Was Gauck meint, wenn er redet

Kriegsrhetorik? Schwer ist es, das Unerträgliche an der Bundeswehrrede unseres Bundespräsidenten zu definieren. Man findet es im Beschwiegenen.

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Es ist mehr als bezeichnend. Gauck hält wieder einmal eine seiner natürlich sehr wichtigen Reden, diesmal vor der Führungsakademie der Bundeswehr. Die meisten finden die Rede gut, weil Gauck sie hält, und die wenigen, die sie als unerträglich empfinden, haben Schwierigkeiten zu definieren, worin das eigentlich Skandalöse liegt. "Kriegspropaganda"sei es, befindet die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping - und der Verfasser dieser Zeilen stimmt ihr weitgehend zu. Aber ist das zu belegen?

Das Staatsoberhaupt hat nun mal keine "Hunnenrede" gehalten. Ein "Pardon wird nicht gegeben" wird man Gauck nie entlocken. Das einzig Gemeinsame besteht in einer winzigen Kürzung in der offiziellen Fassung der Rede. Aber nie wird die Gaucksche Rhetorik "entgleisen". Er hat es gelernt, niemals das "Faslche" zu sagen. Noch nicht einmal eine "Ruckrede" wird man von ihm hören.

Was also ist das Irritierende an dieser Rede? Die Frage soll in drei Aspekten beantwortet werden.

Da ist zunächst das Diskurs-Setting. Auf einem von der Führungsakademie veröffentlichten Foto sehen wir, wie zwei zivile ältere Herren auf historischem Pflaster, aber etwas "unmilitärisch" eine Formation von Marinesoldaten abschreiten. Der eine, Gauck, protestantisch, Jahrgang 1940, hat einen Marineoffizier zum Vater. Er wird in der Rede nicht darauf eingehen. Der andere, der Verteidigungsminister Thomas de Maizière, geboren 1954, ebenfalls engagierter Protestant, ist der Sohn Ulrich de Maizières, der vor genau 50 Jahren die Führungsakademie leitete. Ulrich de Maizière war die inkorporierte Kontinuität: von der Reichswehr über die Wehrmacht zur Bundeswehr, deren Generalsinspekteur er zuletzt war.Obwohl Anhänger des Konzepts des "Bürgers in Uniform", blieb er bis zum Schluss ein Vertreter von Pflicht und Gehorsam. In der Rede Gaucks fehlt jeder Hinweis auf diese schon bemerkenswerte Koinzidenz, auf dieses Beispiel preußischer Elitenkontinuität bis ins Jahr 2012.

Und damit sind wir bei Gravierenderem angelangt. Gauck behauptet (und es mag für die Jahre der SBZ/DDR stimmen), er habe in den ersten fünf Jahrzehnten seines Lebens "ungute Gefühle" gegenüber dem Militärischen gehabt. Das klingt richtig sympathisch - wenn er nur nicht die ersten Jahrzehnte der Remilitarisierungsgeschichte der Bundesrepublik beschweigen würde, dies aber unerträglich laut.

Gauck übergeht die Vergangenheit der Gehlen, Speidel, Foertsch, Heusinger und von Manstein. Von letzterem ist der Satz überliefert: Das jüdisch-bolschewistische System muss ein für allemal ausgerottet werden (20. Nov. 1941). Gauck erwähnt nicht das Urteil Ulrich de Maizières zum 20. Juli: Der Eid, den das nationalsozialistische Regime seinen Soldaten abverlangte, band diese an die Person Adolf Hitlers und forderte unbedingten Gehorsam (Rede zum 20. Juli, 1966, später spricht er von "Schuld", lässt aber sofort "Verhängnis" folgen).

