Claudia, nerv weiter!

Grüne Trotz ihrer schweren Niederlage bei der Urwahl zur Spitzenkandidatur tritt Parteichefin Roth wieder an. Gut so. Ein Kommentar
Macht weiter: Grünen-Chefin Claudia Roth
Macht weiter: Grünen-Chefin Claudia Roth

Bil: Kay Nietfeld/dpa

Claudia Roth ist hart im Nehmen. Trotz ihres schlechten Abschneidens bei der Urabstimmung will sich die 57-Jährige am Wochenende zur Wiederwahl als Grünen-Chefin stellen. Der Partei wird es gut tun.

Es gehörte schon immer ein gehöriges Stück Leidensfähigkeit dazu, bei den Grünen in der vordersten Reihe für Ideale wie Solidarität und Mitmenschlichkeit zu kämpfen. Die Partei dankte es ihren herausragendsten Köpfen oft damit, dass sie erbarmungslos auf sie einschlug.

Daran zerbrach Petra Kelly, darüber beklagte sich auch der zeitweilige Superstar Joschka Fischer. Und nun traf es Claudia Roth, die 1985 eher durch Zufall, über eine Stellenanzeige in der taz zur Pressesprecherin der Fraktion wurde und in den Politikbetrieb hineingeriet.

Seit acht Jahren ist die Claudia, immer gefühlsbetont und ein wenig schrill, herzensgut und voller Humor, Co-Vorsitzende der Grünen. Mit ihnen ist sie in die Jahre gekommen. Vielleicht war auch das ein Grund für beide, zurückzuschauen und die in vieler Hinsicht verloren gegangenen Ideale der Basisdemokratie wenigstens in einem Punkt wiedererstehen zu lassen: in Form jener Urwahl, die Roth mitinitiierte und die ihr nun einen scheinbar so harten Schlag versetzte.

Ganz schön herb

Ja, es war eine „herbe Klatsche“, wie sie am Montag sichtlich gebeutelt zugab. So herb, dass die ehemalige Managerin der Anarcho-Band „Ton Steine Scherben“ erst nach langem Zureden die Kurve kriegte und statt ihres Rückzugs die erneute Kandidatur zur Vorsitzenden ankündigte.

Die Schmach, weit abgeschlagen nur vierte hinter Jürgen Trittin, Katrin Göring-Eckardt und Renate Künast geworden zu sein, saß tief. Aber von ungefähr kam diese Niederlage nicht. Die Zeiten, als die Grünen Kinderbilder oder Anti-Atomslogans auf ihre Plakate malen konnten, sind so lange vorbei wie die Selbstdefinition als Anti-Parteien-Partei.

Die Wähler und mit ihnen die Grünen-Mitglieder wollen inzwischen repräsentative Gesichter sehen. Die Selbstironie der umtriebigen Vorsitzenden, die sich eigens für ein Transparent mit der Frage „Wer kann mehr nerven als Claudia“ entschied, passt da nicht mehr ins rechte(r gewordene) Bild. Ein ähnliches Schicksal ereilte ja auch Renate Künast, die beim besten Willen oft nur ein verkniffenes Lächeln zustande bringt.

Die präsentablen Eminenzen

Wie präsentabel wirkt da die graue Eminenz Jürgen Trittin, der sich daran erinnern mag, wie er zu Zeiten der rot-grünen Koalition als Watschenmann – Stichworte: Dosenpfand, Benzinpreise – herhalten musste. Oder eben die zweitplatzierte Theologin Göring-Eckardt, die den Grünen als Präses der evangelischen Kirche endgültig den Nimbus des Bürgerschrecks nimmt.

Man mag es beklagen, aber diese Urwahl war alles andere als ein Zurück zu den Wurzeln, die Entscheidung war ein Casting, die Auswahl der richtigen Werbekampagne für die Zielgruppe Wähler. Es ging nicht Inhalte, um Linke oder Bürgerliche, Rot-Grün oder Schwarz-Gelb, es ging den knapp 62 Prozent der Mitglieder offensichtlich vor allem ums Verkaufen – hoffentlich noch einer Idee.

Und da wirkt Claudia Roth mit ihrem Hang zu schreienden Farben, Auftritten zum Fremdschämen – wie zuletzt hüftschwingend in einem türkischen Spielfilm – und befremdlichen Freundschaften wie mit dem früheren bayerischen Innenminister Günther Beckstein doch allzu sehr wie ein Paradiesvogel.

Das "Seelchen"

Ihre Verdienste um die Partei schmälert das jedoch kein bisschen. Sie hat die Grünen davor bewahrt, zu sehr ins Graue abzurutschen, hat manche Auseinandersetzung in ihrer mütterlichen Art geschlichtet und auch jetzt wieder gezeigt, worauf es eigentlich ankommt. „Es geht nicht um mich“, sagt sie einfach und uneitel. Es gehe um die Ablösung einer unfähigen Regierung. Fast so wie der einstige SPD-Zuchtmeister Herbert Wehner, der auf die Frage nach seiner Rolle in der Politik antwortete „Ich dien'“.

Ja, Claudia Roth dient, trotz alledem, als „Seelchen“ ihrer Partei und diesem Gemeinwesen, ohne sich bereichern oder sich seiner bemächtigen zu wollen. Das ist viel im derzeitigen Politikgetriebe, das ist sehr viel. Und die Partei wird ihr es am Wochenende mit überwältigender Mehrheit danken und die bitteren Stunden der vergangenen Tage vergessen lassen. Politikerinnen vom Schlag einer Claudia Roth werden dringend gebraucht. Auch wenn sie manchmal nerven.

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Geschrieben von

Wolfgang Heininger

Der 53-Jährige war bereits mit 16 als Journalist tätig. Nach dem Studium kam er 1987 zur Frankfurter Rundschau. Zuletzt war er Nachrichtenredakteur.

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