Die Debatte über Heideggers SCHWARZE HEFTE

Worum geht es? Heideggers „Denken des Seins“, das dem Sein gehört und auf das Sein hört, soll endgültig als faschistisch „entlarvt“ werden. Warum?

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Worum geht es in der Debatte um Heideggers „Schwarze Hefte“?

Die große Mehrheit der FeuilletonistInnen verfolgt zwei Ziele: Erstens soll der Mensch und Autor Heidegger aufs Neue als Antisemit, Rassist und Hakenkreuz-tragender Nazi-Philosoph erledigt werden. Das, worum es aber eigentlich geht, ist die Diskreditierung des Heideggerschen Denkwegs als Naziphilosophie. Heideggers „Denken des Seins“, das dem Sein gehört und auf das Sein hört, soll endgültig als faschistisch „entlarvt“ werden. Warum?

Heideggers Denkweg ist grund-stürzend und deshalb gefährlich. Denn er führt in die Besinnung auf den Übergang zum anderen Anfang als Wiederanfang des ersten Anfangs. Nichts bleibt so, wie es war. In diesem Übergang wandelt sich auch das Wesen des Menschen: „Der Mensch ist nicht der Herr Seienden. Der Mensch ist der Hirt des Seins. […] - >Ek-sistenz< ist die Wächterschaft, das heißt die Sorge für das Sein.“ (Über den Humanismus). „Die Hirten wohnen unsichtbar und außerhalb des Ödlandes der verwüsteten Erde, die nur noch der Sicherung der Herrschaft des Menschen nützen soll.“ (Überwindung der Metaphysik)

Ist solch ein Übergang zum Anderen Anfang vereinbar mit kapitalistisch-technischen Verwertungsverhältnissen? Ist der Hirtenmensch und Treuhänder des Seins kompatibel zu den spätmodernen, entfremdeten „Leistungs“subjekten? – doch eher nicht!

- weil Heidegger auf-deckt, dass die drei großen Weltanschauungen der Moderne, Nationalsozialismus, Kommunismus und Amerikanismus (= Demokratismus), wesentlich der gleichen nihilistischen und subjektivistischen Logik von Wert- und Unwertsetzungen entspringen;

- weil es Heidegger um die Überwindung des rechnenden, berechnenden, wertschätzenden, ausbeutenden, züchtenden, planenden, angreifenden Subjekt-Menschen geht. Ist es nicht so, dass sich dieser Subjekt-Mensch zum Maß aller Dinge setzt? Verdinglicht er nicht alles zum Zwecke seiner Selbststeigerung? Vernichtet er nicht, was ihm als minder- oder unwert scheint?

- weil summa summarum Heideggers Denken gegen einen gewalttätigen Subjektivismus an-denkt, der –in welcher politischen Gestalt auch immer- bedenkenlos Erde und Welt zugrunde richtet.

Deshalb soll sein system-gefährdendes Denken für alle Zeiten als rassistische und antisemitische Ausformung der Naziphilosophie un-denkbar gemacht werden. Und gerade deshalb ist es unerträglich zu lesen, dass Heidegger in seiner Phase von „Irre und Schuld“ das Denken in Werten, das rechnende Denken, den (be)rechnenden Geist, „die zähe Geschicklichkeit des Rechnens und Schiebens und Durcheinandermischens“ dem Judentum zuschreibt. Diese Zuschreibung ist schlimmer Un-Sinn, die aber seine Kritik des „Denkens in Werten“ in keiner Weise diskreditiert. Das rechnende Denken kennzeichnet das Wesen der Subjekte und des Subjektivismus der abendländischen Moderne, nicht aber das Wesen des Judentums oder einzelner Völker oder Religionsgemeinschaften.

Wenn nun Heidegger die Herausgabe seiner „Schwarzen Hefte“, die verstreut solchen Un-Sinn enthalten, zum krönenden Abschluss seines Denkweges bestimmt, dann kann das als seine eigenste paradoxe Weise entziffert werden, seine zeitweiligen Irrwege zugänglich zu machen..

Heidegger hat diese Debatte genau so gewollt, wie sie sich ereignet.

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EINLADUNG: Das ehrenamtlich durchgeführte Autonome Seminar an der Humboldt- Universität bietet seit vielen Jahren Lektürekurse zu Heideggers Denkweg an.

Zuletzt lasen wir Heidegger: „Was heißt Denken?“ – davor seinen Aufsatz: „Zeit des Weltbildes“ und Heideggers, Nietzsches, Schopenhauers und zen-buddhistische Antworten auf „die Frage nach dem Nichts“. Im Sommersemester 2014 werden wir voraussichtlich das Spiegel-Interview „Nur noch ein Gott kann uns retten!“ lesen.

Die Teilnahme ist offen und entgeltfrei für alle. Die Debatte um die Schwarzen Hefte und das Spiegel-Interview wird zu Readern zusammengestellt. Bitte kostenlos anfordern unter

eMail: autonomes.seminar@t-online.de

Dort können Sie auch die Termine des Sommersemesters 2014 erfragen.

Herausgeber: Plattform Anderer Anfang – Kontakt: anderer.anfang@t-online.de

V.i.S.d. Pressegesetzes: Wolfgang Ratzel, Tel. 030-42857090 - Berlin, den 24. März 2014

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Wolfgang Ratzel

Aus einem drängenden Endbewusstsein entsteht der übermäßige Gedanke an einen anderen Anfang.

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