Frühstück beim Souverän

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„Du musst Dich beim Pförtner im Jakob-Kaiser-Haus melden.... vergiss den Ausweis nicht!“ hat sie am Telefon gesagt, als er den Termin bestätigte: „ich schicke jemanden, der Dich da abholt!“

Blaugold flutet eine strahlende Morgensonne den Regierungsbezirk der Hauptstadt zwischen Spree und Tiergarten, vielfach gespiegelt zwischen den blanken Glasfassaden der Dorotheenstraße, weit oben spannen ätherisch zwei transparente Brücken zwischen den Häuserfluchten im blauen Septemberlicht .. als Eingang hat sie ihm die Hausnummer hunderteins genannt.

Unauffällig, fast versteckt liegt die Pförtnerloge unter ausladenden Glasfronten, wehrhaft gesichert mit mechanischen Augen und Ohren, hinter spiegelnden Panzergläsern uniformiert besetzt: er muss seinen Namen in das Mikrofon sagen, seinen Termin und den Namen der Abgeordneten, die er besuchen will.... dann darf er passieren, lichthoch öffnet sich die Halle, glasgedeckt als Atrium, er wartet jetzt am Rand, ein Pförtner hat telefoniert...

Die Vorzimmer der Macht, eine Stadt in der Stadt mit fast zweitausend Räumen, ein halbes Hundert Besprechungs- und Sitzungsräume, auch ein Fernsehstudio und viele, viele hundert Büros für Abgeordnete und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, verbunden über Brücken und durch unterirische Gänge mit anderen weitläufigen Gebäudekomplexen und mit dem alten, frisch restaurierten Parlamentsgebäude der Republik, mit dem Reichstag. Im alten China galt, dass allein der Himmel zehntausend Räume haben darf, daher zählt die Verbotene Stadt nur neuntausendneunhundertneunundneunzig Räumlichkeiten.... ob man sich den Himmel vorstellen muss wie die Berliner Parlamentsstadt?

Ein freundlicher junger Mann ist gekommen, der ihn sogleich in die Tiefe der Verbotenen Stadt entführt: „Ja, sie wartet schon, ich werde Sie gleich hinüberbringen!“ und sie wechseln aus der sonnenlichtdurchströmten Halle in das Kunstlicht der Unterwelt, in niedrige Raumfluchten, in einen gestreckten Gang, sein Führer eilt voran: „Über uns ist jetzt die Strasse, dann die offene Fläche..... gleich betreten wir das Untergeschoss des Reichstags....“ Der junge Mann ist freundlich, höflich und zielstrebig: „Sie ist drüben in der Cafeteria, wir müssen auf die andere Seite!“

Ob er den Weg ohne seinen Lotsen gefunden hätte? Jetzt ändert er die Richtung, ein Aufzug trägt sie in ein anderes Geschoss, eilig umrunden sie den Plenarsaal, große Scheiben gewähren Einblick von allen Seiten, sogar von oben durch die berühmte gläserne Kuppel... man kennt diesen Raum aus vielen Berichten, auch aus Fernsehreportagen, televisionär sozusagen, und hier stellt sich unausweichlich das helle Traumgefühl eines lichtdurchströmten déjà-vu ein, das ihn in diesem Haus nicht mehr verlassen wird.

Die Herzkammer der deutschen Demokratie sei dieser Plenarsaal, hat er irgendwo gelesen, und er wundert sich über diesen pathetischen Terminus.... die Menschen darin bewegen sich langsam im kalten Licht wie unter einem gigantischen Brennglas, in einem Terrarium, das sie schützt vor der alltäglichen Welt.

Sie passieren eine letzte Glastür, weiße Tischdecken warten auf die Morgengäste der Cafeteria, ein schwerer Teppichboden dämpft alle Trittgeräusche, sie winkt von einem Tisch am Fenster, weiter rechts streckt sich meterlang ein Frühstücksbüffet.

