dann ist nicht einmal der Blick auf das Kinderfoto im Portemonnaie mehr harmlos.

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Geschrieben von

Ulrike Baureithel

Redakteurin „Politik“ (Freie Mitarbeiterin)

Ulrike Baureithel studierte nach ihrer Berufsausbildung Literaturwissenschaft, Geschichte und Soziologie und arbeitete während des Studiums bereits journalistisch. 1990 kam sie nach Berlin zur Volkszeitung, war im November 1990 Mitbegründerin des Freitag und langjährige Redakteurin in verschiedenen Ressorts. Seit 2009 schreibt sie dort als thematische Allrounderin, zuletzt vor allem zuständig für das Pandemiegeschehen. Sie ist außerdem Buchautorin, Lektorin und seit 1997 Lehrbeauftragte am Institut für deutsche Literatur der Humboldt Universität zu Berlin.

Ulrike Baureithel

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