Argumente, die nicht vergehen wollen

Antisemitismusstreit .In Diskussionen um Beschneidung und Adornopreis tauchen immer wieder wohlbekannte "Argumente" auf. Eine historische Erinnerung.

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Bedrückt Sie die Finanzkrise? Aber natürlich! Schlimm! Und die Arbeitslosigkeit? Furchtbar! Aber wissen Sie, was mich aufregen kann, das ist diese blutige Beschneidung der unschuldigen Babies. Warum machen die das?! Und dass die sich immer einmischen müssen. Wie beim - wie heißt der nochmal - Adornopreis.

Es geht wieder einmal um Bedrohliches. Es geht um Juden. Genauer: um die Circumcision und um Judith Butler. Noch genauer: um die Reaktion jüdischer Organisationen. So voll war das Sommerloch selten. Volkserregungen von ganz rechts bis irgendwie links.

Dabei geht es doch nur um die strenge Majestät des Rechts in unseren Gesetzen. Und darum, dass man alles kritisieren kann, wenn man aber über "die Juden" spricht, man von der gesamten Presse als Barbar und Religionsverfolger gebrandmarkt wird. Die Sprache zeigt: hier spricht jemand aus dem 19. Jahrhundert, und zwar der berühmte Historiker von Treitschke in den "Preußischen Jahrbüchern", Novemberausgabe 1879 .

Der Text ist mit "Unsere Aussichten" betitelt und gilt als Initialtext eines Streites (nicht nur) unter Historikern, des "Antisemitismusstreites". Treitschke, den schon 1871 der Groll über die kolossale Macht der Juden obsediert , geht es vor allem um die treue Eintracht zwischen der Krone und dem Volke. Daraus schlußfolgert er den Kampf gegen die "inneren Feinde", konkret: die SPD und die Juden. Die SPD war durch das Sozialistengesetz matt gesetzt. So blieben die anderen "Gespenster" (Hofprediger Stoecker).

Was wir von unseren israelitischen Mitbürgern zu fordern haben, ist einfach: sie sollen Deutsche werden - unbeschadet ihres Glaubens und ihren alten heiligen Erinnerungen, die uns Allen ehrwürdig sind, schreibt Treitschkscheinbar konziliant, um dann vor "deutsch-jüdischer Mischkultur zu warnen. Er stellt zudem fest, dass in neuster Zeit ein gefährlicher Geist der Ueberhebung in jüdischen Kreisen erwacht ist. So konstatiert er bei dem jüdischen Historiker Heinrich Graetz eine "fanatische Wut", "Todeshass", "beleidigende Selbstüberschätzung", "hämische Schimpfreden". Bedrohlich empfindet er die betriebsame Schar der semitischen Talente des "Literatenschwarms", und vor allem natürlich das unbillige Uebergewicht des Judenthums in der Tagespresse. Seine literarische Bête noire ist - natürlich - Börne (nicht Broder), der in unsere Journalistik den eigenthümlich schamlosen Ton einfürhte. Der Text kulminiert im seitdem bekannten: die Juden sind unser Unglück!

Der Aufsatz schlägt Wellen. Antisemitismus ist in der damaligen Zeit wahrlich nichts Neues. Hier jedoch repräsentiert der Autor die Universitas der Gelehrten. Hier spricht das symbolische Kapital des deutschen Professors. Allerdings gibt es sofort Widerstand. Der kritisierte Heinrich Graetz sc hreibt in seiner prompten Erwiderung von einer in Baumwole gewickelten Angriffswaffe gegen die Juden in Deutschland, weist Treitschke falsche Zitate nach und endet mit einem essentialistischen (Shlomo Sand) "Gegenschlag": Kein Strafgesetz, keine physische Tortur kann bewirken, dass eine höhere Rasse von einer niederen aufgesogen oder zerstört werde, ein Satz, der einen Antisemiten natürlich nur anstacheln kann.

Treitschke reagiert prompt in seinen Jahrbüchern: "vollendete Selbstgerechtigkeit", "Mitschuld des Judenthums an dem Unfrieden", das "ganze Füllhorn deutscher Entrüstungssuperlative" findet er bei Graetz, der ein Fremdling auf dem Boden seines zufälligen Geburtslandes sei. Es ist evident: manche "Argumente" wiederholen sich bis heute. Auch, dass Treitschke am Ende seinem Opponenten die Auswanderung empfiehlt. Graetz reagiert bitter ironisch: Ich werde Ihnen nicht mehr antworten... und bittet: machen Sie meine Religion und Stammesgenossen nicht für das verantwortlich, was ich geschrieben habe.

Die Kollegen Treitschkes, darunter Droysen, Battenberg und Mommsen nehmen gegen ihn Partei. Der spätere Nobelpreisträger Theodor Mommsen bedauert zunächst in einem Leserbrief an die Nationalzeitung (19.11.1880), dass Treitschke das Evangelium der Toleranz nicht predigt, das Lessing gepredigt hat. Er erinnert den Professor an seine Aufgabe als Lehrer. Was heißt das, wenn er (Treitschke) von unseren jüdischen Mitbürgern fordert, sie sollen Deutsche werden? Sie sind es ja, so gut,wie er und ich. Treitschke habe den Bürgerkrieg gepredigt.

Der Gescholtene geht zur Gegenattacke über. Zunächst allgemein: an den Juden läge es, die "Verstimmung" zu beseitigen. Aber sie hätten das Judentum der ausländischen Presse ins Feld gerufen, sie haben offenbaren Terrorismus geübt (10.12.1880). Dann wendet er sich höflich an den Kollegen Mommsen. Er habe keinen Einfluss auf die antisemitischen Aktionen seiner Studenten genommen. Mommsen wiederum reagiert mit einen für einen deutschen Professor der Zeit mutigen Satz: Wenn ein Theil meiner Mitbürger von einem Berliner Universitätslehrer, der noch manches andere thut als dociren, gemißhandelt wird, dann stecke ich den Professor in die Tasche.

Aber weder Mommsen noch die liberalen Politiker Bamberger und Richter (die SPD bleibt stumm) können verhindern, dass die deutschen Antisemiten in den achtziger und neunziger Jahren an Zahl zunehmen ("Antisemitenliga", "Soziale Reichspartei", "Deutscher Volksverein"). Es sind viele, die so denken wie die Debattenteilnehmer Endner und Naudh. Ersterer sei aus aktuellem Anlass leider etwas länger zitiert:

Das, was den Juden dem Deutschen fremdartig macht, ist nicht bloß die Race, die sich in seiner äußeren Erscheinung offenbart, - seine Gebräuche, Ceremonien, Anschauungen, die sich auf die jüdischen Gesetze stützen, hindern ihn gewiss ebenfalls in hohem Grade, sich dem Deutschen in seiner Art und Weise zu assimilieren (Zur Judenfrage, 1880)

Und so hatte zwar - Walter Boehlich zufolge - der liberale Mommsen den verstockten Konservativen Treitschke in die Tasche gesteckt, aber nur für den Augenblick.

Walter Boehlich (Hrsg.), Antisemitismusstreit. Frankfurt 1965

Shlomo Sand, L'invention du peuple juif. Paris 2008

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