Dieser Mut ist absolut männlich?

Mundpropaganda Das GQ-Magazin möchte mit der Kampagne "Mundpropaganda" ein Zeichen gegen Homophobie setzen. Die Aktion beweist aber nur, wie rückständig die Debatten noch immer sind

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Dieser Mut ist absolut männlich?

Foto: Screenshot/ Youtube (Making of #Mundpropaganda)

Bitte iss auf, die Kinder in Afrika haben nicht ausreichend zu essen! So oder so ähnlich haben Eltern in der westlichen Welt lange Zeit versucht ihre Kinder zu einem vernünftigen Umgang mit Lebensmitteln zu erziehen. Formal betrachtet ist das ja erst einmal richtig: Es gibt Regionen, in denen Kinder Hunger leiden. Doch leider ist diesen Kindern nicht geholfen, wenn andere Kinder ihre Teller aufessen. Das ist wahrscheinlich auch allen Beteiligten bewusst, es geht vielmehr um die moralische Lehre - ausreichend Essen ist keine Selbstverständlichkeit. Jeder weiß, das Kind mit vollem Magen in Köln rettet kein Kind in Kampala. Deutsche Eltern brauchten den afrikanischen Hunger schlicht um ihre Kinder zu erziehen.

Ähnliche Gedanken gehen mir angesichts der aktuellen GQ-Kampagne gegen Homophobie durch den Kopf. Die Bilder der Kampagne zeigen sich küssende Männer. Unter anderen auch Herbert Grönemeyer und August Diehl. Der Untertitel "Gentlemen gegen Homophobie" soll mich ganz offensichtlich dazu anregen, die sexuelle Ausrichtung der beiden Männer zu hinterfragen. Ok gut. Bei Diehl bin ich mir nicht sicher, bei Grönemeyer erinnere ich mich an die Trauer um seine verstorbene Frau und kann daher zumindest ausschließen, dass er wohl früher homosexuell war. Aber nehmen wir doch einfach mal an, es handele sich um zwei bekennende heterosexuelle Männer, die nun einen gleichgeschlechtlichen Kuss ausführen. Das soll dann wohl in meinem kategorisierenden Kopf den Verdacht eines politischen Zeichens wecken. Oder wie GQ-Chefredakteur José Redondo-Vega es in der Kampagnenbeschreibung ausdrückt: "Sich küssende Heteros – dieser Mut ist absolut männlich". Wow, ich bin stolz auf diese mutigen Männer. Sie setzen ein Zeichen der Toleranz für Homosexualität. Insbesondere für Homosexuelle in Ländern, in denen sie Diskriminierung oder Strafen zu befürchten haben, so Redondo-Vega weiter. Da ist es also wieder das afrikanische Kind. Westliche heterosexuelle Männer (Gentlemen) küssen sich um homosexuellen Männern z.B. in afrikanischen Ländern ihre Solidarität zu bekunden. Doch es ist wieder wie damals am Küchentisch, dem ugandischen Homosexuellen ist durch einen innigen Kuss der deutschen (inszenierten oder nicht) Homosexuellen nicht geholfen. Aber so funktioniert schließlich Solidarität in vielen Kampagnen. Es werden Symbole geschaffen. Symbole die um die Welt gehen sollen, oder so ähnlich. In jedem Fall aber stereotypische Symbole.

Denn was sagt uns die "Mundpropaganda" Kampagne über uns selbst? Ist es nicht bedenklich eine Auswahl von Menschen zu treffen, die sich zuvor als hetereosexuell outen müssen um den Anspruch der Kampagne überhaupt zu genügen um diese dann in einem mutmaßlich homosexuellen Szenario - dem gleichgeschlechtlichen Kuss - ihre Toleranz inszenieren zu lassen? Das sind ganze drei Kategorisierungen in nur einem Bild. Binäres Geschlecht, binäres Sexualverhalten und dann dieses pauschale Reizen jener verkümmerter menschlicher Synapsen, die aus einem gleichgeschlechtlichen Kuss unter dem Motto der Anti-Homophobie einen Akt der Solidarität und damit einen Fortschritt erkennen möchten. Eine gute Tat? Toleranz durch Nachahmung einer gesellschaftlich empfundenen Standardsituation. Vor lauter Standards ist für den Kuss auf diesem Bild eigentlich kein Platz mehr.

Die Kampagne inszeniert den gleichgeschlechtlichen Kuss als Grenzüberschreitung, als nicht normales Verhalten. Normiert bleibt dabei aber immer ein entweder oder - zwei Kategorien der Geschlechtlichkeit und der Sexualität. Dieser Kuss soll einen politischen Akt darstellen. Doch was ist daran politisch, wenn zwei Männer sich küssen (vom "Bruderkuss" zwischen Honecker und Gorbatschow einmal abgesehen) und dabei kurzzeitig aus den ihnen angetragenen (und damit auch erwarteten) Kategorien herausfallen? Das ist fatal. Es wird hier verwechselt, dass Menschen nicht an ihrer sexuellen Ausrichtung, sondern an der gesellschaftlichen Normierung leiden. Was Opfer von sexueller Diskriminierung also brauchen ist nicht Toleranz oder Akzeptanz, es braucht eine Überwindung der Standardisierung. Aber das ist von einem Magazin, das sich explizit an Gentlemen richtet, wahrscheinlich nicht zu erwarten.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jonas Weyrosta

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