Gauck "vergisst" in seiner Rede, dass bis 1957 alle ernannten Generale und Admirale aus der Wehrmacht stammten. 300 Offizieren waren hochrangige SS-Offiziere gewesen. Noch 1962 stammten dem Historiker Wehler zufolge 67 Prozent der Generalität aus den "erwünschten Kreisen". Übrigens waren entsprechend 81 Prozent der Generale prostestantisch, auch hier eine Kontinuität. Erst 1981 konnte der SPD-Minister Apel die Formel durchsetzen: Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen. Und selbst gegen eine solche eierige Formulierung hatte es konservativen Widerstand gegeben. Der Historiker Helmut König hat diese Haltung präzise beschrieben:

Der 'habituelle Kern' der frühen Bundesrepublik: Man sagt nicht, wer man war und was man denkt; und was man sagt, denkt man nicht und war man nicht.

Daran hält sich Joachim Gauck zum Teil noch 2012: Er sagt nicht, wer man war und was man dachte. Dafür redet er mal wieder von einem "Demokratiewunder", deren Teil die Bundeswehr sei. Mit seiner Bundeswehrrede trägt er zur "Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit" (Hannes Heer) bei. Er ist - ironisch gesprochen - ein "Demokratiewunder".

Nun könnte man einwenden: die Nazigeneräle und die preußischen Kommissköppe sind mittlerweile ausgestorben, und jede Militärgeschichte hat nun einmal Kontinuitäten und Brüche (auch die der DDR). Und in der Tat steht die Bundeswehr unter parlamentarischer Kontrolle, wie Gauck betont. Schließlich segnen die parlamentarischen Mehrheiten regelmäßig Kriegseinsätze wie in Jugoslawien, Afghanistan, am Horn von Afrika ... ab. Und auch hier können wir Gaucks gesammeltes Schweigen bewundern. Kein Wort findet er zur Problematik der Waffenexporte. Der Vater seines Verteidigungsministers hatte die "deutsche Wertarbeit" Leopard 1 eingeführt, seine Regierung wird an die Musterdemokratie Saudiarabien wohl 800 (!) Leopard 2 liefern. Mehr Kontinuität als Brüche.

Gauck singt - wie sympathisch - das Hohe Lied des soldatischen Kameraden. Der Soldat ist geradezu das Paradigma des Gauckschen Staatsbürgers. Und hier beginnt die nächste Irritation. Er sagte bekanntlich: Und dass es wieder deutsche Gefallene gibt, ist für unsere glückssüchtige Gesellschaft schwer zu ertragen. Das kleine Adjektiv "glückssüchtig" erscheint nicht in der offiziellen Redeversion. Man spürte wohl, dass es ist in historischer Perspektive (also nicht in der Gauckschen) äußerst irritierend ist.

Die "Sucht nach Glück" war schon vor und vor allem in dem ersten Weltkrieg ein zu verwerfendes Synonym des "krämergeistigen" pursuit of happiness der Angelsachsen. Die Textreferenzen sind Legion. Ich zitiere einen repräsentativen Autor, den protestantischen (!) Schriftsteller, Philosophen und Pädagogen Johannes Müller, der 1916 das Schloss Elmau gründete, heute ein Ort der Eventkultur (Tatort "Menschenpark"). Müller schrieb 1915 in der Broschüre "Der Krieg als Gericht und Aufgabe":

Sein Gericht greift noch tiefer. Allgemeiner noch als die Genusssucht durchdrang unser Volk das Verlangen nach Glück. Glücklich werden war der Lebensnerv aller ... Dann kam der Krieg und schlug mit eiserner Faust allem Glücksverlangen ins Gesicht ... Nicht Glück ist der Sinn des Lebens, sondern Dienst und Opfer. Nicht zur Selbstbefriedigung, sondern zur Selbstaufgabe sind wir ins Leben gestellt.


Fast hundert Jahre später lesen und hören wir von einem zivilen demokratischen Staatsoberhaupt eines Staates mit kriegstreiberischer Geschichte Phrasen wie:

"Verantwortung übernehmen", "Einsatz für Deutschland" "notwendige und sinnvolle Gewalt", "sinnvolles Eingreifen", "das Äußerste, das ein Mensch geben kann: das eigene Leben", "Bereitschaft zur Hingabe" - und: "dienen", "dienen", "dienen".

Ich fürchte, man muss sich Sorgen machen.

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