Einmal Ukraine und zurück

Russland Die Entführung des Oppositionspolitikers Leonid Raswosschajew sorgt seit Wochen für Unruhe. Kritiker werfen Putin eine Einschüchterungskampagne vor
Raswosschajew Anfang Oktober vor seiner Entführung aus der Ukraine
Raswosschajew Anfang Oktober vor seiner Entführung aus der Ukraine

Foto: Aleksandr Vaynshtein/AFP/Getty Images

Der Pussy-Riot-Prozess, die Verschärfung des Demonstrationsrechts, das neue Gesetz über Hochverrat – die russische Opposition fühlt sich seit Wochen von Präsident Wladimir Putin erheblich unter Druck gesetzt. Nun sorgt die mysteriöse Entführung des Oppositionellen Leonid Raswosschajew für weitere Unruhe vor allem auf der Linken. Sie sieht eine neue Einschüchterungskampagne des Präsidenten.

Die russischen Strafverfolgungsbehörden verbreiten ihre eigene Version dieser undurchsichtigen Räuberpistole. Das Moskauer Ermittlungskomitee ließ mitteilen, Raswosschajew habe sich am 21. Oktober selbst gestellt und freiwillig ein schriftliches Geständnis abgelegt. Darin bekenne sich der 39-jährige Oppositionelle dazu, blutige Unruhen und einen Umsturz geplant zu haben. Seine Komplizen habe er ebenfalls benannt: Sergej Udalzow, wie Raswosschajew in der sogenannten Linken Front aktiv, und dessen Mitarbeiter Konstantin Lebedjew. Finanziert worden sei der Umsturzversuch von einem georgischen Politiker.

Genau diese Vorwürfe hatte Anfang Oktober der staatliche Fernsehsender NTW in einem Enthüllungsfilm gegen Raswosschajew und seine beiden Mitstreiter erhoben. Dort war – nach Darstellung des Senders – ein mit versteckter Kamera aufgenommenes Treffen der Männer mit ihrem georgischen Partner beim Planen der Verschwörung zu sehen. Als Beleg für das angeblich gefährliche Treiben der Oppositionellen wurden auch die Ausschreitungen bei einer Demonstration in Moskau im Mai angeführt.

Geständnis unter Folter?

Einziger Schönheitsfehler: Raswosschajew widerrief sein angeblich freiwilliges Geständnis prompt und erhob schwere Vorwürfe gegen die russischen Behörden. In Wirklichkeit hätten ihn russische Fahnder in Kiew gekidnappt, als er versuchte, Asyl zu beantragen. Von der Ukraine sei er gewaltsam nach Russland zurückgebracht, inhaftiert und unter Folter zu dem Geständnis gezwungen worden.

Diese Version erzählt auch Ilja Ponomarew, Duma-Abgeordneter der linksgerichteten Partei Gerechtes Russland, für den Leonid Raswosschajew früher im Parlament gearbeitet hatte. Nun unterstütze man gemeinsam die Linke Front, ein 2006 gegründetes Bündnis mehrerer linker Gruppierungen, sagt Ponomarew dem Freitag. Als Raswosschajew im Zusammenhang mit den Umsturzvorwürfen in dem NTW-Film Anatomie des Protests aufgetaucht sei – aus seiner Sicht eine plumpe Fälschung –, habe er seinem ehemaligen Mitarbeiter geraten, erstmal aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, sagt Ponomarew. Dass sich der 39-Jährige für diesen Rückzug die Ukraine aussuchen würde, habe er aber nicht gewusst.

Über Mittag verschwunden

In Kiew wandte sich Raswosschajew am 19. Oktober an eine Partnerorganisation des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge. „In einer Pause während der Beratung kontaktierte der Mitarbeiter das UNHCR, um die Lage zu besprechen, und Herr Raswosschajew wollte in der nahen Cafeteria zu Mittag essen“, erklärt dazu das Flüchtlingskommissariat. Als der Asylsuchende nicht wieder auftauchte, habe sich sein Berater an die Polizei gewandt. Inzwischen bestätigte das ukrainische Innenministerium nach einem Bericht der Agentur Interfax den Einsatz der russischen Ermittler in Kiew und äußerte die Vermutung, russische Geheimdienste könnten dahinter stecken.

Die Moskauer Justiz sagt zum Fall Raswosschajew inzwischen wenig, erhob jedoch Anklage gegen dessen politisch weit prominenteren Kollegen Sergej Udalzow wegen „Planung von Massenaufständen“. Die Opposition hält den ganzen Fall für konstruiert. Er sei nur ein Zeichen für Wladimir Putins zunehmende Nervosität, macht sie sich Mut.

Lesen Sie auch das Interview mit dem Duma-Abgeordneten und Kreml-Kritiker Ilja Ponomarew "Russland ist sehr gespalten"

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Geschrieben von

Verena Schmitt-Roschmann

Verena Schmitt-Roschmann ist Ressortleiterin Politik des Freitag.

Verena Schmitt-Roschmann

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