„Schön, dass Du da bist, hoffentlich hast Du Appetit mitgebracht...“ begrüßt sie ihn, und erfreut registriert er ihre persönliche Anrede.... es hätte ihn kaum erstaunt, wäre sie bei diesem Treffen hier im Hohen Haus ins Sie gewechselt.... kommt er doch heute als Bürger zu ihr, zur Abgeordneten aus einer kleinen Stadt in Mitteldeutschland, zur gewählten Delegierten, zum Mitglied des Bundestags mit Sitz und Stimme im Plenum.

„Mit dem Frühstück habe ich auf Dich gewartet....“ Also defilieren sie zunächst entlang der Viktualien des fein orchestrierten Büffets, erlesen aus allen Bundesländern wie auch aus ferneren Provenienzen, sorgsam ausgelegt und dekoriert, heller Käse, dunkles Fleisch, dünn aufgeschnitten und leicht glänzend, helle Trauben, dunkle Trauben, Oliven, Lachs rosa, geeiste Krabben, Filetiertes, Geräuchertes oder Gegrilltes, Säfte, Saucen und Dips, Tee oder Kaffee, fragt jemand freundlich in schwarz, die Beute tragen sie zurück an ihren Tisch.

Er hat nicht viel genommen, das Frühstück soll nicht beim Reden stören.

Zur Einleitung muss er lächelnd eingestehen, dass er noch nie in diesem berühmten Haus gewesen ist, nicht als Tourist auf dem Dach, nicht als Besucher auf der Tribüne.... aber auch früher nicht, als das Bauwerk herrenlos wie ein ruinöses Wrack zwischen Spree und Tiergarten an der Berliner Mauer gestrandet schien..... wurde das schrundige Massiv des Reichstags doch erst nach der Zusammenführung der Stadthälften und der Republik entgiftet und reanimiert.

„Als Studenten haben wir uns da draußen manchmal zum Fußballspiel getroffen...“ er zeigt aus dem Fenster, „auf einer wilden Wiese mit Hunderten von Kaninchenlöchern, das Auto mit der größten Musikanlage stellten wir daneben auf den Rasen..“ bis die Bullen kamen, verschluckt er schnell, auch wenn sie dieses Wort damals benutzten, aber schon das Auto auf der Wiese würde er am liebsten zurücknehmen. Vor ihm sitzt eine Abgeordnete der Grünen Partei.

Sie erzählt von ihrem politischen Weg, der sie aus einer kleinen Stadt am Harzrand in die Hauptstadt der gewendeten Republik führte, erzählt von Christen in der DDR, von Ökumenischen Versammlungen und von Runden Tischen.

Sie bleibt freundlich.... über das Christo-Projekt reden sie jetzt: „wrapped Reichstag“ haben sie beide erlebt, haben einen Platz gesucht in den unübersehbaren, sich ständig neu formierenden Menschengruppen, die Tag wie Nacht das silberglänzende Mirakel durch die Wochen der Installation begleitete.

„Jeanne-Claude und Christo mussten lange für das Projekt werben, mit allen Abgeordneten haben sie einzeln geredet! Bis zum Schluss gab es noch viele Gegner, das zeigte sich dann in der Abstimmung,“ erzählt sie, „es war ganz knapp, obwohl kein Zuschuss für das Projekt erforderlich war.... es hat sich selbst getragen!“

„Diese kurze Zeit war wie der Zenit der Verwandlung,“ sagt er jetzt, „als ob die alten Geister aus der Ruine vertrieben werden, mit einem besonderen Ritual.... als Vorbereitung für den Umzug der parlamentarischen Macht, die später vom Palast der Republik hierher in das alte, neu gewidmete Parlamentsgebäude zog. Der Reichstag stand über vierzig Jahre als überflüssiges Relikt herum, man muss sich wundern, dass er in all den Jahren nicht abgeräumt wurde....“

Und bald schon treffen sie sich im nächsten Thema. „In der Fraktion haben wir ja immer gelästert,“ redet sie munter weiter: „Der verarmte preußische Adel will sein altes Schloss wieder haben!“ Sie lacht.

