Ernst enttäuschende Wissenschaft

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Zu einem trickreichen und ausgetricksten Experten

Mit meinem Blogbeitrag zu Prof. Dr. Edzard Ernst (www.freitag.de/community/blogs/bertamberg/ernst-in-exeter--delegitimation-eines-mephistophelischen-despoten) habe ich an seinem Beispiel die Frage der Kompetenz von Experten und die Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit und Allgemeingültigkeit ihrer Expertisen angeschnitten. Schon seit 1977 ist benannt, dass Wissenschaftler im Rampenlicht der Öffentlichkeit oft Thesen vertreten, die von der Majorität ihrer Kollegen nicht geteilt werden. Popularität und Reputation sind mitunter reziprok miteinander verknüpft (Goodell, Rae (1977): The Visible Scientist. Boston, Toronto, Little, Brown and Company). Edzard Ernsts Vita ist ein schlagendes Beispiel dafür. Anders als er es nahelegt, gibt es in der Medizin ebenso wenig wie in Politik, Gesellschaft und Ökonomie eine oft gern vom Publikum vorausgesetzte unbezweifelbare Objektivität; dass es so etwas wie neutrale und wertfreie Wissenschaft gäbe, ist ein Trugschluss. Allerdings muss und kann man darauf bestehen, dass bestimmte wissenschaftliche Normen eingehalten werden. Wer es nicht tut, riskiert zu Fall zu kommen wie Karl T. von Guttenberg.

Ich habe Beiträge von Ernst kritisiert, weil ich mit Schierholz der Ansicht bin, dass Ernst zur Misteltherapie nicht korrekt zitiert hat und sein Bemühen, als allwissender Experte zu erscheinen, sich nur auf gekonnten Umgang mit Statistik stützt und dass die Lesenden ihn mangels besserem Wissen als glaubwürdig empfinden. Selbst ein überdurchschnittlich gebildeter Akademiker kann jedoch oft schon Fachangelegenheiten seiner Disziplin außerhalb seines eigentlichen Arbeitsfelds nicht mehr aus eigener Erfahrung qualifiziert beurteilen, geschweige denn fachfremde.

Mit meinem Blogbeitrag zu Prof. Dr. Edzard Ernst (www.freitag.de/community/blogs/bertamberg/ernst-in-exeter--delegitimation-eines-mephistophelischen-despoten) habe ich an seinem Beispiel die Frage der Kompetenz von Experten und die Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit und Allgemeingültigkeit ihrer Expertisen angeschnitten. Schon seit 1977 ist benannt, dass Wissenschaftler im Rampenlicht der Öffentlichkeit oft Thesen vertreten, die von der Majorität ihrer Kollegen nicht geteilt werden. Popularität und Reputation sind mitunter reziprok miteinander verknüpft (Goodell, Rae (1977): The Visible Scientist. Boston, Toronto, Little, Brown and Company). Edzard Ernsts Vita ist ein schlagendes Beispiel dafür. Anders als er es nahelegt, gibt es in der Medizin ebenso wenig wie in Politik, Gesellschaft und Ökonomie eine oft gern vom Publikum vorausgesetzte unbezweifelbare Objektivität; dass es so etwas wie neutrale und wertfreie Wissenschaft gäbe, ist ein Trugschluss. Allerdings muss und kann man darauf bestehen, dass bestimmte wissenschaftliche Normen eingehalten werden. Wer es nicht tut, riskiert, zu Fall zu kommen wie Karl T. von Guttenberg.

Fachliche Kompetenz scheint mittlerweile unrückholbar den Experten zugeordnet zu sein.

Kompetenz allein verleiht jedoch keine Glaubwürdigkeit: Der Experte an sich hat keinerlei Kredit mehr, sondern steht in der Bringschuld, die Richtigkeit seiner Expertise zu demonstrieren. Wir haben in diesem Jahr erlebt, dass die statistischen Berechnungen der Atomkraftexperten (käufliche Wissenschaftler) sich mit der Radioaktivitätswolke von Fukushima als unzutreffend erwiesen haben. Holger Strohm warnte schon 1973 davor, “friedlich in die Katastrophe” zu schlittern. Ich persönlich bin seit 1975 davon überzeugt, dass das Risiko der Atomkraft unzumutbar groß ist und musste mir ¾ meiner Lebenszeit lang von Besserwissern ständig erklären lassen, dass das Restrisiko statistisch gesehen vernachlässigbar gering sei. Motherfuckers! Strohm hatte immer recht. Heute findet er nicht mal mehr einen Verlag, der seine Sachen unzensiert druckt.

