Nie ist zu wenig, was genügt!*

Vision Der Bundessprecher der Grünen Wirtschaft Österreich, Volker Plass, wirbt für eine Ästhetik der Reduktion

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Wenn wir weiterhin auf das Modell einer wachsenden kapitalistischen Wirtschaft setzen, ist die Weltwirtschaft am Ende dieses Jahrhunderts rund sieben Mal so groß wie heute. Dass unbegrenztes Wachstum auf einem begrenzten Planeten fatale Auswirkungen hat, muss im Detail nicht ausgeführt werden. Ob man sich den ökologischen Fußabdruck der gesamten Weltwirtschaft vor Augen führt, der etwa 1,5-mal so groß ist wie die für Menschen bewohnbare Fläche auf unserem Planeten; ob man sich das derzeitige Ausmaß an Treibhausgas-Emissionen und deren Unvereinbarkeit mit dem Zwei-Grad-Ziel im Kampf gegen die Klimakatastrophe ansieht; ob die ökologischen Katastrophen, die wir allerorts bereits beobachten können wie Artensterben, Regenwaldabholzung, Überfischung, Wassermangel oder Bodenerosion, als dunkelrote Warnsignale gelten mögen – überall sieht man: Wir leben auf viel zu großem Fuß. Wir müssen unseren Energie- und Ressourcenverbrauch massiv reduzieren.

Wollte man Nachhaltigkeit und Wachstum tatsächlich unter einen Hut bringen, müsste erstens die Energie- und Ressourcen-Intensität unseres derzeitigen Wirtschaftsvolumens um den Faktor 5 reduziert werden. Es ist vielleicht vorstellbar, dass eine derartige Reduktion für einige ganz besonders grüne Produkte oder ganz besonders innovative Branchen gelingen könnte. Weniger vorstellbar ist, die gesamte Volkswirtschaft in diesem Ausmaß zu dematerialisieren. Zweitens: Jedes weitere Wachstum – also alles, was jedes Jahr mehr an Produkten und Dienstleistungen hergestellt, transportiert, gehandelt und konsumiert würde – müsste vollkommen ressourcenneutral erfolgen. Dazu müsste man jedoch die Gesetze der Thermodynamik aushebeln, was nicht gelingen wird, auch wenn es politisch noch so bequem ist, Hoffnung auf ein „grünes“, weil nachhaltiges und intelligentes Wachstum zu machen.

Das „grüne Wachstum“ ist einen Illusion. Trotzdem kursieren immer noch Strategien, zum Beispiel die Effizienz-Revolution. Fraglich ist eben nur, ob allein im technischen Sinne überhaupt ausreichend große Effizienzpotenziale vorhanden sind. Außerdem erleben wir seit Beginn der Industrialisierung Effizienz-Revolutionen am laufenden Band. Effizienzgewinne ermöglichen Produktivitätsfortschritte und sind damit seit jeher der dem kapitalistischen System innewohnende Wachstumsmotor. Zudem sind rund ein Dutzend verschiedener Rebound-Effekte, beispielsweise materielle, finanzielle oder psychologische, bekannt. Diese sorgen dafür, dass wir Effizienzgewinne nicht in Form von Einsparungen, sondern in Form direkter oder indirekter zusätzlicher Leistungen konsumieren. Last but not least: Wären wir auch aus reinem Altruismus bereit, mit höchsten Anstrengungen nach mehr Effizienz zu streben? Wie sehr würden wir uns bemühen, wenn von den erzielten Effizienzgewinnen nicht mehr wir selbst in Form von mehr Komfort oder finanzieller Entlastung profitieren würden, sondern bloß die geschundene Natur?

Eine andere Strategie lautet Umstieg auf eine Dienstleistungsgesellschaft. Das Schlagwort von der „Dienstleistungsgesellschaft“ wird schon allein deshalb der Realität nicht gerecht, weil sich ja im Zuge der Deindustrialisierung unseres Wirtschaftsstandortes unsere Konsumgewohnheiten keineswegs verändert haben. Auch wenn der Anteil des Dienstleistungssektors an der inländischen Wertschöpfung gestiegen ist, importieren wir doch nun viele der zuvor bei uns produzierten Güter aus Fernost. Dementsprechend sind auch die schädlichen Umweltauswirkungen dieser Produktion nicht den Schwellenländern, sondern unseren Volkswirtschaften anzulasten.

Party des 20. Jahrhunderts

Zudem kann der Dienstleistungssektor viel weniger wachsen als die Industrie, da Dienstleistungsbranchen viel geringere Rationalisierungspotenziale haben. Das ist auch einer von mehreren Gründen, warum die früh industrialisierten Volkswirtschaften ihr BIP nicht mehr so leicht steigern können wie früher. Ein Beispiel: Man kann Kinder nicht doppelt so schnell unterrichten, da sie ausreichend Zeit für ihren Lernerfolg benötigen. Und in derselben Zeiteinheit die doppelte Anzahl von Kindern in ein Klassenzimmer zu pferchen, wird auch nicht sinnvoll sein. Die nicht vermehrbare Zeit ist im Dienstleistungssektor ein absolut limitierender Faktor: Man kann zwar, wenn man bereits ein Auto besitzt, ein zweites, drittes, viertes kaufen, man kann aber pro Zeiteinheit nur einmal mit dem Taxi fahren.