„Wie kam es dann zu der Entscheidung, das Berliner Schloss wieder aufzubauen?“ fragt er jetzt nach, „fast alle, die ich kenne, haben diese Idee für einen absurden Einfall gehalten, ich selbst ja auch..... wir hätten nie damit gerechnet, dass dieser Plan sich durchsetzen kann.“

Die Abstimmung liegt einige Jahre zurück, sie muss etwas nachdenken.... aber sie erinnert sich noch: „Weißt Du, Handlungsdruck entstand dadurch, dass die Abgeordneten einen Beschluss über die Verwendung der Fläche fassen mussten.... der Palast der Republik war durch die Asbestsanierung stark angegriffen.... um es ehrlich zu sagen, hatte der Abriss bereits begonnen ohne ein entsprechendes Votum..... das Parlament musste die Zerstörung also nachträglich sanktionieren und einen Grund dafür finden. Da keine Alternativen vorbereitet waren, war es am einfachsten, die Rekonstruktion des Schlosses zu beschließen..... so wurde der Abbruch durch den Bundestagsbeschluss legitimiert!“

Sie reden jetzt über den Architektenwettbewerb, der in wenigen Wochen entschieden werden soll: „ Wir sind gespannt, ob die Jury einen Sieger kürt. Wenn sie sich nicht einigen, platzt der Wettbewerb hoffentlich,“ meint sie nachdenklich: „Vielleicht gibt es auch kontroverse Beiträge....“

„Nein, nach der ersten Runde sind gewiss alle Arbeiten ausgesondert worden, die den Vorgaben nicht entsprechen,“ vermutet er, „mit einem Alternativvorschlag gibt es wenig Chancen, in die nächste Runde zu kommen...“

Er kennt den Auslobungstext des Wettbewerbs, viele Vorgaben zur Rekonstruktion des historischen Bestands sind bereits festgeschrieben: „Noch nie habe ich so viel Belehrung und Gängelung in einer Auslobung auf dem Tisch gehabt.... nein, teilgenommen habe ich nicht. Dieser Ort sucht eine ganz neue Idee!“ Aus seiner Tasche zieht er eine Mappe.

Er hat ein Exposé geschrieben, ganz kurz, so knapp wie möglich, jedes Wort hat er gedreht und getauscht, bis das Szenario stand, eine Satzfolge ohne Falten und Polster, kurze Blöcke bündig überschrieben... sieben Absätze, fünfhundertachtundzwanzig Wörter, zehnmal das kurze Wort mit zwei Buchstaben: Du. Es meint aber alle.

Nein, vorlesen wird er nicht, er möchte gerne wissen, ob die Idee allein aus den Buchstaben zu lesen ist... so reicht er ihr die schmale Broschüre über den Tisch.

Ihre Augen springen von Zeile zu Zeile, nicht lange, bis sich ein Lächeln über ihr Gesicht ausbreitet und auch nicht mehr vergeht: „Ja, das gefällt mir... !“ Wenn er in späteren Jahren den Erinnerungen nachsinnt, so bleibt dieser eine Moment ganz klar und handfest: Sein Vorschlag wurde freundlich aufgenommen.

Dagegen verschwimmen die anderen Bilder: Macht sie ihm Mut? Führt sie ihn noch durch das Haus? Zeigt sie ihm den Andachtsraum? Erklärt sie, dass nur gewählte Volksvertreter in den Plenarsaal Einlass finden? Möglicherweise erinnert er nur einen Traum...

Wenige Wochen später wird der Wettbewerb entschieden, nicht ohne dass der Bundesbauminister mit deutlichen Worten die Mitglieder der Jury ermahnt, eine Entscheidung für das wichtige nationale Vorhaben zu treffen.

Und wenn es kein Traum war: 612 Mitglieder hat der Bundestag zu jener Zeit..... so blieben also noch über sechshundert, die sein Text eines Tages erreichen muss.



Hier endet der 291. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion mit Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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archinaut

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