Mir wurde mitgeteilt, ich würde hier kleinliches Zählen von Versäumnissen praktizieren. Die „Versäumnisse“ waren die Basis für eine Medienkampagne gegen die Misteltherapie größeren Ausmaßes mindestens hier in Deutschland, bei der jede Regionalzeitung das abgedruckt hat, was die überregionalen Blätter vorgegeben haben. Ich verweise auf Schierholz, weil der sich als Fachmann dazu publizistisch geäußert hat. Es geht um die groben handwerklichen Fehler, die er anspricht. Indem ich zitiere, was Jütte und Schierholz über Ernst geschrieben haben, verweise ich auf die Problematik der Autoritätsgläubigkeit: Wer ist instande, mit eigener Erfahrung hier mitzudiskutieren? Ernst war nicht mehr Professor als Schierholz oder Jütte.

Bedenklich finde ich, dass Edzard Ernst den Standards nicht gerecht wird, die er für sich beansprucht. Belegen lässt sich dies durch seine eigenen Texte.

Der Blick in das Buch von Singh, S. / Ernst, E. (2009): Gesund ohne Pillen. Was kann die Alternativmedizin? Hanser, München, zeigt:

Wir haben beschlossen, dieses Buch zu schreiben, um die Wahrheit herauszufinden. Zwar gibt es bereits eine Fülle von Büchern, die den Anspruch erheben, Ihnen die Wahrheit über die Alternativmedizin zu sagen, doch sind wir zuversichtlich, dass unser Buch an wissenschaftlicher Strenge, Autorität und Unabhängigkeit nicht übertroffen ist. Wir beide sind ausgewiesene Wissenschaftler, daher unterziehen wir die verschiedenen alternativen Therapien einer gewissenhaften Prüfung (…) Unsere gemeinsame Arbeit macht dieses Buch zu einem ausgewogenen Projekt. Der eine von uns, Edzard Ernst, ist ein Insider, der viele Jahre lang als Arzt tätig war und dabei auch manch alternatives Heilverfahren angewandt hat. (…) Der andere, Simon Singh, ist ein Nichtmediziner (…) Beide sind wir davon überzeugt, dass wir der Wahrheit näher kommen können als irgendjemand sonst und, nicht minder wichtig, dass wir Ihnen die Wahrheit auf klare, lebendige und verständliche Weise erklären wollen. (…) Was wirkt, und was wirkt nicht? (…) Wer ist vertrauenswürdig, und wer zockt Sie ab? (…) All diese und weitere Fragen beantwortet dieses Buch, die weltweit ehrlichste und genaueste Bestandsaufnahme der alternativen Medizin. (…) jede alternative Therapie, auf die Sie wohl jemals stoßen werden, [wird] in diesem Buch wissenschaftlich bewertet. (…) Im Kapitel 1 wird erörtert, wie die Wissenschaft die Wahrheit bestimmt.”

Nach dem selbst formulierten Anspruch, “der Wahrheit näher kommen [zu] können als irgendjemand sonst” wäre jetzt eine zumindest stichwortartige Benennung dessen angebracht, was zur Ermittlung von “Wahrheit” nötig ist. Es erfolgt jedoch zuerst eine Darstellung, wie Vitamin C-Mangel als Ursache des Skorbuts entdeckt wurde und eine ausführliche Darstellung der Aderlass-Praxis. Später fällt der Hinweis dass Sir Austin Bradford Hill als Erster eine Prospektive Kohortenstudie (Beobachtungsstudie) durchgeführt hat.

Mehr findet sich nicht: Ernst /Singh verweisen nicht auf das Prinzip der doppelblinden randomisierten Studie, sie verweisen nicht auf das methodische Instrument der Metastudie, sie verweisen nicht darauf, wie in einer Metastudie mit bestimmten Kriterien Einzelstudien als “unzuverlässig” ausgeschlossen werden, um die Bewertung der Metastudie nur auf “die besten Studien” zu beschränken. Weswegen sagen Singh/Ernst nicht direkt, dass es zwingend nötig für die Wahrheitsfindung , die Evidenzbasierte Medizin ist, solche Verfahren anzuwenden?

