Verdun

Kriegsgefahr Mein Großvater, Jahrgang 1895, überlebte im 1. Weltkrieg als Soldat die Schlacht um Verdun. Ein Erinnerungsbericht, der uns allen eine Mahnung sein sollte.

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Mein Großvater war von Beruf Schlossermeister. Seine große Leidenschaft war die Schmiedekunst. Ein Stück Eisen, das vor dem Schmiedevorgang rot- bzw. weißglühend erhitzt wurde, um es dann in die gewünschte Form zu bringen. Die große Kunst bestand darin, das Eisenstück so zu bearbeiten, dass der Rohling aus einem Stück geschmiedet bzw. gespalten werden konnte. Schweißen war verpönt. Die Endprodukte bestehend aus Tischen, Wand-,Decken und Stehlampen oder Kerzenständern entwarf mein Großvater weitestgehend selbst. Lange saß er über seinen Zeichnungen und Entwürfen, dabei durfte seine Pfeife niemals fehlen. Auch so kann man seine künstlerische Ader ausleben.

Mein Großvater erzählte gerne Geschichten. Eine davon waren seine Kriegserlebnisse in der mörderischen Schlacht um Verdun. Er konnte sehr sachlich, ja fast distanziert darüber berichten. Wahrscheinlich war es für ihn eine Art der Aufarbeitung. Das war mir damals als Jugendlicher jedoch nicht bewusst. In Verdun standen sich von Februar bis Dezember 1916 Franzosen und Deutsche in einem gnadenlos geführten Stellungskrieg gegenüber. Es war eine Materialschlacht ohne Gleichen, in der die Artelleriegeschütze und Maschinengewehre die Szenerie beherrschten. Die Soldaten kauerten in ihren Schützengräben und belauerten sich gegenseitig. Mein Großvater berichtete von Leichenbergen. Weil die toten Soldaten nicht rechtzeitig beerdigt werden konnten, stapelte man sie zunächst auf. Je nach Außentemperatur roch es entsetzlich und die Leichenberge fingen an zu Schwanken. Ein Anblick, den man nicht vergisst. Die Versorgung der Soldaten an den vorderen Frontanschnitten war höchst mangelhaft. Die Soldaten tranken ihren eigenen Urin, um nicht zu verdursten.

In einem Stellungskrieg konnte ein „Landgewinn“ nur erzielt werden, wenn eine Seite seinen Schützengraben verließ und zum Sturmangriff überging. Die Chance, einen solchen Sturmangriff zu überleben, lag bei ca. 10%. Bei einem solchen Sturmangriff hatte mein Großvater Glück im Unglück. Eine Maschinengewehrsalve traf den ersten seiner Kameraden im Kopf, den zweiten im Hals, den dritten in der Brust und ihn letztendlich im Unterschenkel. Er erlitt einen so genannten Beindurchschuss.

Die Verletzung setzte mein Großvater außer Gefecht. Der Heilungsverlauf der Wunde verlief aber nicht wunschgemäß, sondern die Wunde war infiziert und es setze Wundbrand ein. Da blieb nur eins, die Amputation. Nur da kannten die Sanitäter und Ärzte meinen Großvater schlecht. Er verweigerte die Amputation mit der Begründung, dass er mit einem amputierten Bein seinen Beruf nicht mehr ausüben kann. Der Arzt entgegnete ihm „Na gut, dann sterben Sie halt“. Sie schoben meinen Großvater in eine Kammer, der Sterbekammer sozusagen. Durch die Pflege einer Krankenschwester gepaart mit einem unbändigen Überlebenswillen überlebte mein Großvater diese Verwundung und letztendlich auch Verdun.

Im 1. Weltkrieg meldeten sich viele junge Männer freiwillig für den Kriegsdienst. Es herrschte eine regelrechte Hurrastimmung, so als ob es um einen Abenteuerausflug ging, von dem man nach kurzer Zeit mit einem Orden behängt glorreich zurückkehrt. In der Schlacht um Verdun starben über 300.000 französische und deutsche Soldaten. Zählt man die Verwundeten hinzu, waren es insgesamt über 700.000 Menschen. Die Geschichtshistoriker sprechen in dem Zusammenhang von „Verlusten".

Mein Großvater konnte sich der damaligen Hurrastimmung nicht entziehen. Er entwickelte sich aber in der Folgezeit zum totalen Kriegsgegner. Den zweiten Weltkrieg erlebte er nicht mehr als Soldat. Er wurde jedoch „zwangsverpflichtet“ und arbeitete zusammen mit Kriegsgefangenen in der Rüstungsproduktion. Sein Verhältnis zu Nazi-Deutschland war klar ablehnender Natur. Er konnte nie verstehen, dass ein solcher „Schreihals“ wie er Hitler zumeist nannte, an die Macht gelangen konnte.

Warum erzähle ich die Geschichte? Es gibt Parallelen von heute zu damals. Die mangelnde Bereitschaft die Interessen der jeweils anderen Seite gebührend zu würdigen, eine Kriegsrhetorik, die nicht nur von Politikern der USA an den Tag gelegt wird, eine an Bedingungen geknüpfte Gesprächsbereitschaft und eine Spirale der Eskalation, an dessen Ende es nur eines Funkens bedarf, um die Lunte zum Brennen zu bringen. Die Ukraine steht kurz vor einem Bürgerkrieg, weil die Kriegstreiber offensichtlich aus der Geschichte nichts gelernt haben.

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