Mein Boulevard, der Freitag

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ed2murrow hat ein spannendes Blog in die Community gesetzt mit der Frage: “Was tun die Freitag-Community und ihre Bloggerinnen/Blogger, um die Reichweite von www.freitag.de und/oder www.freitag.de/community zu vergrößern, vom Einstellen von Blogs, Artikeln und Diskussionsbeiträgen abgesehen?”

Erfreulich war die Resonanz mit etlichen Kommentaren, auch Vorschlägen. Uwe Theel steuerte eifrig wie meist ein eigenes Blog bei und fragt den Freitag “Quo vadis”, ins Rheinische übersetzt: wo gehße?.

Eine andere Sorge vieler Mitglieder dieser Communitiy klang auch diesmal an: dass der Freitag-Inhalt flacher zu werden droht und immer mehr ins Boulevardeske abzugleiten.

Das ist nun mein Thema.

Wenn ich das Konzept des neuen Freitag nach etlichen Andeutungen richtig verstanden habe, geht es Herausgeber und Redaktion nicht um ein neues Boulevardblatt. Sondern um eine anspruchsvolle linke Wochenzeitung, in der auch linker Boulevard seinen Platz haben soll, und zwar einen wichtigen.

Fragen wie:

- was ist Boulevard?

- was ist linker Boulevard?

müssten geklärt werden.

Boulevardzeitungen pflegen oft sensationsorientierte Aufmachungen, große Überschriften und großflächige Fotos. Auffällige Farben und plakative Schlagzeilen werden verwendet. Oftmals wird das Titelblatt übersichtlich gestaltet. Bilder und Überschriften nehmen in den meisten Boulevardzeitungen den überwiegenden Platz ein, die Texte sind in der Regel kurz, werden allerdings oft mittels hoher Sprachökonomie verdichtet. Auf Hintergrundinformationen wird häufig verzichtet. In Boulevardzeitungen werden vor allem Themen behandelt, die sich zum Ansprechen von Emotionen eignen. Nachrichten mit deutlich sachbetontem Gegenstand werden personifiziert, oder weniger bedeutsame emotionale Komponenten werden der Kernaussage zugeordnet. (Dieser Kurzbeschreibung, gefunden bei wikipedia, stimme ich zu.)

Linker Boulevard hat keine Tradition. Es gab ihn bisher kaum. Wir erleben im Freitag Tastversuche linken Boulevards. Dazu gehören Service, Servicebeiträge etwa zum Kochen oder Gärtnern. Auch Lifestylethemen sind Boulevard. Und Lebenshilfe. Einige Beispiele: Für besonders gelungenen linken Boulevard halte ich die Rubrik Koch oder Gärtner, wo es eben nicht nur um Rezepte oder Furchenabstände geht. Oder das Interview von Mikael Krogerus mit Toni Schumacher, dem früheren Fußballtorwart.

Was sonst noch linker Boulevard wäre, sollte diskutiert werden.

Linken Journalismus macht nicht das demonstrative Linkssein aus. Ich bezweifle, dass der Freitag einen "genuin linken redaktionellen Inhalt" (den verlangt Uwe Theel) anstreben sollte, es sei denn, man will ein Kampfblatt. Was unter einem genuin linken redaktionellen Inhalt überhaupt zu verstehen sei, fragte ed2murrow. Genau darum geht's.

Ich meine, irgendwie links orientierter Journalismus unterscheidet sich von rechtslastigem Journalismus, dass der eine gut ist, der andere nicht. So einfach ist das. Gut bedeutet: es wird nicht bewusst gelogen, nicht manipuliert, es wird auf Merchandising verzichtet. Inserenten haben auf keinen Fall Einfluss auf redaktionelle Inhalte. Parteien und ihre Politiker werden kritisch begleitet. Gut heißt: seriös, überprüfbar, ehrlich. Es geht um journalistische Qualität, gerne auch Qualitätsjournalismus genannt.

Zu diesem Thema bietet die Redaktion aktuell ein Interview.

Das klingt nach wenig, aber welches Medium hat all das zu bieten, um das die Freitag-Redaktion, viele hier in der Community sich so sehr bemühen? Schön, das klingt naiv, aber ich bin eben blauäugig von Geburt. Und ich behaupte, so oder ähnlich definierter Qualitätsjournalismus ist links. Per se.

Ein Blatt “mit genuin linkem redaktionellen Inhalt”, geprägt von welcher linken Spezialsparte auch immer, hätte in jeder Ausgabe sich damit auseinander zu setzen, wie genuin links dieser oder jene Beitrag denn gewesen sei. Wer kennt die Kriterien für “genuin links”? Und wer will schon ewige Diskussionen um genau diese Frage?

Die Linke in Deutschland taumelt seit mindestens 20 Jahren in einer Art von Suchbewegungen, vor und zurück, hin und her. Manche Orientierung geben Bewegungen wie attac, Antifagruppen, Greenpeace oder foodwatch, Initiativen wie Sozialistische Moderne, Parteien wie die Linke und auch Vertreterinnen und Vertreter von SPD und Grünen. Sie alle brauchen Rundbriefe, Zentralorgane oder sonstige Kommunikationsformen für die Stärkung des inneren Zusammenhalts, für die Meinungsbildung. Gut so, wenn's klappt. Hat aber nicht mit dem Freitag zu tun.

Sollte der Freitag es schaffen, das Plauder-, Diskussions-, Serviceorgan vieler der (irgendwie) Linken zu werden, wäre das ein Schritt nach vorn für alle, die eine Art schwarzgelbes Unbehagen empfinden. Streit, Wut, Spaß, Tränen, Erotik sollten stattfinden. Hauptsache: nicht ausgrenzen; ich finde es gut, dass Politiker sich hier gelegentlich zu Wort melden, Willi Wimmer (CDU), Wolfgang Gehrcke (die Linke) … .

Mediadaten und Leseranalysen zum Freitag für die Werbewirtschaft, auch darum geht es in der Diskussion, würde ich so zusammenfassen: Das linke Blatt in Deutschland mit den intelligentesten Lesern, der klügsten Redaktion (nun ja, ich wollte nett sein), bestes Blattdesign weltweit, laut diverser awards. Die ideale Zielgruppe für anspruchsvolle Verlage, Kursanbieter, Kulturreisen-Anbieter … und so weiter. Und dass es keine Kleinanzeigen-Seiten im online-Freitag gibt, ärgert mich schon lange.

Henner Michels

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

weinsztein

Journalist. Lebt vorwiegend an der türkischen Ägäis. Guckt auf griechische Inseln. Kocht gern.

weinsztein

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