Hollandes Wende

Ausgewechselt Die Sozialdemokratie ist nicht einmal mehr für Überraschungen gut. Überraschend ist nur noch, dass man ihr diese trotzdem immer wieder zutraut

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Hollandes Wende

Foto: ALAIN JOCARD/AFP/Getty Images

Schon vor den Bundestagswahlen war es klar, dass die SPD Minor in einer großen Koalition sein würde. Und dennoch haben wir bei nach aller außen präsentierter Coolness auf einen gegenteiligen Mitgliederbeschluss gehofft. Schon vor den Präsidentschaftswahlen war es klar, dass Hollande, sollte er es denn schaffen, seine 60 vage formulierten "Engagements"nicht einhalten würde. Und trotzdem lag für kurze Zeit ein Hauch von Volksfront in der Pariser Luft.

Und jetzt, nach eineinhalb Jahren Présidence, erscheint ein sichtlich angeschlagener Hollande, vor der Presse, um neben seinem Seelenzustand auch sein "Cap économique et social" für das Jahr 2014 zu kommunizieren. Bleiben wir bei der politischen Ökonomie (obwohl gerade Hollande ein Beispiel für das Politische des Privaten darbietet): Mit diesen Programm hätte er die Wahl verloren. Er hätte er sich nicht einmal als das kleinere Übel darstellen können.

Ein "vom Médef geschriebenes Unternehmergeschenk", urteilt die Humanité, ein "neuer Pro-Unternehmens-Schock", formuliert Libération. In Deutschland freuen sich die Leitmedien über den "Kurswechsel" Hollandes (SZ, so ähnlich die FAZ). Die CDUbegrüßt den "Paradigmenwechsel". Und dies überrascht wirklich nicht. Für Frankreichs in der Tradition eines Léon Blum stehenden Präsidenten gilt fortan explizit das Say'sche Gesetz: Jedes Angebot schafft seine Nachfrage. Der keynesianische Staub wird "entsorgt". Von nun an sind die Unternehmen von Sozialausgaben für Familienleistungen um die Petitesse von 30 Milliarden zu entlasten. Die Staatsausgaben sollen noch in diesem Jahr um 15 Milliarden, bis 2017 um die Kleinigkeit von 50 Milliarden reduziert werden. Austeritätspolitik pur zum Zwecke der Stärkung der "Combattivité, der Konkurrenzfähigkeit Frankreichs." Hollande kann sich des Beifalls derer sicher sein, denen das "alte Frankreich"schon immer ein Dorn im Auge (besser im Portfolio) war.

H. Flassbeck bescheinigt zurecht Hollande, ein "moderner Sozialdemokrat" geworden zu sein und stellt ihn in die Reihe der Blairs und Schröders, der schnieken Führer der "neuen Arbeiterbewegung"... von gestern. Der versprochene "Changement" ist ausgefallen. Übrig geblieben sind die verlorenen Illusionen und die begrabenen Hoffnungen derer, die im Mai 2012 die Rose in der Faust in den Frühlingshimmel reckten.

Dabei hätte die historische Erfahrung immunisierend wirken können. Schließlich sind die Parallelen zur Ära Mitterrand frappierend. Dieser wird im Mai 1981 mit 52,2 Prozent Präsident. Allerdings ist dieser Sieg - wie auch der Hollandes - eher die Niederlage des rechten Gegners (Giscard d'Estaing). Und wie vor eineinhalb Jahren kommt es - allerdings pompöser - zu einer volksfrontartigen Inszenierung: Mitterrand schreitet als neuer Präsident zum Panthéon, um dort Jean Jaurès (Sozialismus), Jean Moulin (Résistance, Gaullismus) und Victor Schoelcher (Abschaffung der Sklaverei, Menschenrechte) zu ehren.

