Interventionen gg.die dt Beschneidungsdebatte

Rezension Das Buch wirft einen spannenden Blick auf eine emotional aufgeheizte und nicht selten rasstisch verlaufende Debatte

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Die Autoren des Bandes "Interventionen gegen die deutsche Beschneidungsdebatte" leisten Wichtiges in Bezug auf die derzeit impulsiv - teilweise gar "hysterisch" - geführte Debatte um die Vorhautbeschneidung bei Jungen: Sie liefern ein Fundament. Heinz-Jürgen Voß stellt heraus, dass medizinisch einiges für die Vorhautbeschneidung spricht. Harnweginfekte kämen bei 2% der unbeschnittenen Jungen bereits im ersten Lebensjahr vor, hingegen nur bei 0,2% der beschnittenen. Zur Prävention von Krankheiten würden von der Weltgesundheitsorganisation insbesondere in Ländern des afrikanischen Kontinents Vorhautbeschneidungen empfohlen. Gut lesbar bereitet Voß auch den weiteren medizinischen Forschungsstand auf - so diskutiert er Fragen der Sensitivität der Eichel und mögliche psychische Auswirkungen, die mit der Vorhautbeschneidung und dem gesellschaftlichen Umgang mit beschnittenen Jungen verbunden sein können.
Zülfukar Çetin und Salih Alexander Wolter nehmen dagegen den Diskurs selbst sowie die populär vorgebrachten Mutmaßungen über die Vorhautbeschneidung in den Blick. Sie zeigen, wie gerade nicht Selbsthilfeorganisationen von vorhautbeschnittenen Männern die Debatte vorantrieben, sondern wie die Debatte geradezu "lanciert" wurde. Insbesondere gehen sie dabei der Rolle des Strafrechtlers Holm Putzke nach. Mit Bezug zu Horheimer und Adorno arbeiten sie heraus, wie in der Debatte - in abendländischer Tradition - selbst in atheistischen Positionen des "Mehrheitsdiskurses" die christliche Trennung von "Körper" und "Seele" vorausgesetzt und andere Positionen als "barbarische", "noch zu zivilisierende" diskreditiert werden. Die Debatte habe damit an frühere debatten angeschlossen. Hingegen hätten die politischen Entscheidungsträger_innen und die medizinischen Fachkreise weitgehend "unaufgeregt" reagiert - und mit dem aktuell verabschiedeten gesetz dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Religionsfreiheit gleichermaßen Rechnung getragen.
Egal wie man in der Debatte steht, bietet der Band wichtige - und zudem wissenschaftlich fundierte! - Anregungen zum Weiterdenken. Er bietet zugleich die unabdingbare Grundlage, auf der man überhaupt nachdenken kann, wie emanzipatorische Religionskritik aussehen kann.

Zülfukar Çetin, Heinz-Jürgen Voß, Salih Alexander Wolter: Interventionen gegen die deutsche «Beschneidungsdebatte» Edition Assemblage 96 Seiten, 9,80 Euro ISBN 978-3-942885-42-3

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Geschrieben von

verqueert

friedenspolitisch aktives Ich mit queerpolitischen Wurzeln, Texte von mir und den mit mir Wohnenden:-)

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