Rösler (FDP), der lustige Mathematiker

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Fast jeder weiß: Mathematik ist eine ätzende Disziplin, zumindest für diejenigen, deren Sympathie für dieses Fach sich in Grenzen hält. Man ist froh, mit seinen rechnerischen Fähigkeiten einigermaßen im Alltag zurecht zu kommen und schweigt über seine mangelnden Theoriekenntnisse. Das stört auch nicht weiter. Man trifft ja auf so viele ehemaligen Schüler, denen es ebenso geht.

Nur zur Selbstüberschätzung Neigende prahlen mit ihren rechnerischem Geschick, denn allzu schnell ist in dieser Disziplin belegbar, ob man richtig oder falsch liegt. Dieser Einsicht hat Philipp Rösler, der Parteivorsitzende, in seiner Grundsatzrede beim liberalen Dreikönigstreffen keine größere Bedeutung beigemessen, als er meinte, mit einem Beispiel aus der Mathematik die Bildungspolitik der vergangenen Jahre kritisieren zu müssen. Er trug Plagiiertes vor:

http://wikis.zum.de/rmg/images/d/d6/Mathe_Mengenlehre.jpg"Ich denke, der eine oder andere erinnert sich noch an die Mengenlehre, das war in den 70er und 80er Jahren in der Schulpolitik Mode. Da lernt dann ein junger Mensch, wenn fünf Leute in einem Raum sind und sieben Leute den Raum verlassen, dass dann zwei reinkommen müssen, damit keiner mehr drin ist. Wer glaubt, so jungen Menschen Mathematik beibringen zu können, der darf sich dann nicht wundern, wenn es bei den Grundrechenarten hapert."

Das mag für den einen oder anderen Zuhörer witzig geklungen haben, vernebelt jedoch völlig den Inhalt der von ihm ins Spiel gebrachten Mengenlehre als auch die bildungspolitischen Zusammenhänge, die mit diesem Beispiel transportiert werden sollen. Die Schüler, die vor 30 oder 40 Jahren nach der Mengenlehretheorie lernten, sind längst in Amt und Würden, sind eventuell sogar Vorsitzende einer Partei. Mit den Rechenschwächen heutiger Schüler hat das nichts zu tun.

Hätte Rösler sein geklautes Gedankenexperiment am Beispiel seiner eigenen Partei angewandt, hätte er plausibler die leere Menge erläutern können. Denn die zwei Prozent Wähler, die die FDP derzeit noch vorzuweisen hat, tendieren sehr stark der leeren Menge zu. Was das bedeutet, veranschaulichte der Mathematiker Richard Dedekind (1831 - 1916) schon vor über 100 Jahren. Er verglich die leere Menge mit einem leeren Sack. Damit wollte er plausibel machen, dass die leere Menge nicht nichts ist, sondern dass sie keine Elemente enthält, die für sie vorgesehen sind. Auf die FDP gewendet, könnte man sagen: Die Partei wird zur Hülle der politischen Leere.

http://www.biblio.tu-bs.de/ausstellungen/dedekind/DedekindPlakat.jpgDedekind war Zeitgenosse von Georg Cantor (1845-1918), des Entwicklers der Mengenlehre. Dieser formulierte erstmals, wie eine Menge zu begreifen sei: "Unter einer Menge verstehen wir die Zusammenfassung gewisser Objekte, Elementegenannt, zu einer Einheit." Das ist eigentlich schon alles. Obwohl keine Definition, entwickelten sich daraus neue Einsichten in mathematische Strukturen, die heute noch unverzichtbar sind. Rainer Manthey (Uni Bonn), ein Informatikprofessor, belegt, weshalb die Mengenlehre nichts von ihrer mathematischen Bedeutung eingebüßt hat. Auf die Frage, warum alles in der Welt man sich noch immer mit Logik und Mengenlehre herumschlagen müsse, da man doch nur vernünftig mit Datenbanken umgehen müsse, sagt er: Datenbank-Anfragesprachen wie SQL stellten einen Mix aus logischen und mengentheoretischen Konzepten dar. Wolle man wirklich verstehen, was man da tut, wenn man eine Anfrage formuliert, dann müsse man diese Grundlagen beherrschen. Das will oder kann Rösler nicht einsehen, denn er wollte, egal wie, eine Pointe setzen, eine typische FDP-Pointe eben. Rösler mag von fünf Leuten sieben subtrahieren können. Eines hat er sicher nicht: ÜberDedekinds Zahlenbegriff nachgedacht:

„Die Zahlen sind freie Schöpfungen des menschlichen Geistes, sie dienen als Mittel, um die Verschiedenheit der Dinge leichter und schärfer aufzufassen. Durch den rein logischen Aufbau der Zahlenwissenschaft und durch das in ihr gewonnene stetige Zahlenreich sind wir erst in den Stand gesetzt, unsere Vorstellungen von Raum und Zeit genau zu untersuchen, indem wir dieselben auf dieses in unserem Geiste geschaffene Zahlenreich beziehen.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Achtermann

Ich lass' mich belehren. Jedoch: Oft wehre ich mich dagegen.

Achtermann

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden