Wie zuviel Geld und ökonomische Sprachtäuschung Demokratie ruiniert

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Wir befinden uns in der schwersten Krisen seit 1929. Mindestens seit der Weltfinanzkrise von 2008 stehen wir am Abgrund. Und dieser blickt – frei nach Nietzsche – in uns zurück. Schwer, die Zusammenhänge zu verstehen? Professor Günther Moewes erklärt das scheinbar Komplizierte so: Was uns als „Eurokrise“, „Finanzkrise“ oder „Schuldenkrise“ präsentiert wird, sei in Wirklichkeit nur eine „Verteilungskrise“. Moewes erklärt das in einem überschaubarem Büchlein, welches überdies „Das kleine Lexikon der ökonomischen Sprachtäuschung“ beinhaltet.

Allmählich schwant es vielleicht auch vielen der lange Zeit allzu gutgläubig gewesenen Menschen hierzulande: Die Krise könnte nicht gut ausgehen. Zumal sich ja seit der Weltfinanzkrise von 2008 nichts Wesentliches unternommen wurde, um künftige Krisen zu vermeiden, bzw. die ihnen vorangegangenen aufzuarbeiten. Nun noch ständig ein ums andere Mal größer aufgespannte Rettungsschirme. Dazu noch ein Fiskalpakt?

1 % versus 99 %

Occupy-Bewegungen weltweit und von ihr gespeiste Blockupy-Aktionen künden immerhin davon: Immer mehr Menschen erkennen, dass aus alledem stets wieder nur das berühmte eine Prozent der Superreichen profitiert und der vom Reichtum der Gesellschaften abgehängte Rest der 99 Prozent dafür bluten muss. Lediglich wird Zeit gekauft, aber nicht gewonnen. Am Ende kommt es den 99 Prozent immer nur noch teurer zu stehen. Dann: der Aufprall auf die Wand am Ende des verhängnisvollen Holzwegs? Der jähe Sturz in den Abgrund dahinter?

Hinter die Fichte geführt

Wer Gespräche mit seinen Mitmenschen führt bemerkt, dass diese sind ob der Krise(n) nicht nur verunsichert, sondern auch wütend sind. Meistens jedoch auf die Falschen. „Die Griechen“ etwa, für die „wir“ immer nur zahlen müssten. Das Eine wie das Andere hat seinen Grund darin, dass unsere Gesellschaft Mechanismen durchgehen lässt, die zu dem Behufe installiert und munter benutzt werden um uns gehörig hinter die Fichte zu führen. Was damit zu tun hat, dass längst auch die wichtigsten Medien zu reinen Meinungsmachern verkommen sind. Sie erfüllen kaum mehr rihre Informations- und Sorgfaltspflichten. Und schon gar nicht mehr ihre für eine funktionierende Demokratie unverzichtbare Aufgabe als „Vierte Gewalt“. Nämlich die kritische Begleitung von herrschender Politik. Das Versagen von Regierungen und die allgemeine „Meinungsmache“ (beschrieben im gleichnamigen Buch von Albrecht Müller, NachDenkSeiten) im Konzert führen letztlich zu einer Verstetigung bereits jetzt erkennbarer postdemokratischer Verhältnisse (nach Collin Crouch).

Zu viel Geld auf der Suche nach Anlagemöglichkeiten

Eingangs seines Buches stellt Prof. Moewes fest, die von vielen kritischen Wissenschaftlern prophezeite Krise sei eingetroffen. „Die Regierungen und Notenbanken reagieren eigenartig irrational. Anstatt sich bei denen Rat zu holen, die die Krise und ihre Ursachen richtig prophezeit haben, suchen sie ausgerechnet bei denen Rat, die sie verursacht haben und immer weiter verursachen, bei den Finanzoligarchen.“ Wir werden beinahe täglich Zeuge dieses Irrsinns. Der Autor führt uns die Primärursache der Krise vor Augen: „Das angesammelte Spekulationskapital hatte infolge der exponentiellen Renditezuwächse Größenordnungen erreicht, die von der Realwirtschaft nicht mehr ohne weiteres aufgenommen werden konnten. Es fand keine Anlagemöglichkeiten mehr und man musste sich welche ausdenken.“ US-Präsident Clinton etwa sei da auf die ‘„sozial“ gemeinte Idee gekommen, mit diesen privaten Milliardenüberschüssen doch einfach Einfamilienhäuschen für die US-Armen zu bauen.“ Wir können uns hoffentlich darin erinnern, wie das endete?

Die heutige Krise ist keine „Schuldenkrise“ sondern eine Verteilungskrise

Für Günther Moewes ist dies nur ein Beispiel dafür, dass die heutige Krise keine „Schuldenkrise“, sondern vielmehr „eine Krise der primären privaten Zockerbillionen, eine Verteilungskrise“ ist.

Was beileibe keine neue Erkenntnis ist. Schon Egon Bahr – Moewes greift das auf – warnte in den 1990er Jahren: „Zwei Billionen Dollar jagen täglich um den Globus auf der Suche nach Anlage“. Moewes bildlich klar, dass „Dimension und Beschleunigung des Anwachsens dieser privaten Geldvermögensüberschüsse bisher überhaupt noch nicht begriffen worden“ seien. So sei z.B. in einem Zweisäulendiagramm des DIW zur Vermögensverteilung die reichste Säule mit durchschnittlich 600 000 Euro Vermögen angegeben gerade einmal 6 Zentimeter hoch. „Im gleichen Maßstab und bei gleicher Definition“, lesen wir, „wäre dort das Vermögen des reichsten Deutschen, des gerade verstorbenen Theo Albrecht 2,07 Kilometer (!) hoch.“ Welch Ausmaß der Ungleichverteilung!

Der ewige Verteilungskampf zwischen Arbeitsseite und Kapitalseite

Prof. Moewes gibt seinen Lesern zu Bedenken, dass alles Wachstum von Reichtum, das das BIP-Wachstum übersteige, stets symmetrisch Armut auf der anderen Seite erzeuge. Was der „Ur-Mechanismus des Kapitalismus in seiner westlichen Spätform, die Hauptursache der nie versiegenden, lautlosen Umverteilung von unten nach oben. Es ist der ewige Verteilungskampf zwischen Arbeitsseite und Kapitalseite, zwischen den 99 % Bevölkerung und den 1% Superreichen, zwischen erarbeiteter Wertschöpfung und leistungsloser Abschöpfung, zwischen Arbeitenden und Finanzmärkten, zwischen öffentlich und privat, Süd und Nord.“ – So einfach ist das also? Jawohl, und so schrecklich bitter! Und dass es die Leute schlucken, braucht es Glaubensweisheiten, um die wechselnden Grausamkeiten zu legitimieren. Seite 18: „“Was früher Sklavenstaat, Lehnherrschaft und Gottesgnadentum waren, sind heute die Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte. Was früher die Kirchtürme waren, sind heute die Bankentürme. Man errichtete Phallussymbole in der Mitte der Städte und forderte den Kotau vor der Politik.Was in Rom die Überdehnung des Imperiums war, ist heute die Überdehnung der privaten Billionengebirge.“ – Man liest das, ist erschrocken und fragt sich: So wenig haben wir uns als Menschheit also von der Stelle bewegt?! Und der gesellschaftliche rollback rumpelt weiter. Ziel: Eine Refeudalisierung? Nicht aufzuhalten?

Einziger Ausweg aus der Misere nach Moewes Überlegungen wäre das „Zurückfahren der dramatischen Ungleichverteilung“

Wobei seiner Meinung nach jedoch „schnelle Lösungen“ politisch kaum durchsetzbar sind. Dafür sei es zu spät. Aber sich nur noch zu denken erlauben was noch durchsetzbar erscheine, bedeute: „der Niedergang sei sowieso nicht mehr aufzuhalten“. Moewes setzt auf quasi sanfte Lösungen. Eine allmähliche Rückverteilung an die Bevölkerung. Etwa über das Werkzeug des Gini-Koeffizienten (Maß für Ungleichheit: Null = totale Gleichheit,

1 = totale Ungleichheit – der Reichste hat alles, die anderen Nichts). So ließe sich das Maß der verbleibenden Ungleichverteilung festlegen, „das ausreichend leistungsfördernd bleibt und dennoch sozial vertretbar ist.“ (Seite 23 unten, 24 oben).