Eine Lösung der ökologischen Probleme kann nur in einer „reduktiven Moderne“ liegen. Der Ruf nach Klimaschutz und Nachhaltigkeit ist gleichzusetzen mit dem Ruf nach Genügsamkeit und materieller Bescheidenheit. Wir werden in Zukunft mit deutlich weniger auskommen müssen, wir werden sesshafter leben und uns vegetarischer ernähren, wir werden unsere Produktions- und Wegwerfgesellschaft in eine Weiterverwendungs- und Reparaturgesellschaft verwandeln, das Motto „Benützen statt besitzen“ wird zum Motto einer Sharing Economy. Das ist die vielleicht bittere, aber wenigstens ehrliche Wahrheit. Wer sie nicht akzeptieren will und wer möchte, dass die „Party des 20. Jahrhunderts“ im 21. Jahrhundert unverändert weitergeht oder dass diese Party uns bloß etwas grüner und eine Spur langsamer in die Katastrophe führt, der möge bitte nicht von Nachhaltigkeit und Klimaschutz reden. Die letzten Jahrzehnte hatten jeweils ihre Leitbilder und Paradigmen: Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Ausbau des Sozialstaates, Massenkonsum, Globalisierung, Wettbewerbsfähigkeit ... Die Prinzipien Reduktion und Erlangung von Widerstandsfähigkeit werden die kommenden Jahrzehnte prägen und zu den wesentlichen wirtschaftspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zählen.

Bedeutet das Verzicht? Selbstverständlich! Zivilisatorische Weiterentwicklungen sind meistens mit Verzichtsleistungen der bis dato Privilegierten verbunden. Die Feudalherren mussten im Zuge der Beendigung von Leibeigenschaft und Sklaverei auf kostenlose Arbeitskräfte verzichten. (Das Problem: Zum ersten Mal sind nicht einige wenige, sondern wir alle die Privilegierten eines dauerhaft nicht verträglichen Lebensstils.)

Bedeutet das Unglück? Keineswegs! Die gigantische Verschwendung unserer derzeitigen Lebensweise, der Ressourcenverbrauch für wirklich Unnötiges sowie die unbeschränkt vorhandene menschliche Kreativität bieten genügend Potenzial, die notwendige Reduktion nicht unbedingt als Verzicht, sondern auch als Gewinn eines neuen postmateriellen Wohlstands zu erleben: Wolfgang Sachs nennt diesen Prozess „Entrümpelung, Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung“.

Es wird auch oft vergessen, dass wir unseren heutigen Lebensstil mit teils gigantischen Verzichtsleistungen erkaufen, beispielsweise durch Verzicht auf ein stressfreies Leben. Dazu wird es notwendig sein, die derzeit vorherrschende und bereits von der Industrie weitgehend antizipierte „Ästhetik der Ökologisierung“ (Zukunft als grünere Gegenwart) in eine „Ästhetik der Reduktion“ (Zukunft als reduzierte Gegenwart) weiterzuentwickeln.

Ziele der Transformation

Statt unsere Kreativität für das Design neuer Produkte und damit ständig neuer Bedürfnisse zu verwenden, geht es in Zukunft darum, die Reduktion und die damit verbundenen vermeintlichen Verzichtsleistungen attraktiv zu machen. Dass diese Ästhetik der Reduktion heute von der breiten Masse weder gesehen noch verstanden wird (geschweige denn mehrheitlich zustimmungsfähig wäre), soll uns nicht beunruhigen: Ästhetische Neuorientierungen werden gesamtgesellschaftlich immer erst mit etlichen Jahrzehnten Verspätung rezipiert.

Wesentliche Ziele der Transformation in eine reduktive Moderne sind erstens die Bewahrung zivilisatorischer Errungenschaften wie Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung – bei konsequenter Berücksichtigung ökologischer Grenzen. Beispielsweise würde ein persönliches CO2-Konto durch eine Begrenzung der Emissionen die ökologischen Grenzen respektieren und trotzdem innerhalb des Rahmens absolute individuelle Entscheidungsfreiheit der KonsumentInnen garantieren.

Zweitens sollen marktwirtschaftliche Lösungen angestrebt werden, innerhalb derer innovative Unternehmen eine wesentliche Rolle spielen. Für einen Kapitalismus des rücksichtslosen Profitstrebens ist kein Platz mehr. Innovative, marktwirtschaftliche Unternehmen, die innerhalb entsprechender ökosozialer Rahmenbedingungen miteinander in einem fairen Wettbewerb stehen, können jedoch wesentliche Unterstützer der Transformation sein.


Dieser Artikel ist Teil des Freitag Extra Grün wirtschaften – Nachhaltigkeit weiterdenken in Kooperation mit UnternehmensGrün

Dieser Artikel ist Teil des Freitag Extra Grün wirtschaften – Nachhaltigkeit weiterdenken in Kooperation mit UnternehmensGrün


*Lucius Annaeus Seneca, Römischer Politiker, Philosoph und Schriftsteller (ca. 4 v. – 65 n. Chr.)

Volker Plass ist Unternehmer, Mitglied des Bundesvorstandes der österreichischen Grünen und Bundessprecher der Grünen Wirtschaft Österreich

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Volker Plass | UnternehmensGrün

UnternehmensGrün e.V. ist ein ökologisch orientierter Unternehmensverband

UnternehmensGrün

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