Der von Mitterrand versprochene "Changement" wird - und hier liegt ein Unterschied - tatsächlich energisch angegangen. Seine Eckpfeiler sind Nationalisierung, Planifizierung, Dezentralisierung und soziale Reformen. Manche Historiker sprechen von einem regelrechten "Transformationsfieber". Die Arbeitszeit wird verkürzt, die Massenkaufkraft erhöht, die Reichen und die Superreichen stärker besteuert.

Doch bringen genau diese Maßnahmen im ökonomisch vernetzten und sich von Keynes abwendenden kapitalistischen Europa eine enorme Inflation mit sich ((14,1 Proz. im Jahresdurchschnitt 1981). Schon damals kommt die erhöhte Kaufkraft dem Import aus billiger produzierenden Ländern zugute, der Bundesrepublik zum Beispiel. Frankreich muss mehrmals deutlich abwerten (dieses Instrument steht Hollande nicht mehr zur Verfügung), die Arbeitslosigkeit steigt trotz (liberal gedacht "wegen") der politischen Gegenmaßnahmen.

Die Probleme verschärfen die innerparteilichen Konflikte zwischen den antiliberalistischen Sozialisten (Chevènement) und den Marktwirtschaftlern (Delors). Schließlich entscheidet sich Mitterand im Jahr 1983 für den Markt. Binnen kurzem wird aus dem "Changement" ein "Tournement", eine Wende. Der "Compromis social du capitalisme industriel" (Robert Castel), der die Klassengesellschaft nicht beendete, deren "Schlachtgrollen" (Foucault) in der Ferne grummelte, wird schmerzhaft langsam zu Grabe getragen. Die "große Metamorphose" bedeutet das Ende der Arbeitsplatzsicherheit, mehr Angst und Druck bei der Arbeit, weniger Gewerkschaftsmacht, mehr Individualismus. Die neunziger Jahre kündigen sich an. Die Blairs, die Schröders...

Interessant ist eine personale Kontinuität. Mitterrand macht den erst 38jährigen Laurent Fabius zum Minister für Wirtschaft und Energie (!). Dieser hebt bestimmte Nationalisierungen auf und schafft es, ganze Regionen zu ent-ökonomisieren (le Nord, Lothringen). 1984 wird er gar Ministerpräsident. Er liberalisiert die Wirtschaftspolitik konsequent, senkt die Staatsausgaben, bringt spektakuläre Börsengewinne und steigert ... die Arbeitslosigkeit, vor allem junger Leute. Heute ist er einfluss- und beziehungsreicher Außenminister.

Bei den Europawahlen 1984 (auch hier ergibt sich eine aktuelle Parallele) siegt allerdings die Rechte, und während die KPF unaufhaltbar schrumpft, erzielt der Front national erste Erfolge. 1986 gewinnen die rechten Parteien knapp die Parlamentswahlen. Ministerpräsident wird ein gewisser Jacques Chirac. Die Kohabitation (rechter Ministerpräsident, sozialistischer Präsident) kann beginnen - eine große Koalition 'a la francaise.

Déjà-vus also, wohin man blickt. Im kapitalistischen Krisenkontext versuchen traditionsbewusste Sozialisten 1981 einen echten Wechsel. Ihre linkskeynesianisch orientierten Maßnahmen müssen im damaligen europäischen Kontext scheitern. Sie halten auf halbem Wege inne - und werden - wenn sie authentisch sind, unter Druck, ansonsten nicht ungern - selbst liberal. Heute ist die europäische Dimension noch deutlicher: eine linke Regierung hat nicht einmal mehr die Instrumente der Auf- und Abwertung. Die Gewerkschaften können oder wollen nicht europäisch re-agieren. Wenn der Änderungswillen Hollandes ernst gemeint war, hätten ihn seine deutschen Genossen mit allen Mitteln unterstützen müssen. Sie hätten dann im Wahlkampf auf das französische Beispiel verweisen können. Aber statt dessen schreiben sie lieber Spardiktate für Europa - und sind stolz darauf.

Wir hätten es wissen müssen: Hollande hatte keine reelle Chance. Wenn er diese aber wenigstens so heroisch verteidigen würde wie sein Privatleben!

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