Ohne Zugriff auf die privaten Mega-Überschüsse droht Abstieg des Westens

Professor Moewes: Werden die Ursachen der Finanzkrise nicht richtig erkannt, kann diese nicht überwunden werden. „Diese Ursache ist nicht zu wenig Geld, sondern vielmehr zu viel Geld“. Was, so Moewes, „für Neoliberale, Schulökonomen und Laien nur schwer zu verstehen“ sei. Gelänge „dem Westen der Zugriff auf die fahrlässig zugelassenen privaten Mega-Überschüsse der Millionäre und Milliardäre nicht“, sei ein Abstieg unausweichlich. Der Leser erfährt: Die Fehlfunktion der Finanzmärkte als unausweichliches Naturgesetz darzustellen und das Wohlergehen der Bevölkerungen ihrem Diktat zu unterwerfen, sei abwegig. Ergo handelten Politiker, die das tun gegen ihren Amtseid „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“.

Krise kam nicht wie ein „Springteufel“

Ab Seite 29 des Büchleins finden sich „Aussagen seit 1997 zur bevorstehenden Finanzkrise“. Sie belegen, dass die Finanzkrise von 2008 eben nicht wie es etwa der damalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) sinngemäß formulierte wie ein Springteufel über uns gekommen ist.

Lexikon der ökonomischen Sprachtäuschung“

Für sehr wertvoll halte ich „Das kleine Lexikon der ökonomischen Sprachtäuschung“ (Seite 33 bis 67, als „Fortschreibung eines mehrfach veröffentlichten Textes“ von Moewes von 2006 bis 2008). Es beginnt mit A wie „Abnehmendes Wachstum“ und endet mit W wie „Wettbewerb“. Eigentlich sollte man dieses kleine Nachschlagewerk stets griffbereit haben. Etwa wenn im Fernsehen die Nachrichten laufen. Welche ja oft gar nicht mehr dazu dienen, damit wir uns selbst eine Meinung bilden können, sondern die vielmehr dazu missbraucht werden um uns Meinungen zu verkaufen. Sprachtäuschungen dienen der Verschleierung.

Hier nur zwei Beispiele:

Arbeitnehmer heißt nicht derjenige, der die Arbeit nimmt, sondern derjenige, der sie gibt. Arbeitgeber dagegen heißt nicht derjenige der sie sie gibt, sondern der sie vom sogenannten Arbeitnehmer nimmt (…). Verdrehte Begriffe. Moewes: Weil Geben seliger ist als Nehmen und Arbeitgeber immer seliger sein wollen als Arbeitgeber.

Schuldenkrise: Der Begriff suggeriert, Ursache der Finanzkrise seien die Staatsschulden. Tatsächlich sind die Schulden jedoch bereits ein Sekundärereignis. Das Primäre sind die exponentiell wachsenden privaten Geldvermögen, die sich inzwischen weltweit alle neun Jahre verdoppeln. (…)

Publikation als Beitrag zur ökonomischen Alphabetisierung

Die hier vorgestellte Veröffentlichung erscheint im Rahmen des pad-Projektes „Ökonomisches Alphabetisierungsprogramm“ in Zusammenarbeit mit Labournet. Einige dieser Publikationen haben wir bereits hier vorgestellt. Sie leisten einen großen Beitrag zur Aufklärung der Ursachen der Krise und wirken der seitens regierender Politik und Meinung machenden Medien betriebenen Vernebelung bzw. Verdrehung von Ursache und Wirkung wacker entgegen. Sie sind nach kurzer Einarbeitung auch Laien verständlich. Und sicher auch Lehrenden und Studierenden von Nutzen. Ich möchte sie unbedingt auch Gewerkschaftern empfehlen, um sie als Argumentationshilfe in der täglichen Praxis zu benutzen. Lassen wir uns also nicht länger hinter die Fichte führen. Erkennen wir was wirklich Sache ist. Geben wir uns nicht länger damit zufrieden, ökonomische Analphabeten zu sein! Wer dieses ABC einmal verinnerlicht hat und immer noch der Meinung ist „die Griechen“ seien an allem Schuld oder die wegen der Bankenkrise noch mehr verschuldeten Staaten, dem ist nun wahrlich nicht mehr zu helfen.

Das Buch:

Günther Moewes

Dilettantismus oder Komplizenschaft? Und „Das kleine Lexikon der ökonomischen Sprachtäuschung“ pad-Verlag

Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn

69 Seiten, 5 Euro

Bezug bei: pad-verlag Bergkamen pad-verlag@gmx.net

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

asansörpress35

Politischer Mensch, der seit der Schulzeit getrieben ist, schreibend dem Sinn des Lebens auf die Spur zu kommen.

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