Von daher ist der Umkehrschluß angebracht: Alles dies ist nicht nötig, um “die Wahrheit” zu finden. Wieso wird dann aber mit diesen Mitteln gearbeitet? Wenn diese Praktiken im Zusammenhang mit der Egger-Shang-Studie Erwähnung finden, findet sich dort jedoch keine Begründung hinsichtlich der methodischen Notwendigkeit, außer dem nebulösen “Nur die besten Studien” hätten Bestand gehabt, denn “Shang war gnadenlos in seinen Qualitätsansprüchen”. (S. 170)

Die Bloggerinkonyhakert schrieb am 15.11.2011 um 12:51 in anderem Zusammenhang (www.freitag.de/community/blogs/tom-strohschneider/jedes-dritte-kind-fruehstueck-als-soziale-frage) , dass Zahlen “ für sich eben begrenzte aussagekraft haben. sie sind stark interpretierbar, nach jeder seite, die man haben will. die interpretation aber liefert derjenige, der die interpretationshoheit besitzt.”

Wenn Singh/Ernst von “Qualitätsansprüchen” reden, verschleiern sie genau die Problematik der Interpretationshoheit und die Problematik von Statistiken allgemein:
“Große Zahlen liefern ein statistisch gesehen genaues Ergebnis, von dem man nicht genau weiß, auf wen es zutrifft. Kleine Zahlen liefern ein statistisch gesehen unbrauchbares Ergebnis, von dem man aber besser weiß, auf wen es zutrifft. Schwer zu entscheiden, welche dieser Arten von Unwissen die nutzlosere ist.” (Beck-Bornholdt HP, Dubben HH (2003): Der Schein der Weisen. Rowohlt Reinbek, S.218 )

Waren es wirklich “hohe Qualitätsansprüche”, weswegen Shang et al 102 von 110 Studien aussortierten, um aus den verbleibenden 8 Studien zu belegen, dass Homöopathie ineffizient sei? Dass eine einseitige Priorisierung randomisierter klinischer Studien zu einer Überbewertung der Stärken von kontrollierten Studien und Unterbewertung deren Schwächen führen kann, findet man bei Singh/Ernst nicht. Das ist unseriös.

Es ist klar: Singh /Ernst wollen nicht differenziert diskutieren, denn dann könnte ihre Argumentation brüchig werden. Sie sind nicht bereit, einem von ihnen als “Schurken” Benannten (siehe unten) auch nur ein Fitzelchen Wahrheit zuzugestehen. Ihre Logik ist die des Nullsummenspiels: Es kann nur einer die Wahrheit für sich beanspruchen.

Verzerrte Wirklichkeitsdarstellungen finden sich zuhauf, ich beschränke mich auf drei:

Warum verschweigen Singh/Ernst, dass der Aderlass schon von Paracelsus abgelehnt worden war, ebenso wie von Hahnemann?

Warum verschweigen Singh/Ernst, dass Hahnemann schon 1831 spektakuläre Erfolge bei der Cholera hatte bevor Dr. John Snow 1854 seine Theorie entwickelt hatte, dass Cholera durch den Kontakt mit verseuchtem Wasser und Abwasser übertragen werde?

Warum ziehen Singh/Ernst als Fazit zur Blutegeltherapie: “Es gibt einige Hinweise, dass sie wirksam zur Schmerzbekämpfung bei Kniearthrose eingesetzt werden können. Es gibt keine Belege, die für ihren Einsatz bei irgendeiner anderen Behandlung durch Alternativtherapeuten sprechen” ( S. 367) obwohl sie vorher konstatiert haben, dass Blutegel ”Patienten helfen, sich von manchen Operationen zu erholen (…) weil sie chemische Stoffe freisetzen, die den Blutfluss steigern und daher den Heilungsprozesse beschleunigen.” (S. 42) und das Beispiel der Operation eines Zungentumors anführen?

Wenn man seine subjektive Wahrheit zu laut sagt, kann es schon vorkommen, dass man gehen muss. Nach Horst Köhler hat dies anscheinend auch Edzard Ernst erfahren. Was war vorangegangen? Singh und Ernst hatten ihr Buch “Gesund ohne Pillen” dem Prinzen von Wales gewidmet und unterstellten eben diesem unter der ÜberschriftReklame für nicht belegt oder nachweislich unwirksame Therapien: die Top Ten der Schurken” in der Reihenfolge “

Prominente (…)

Medizinforscher (…)

Universitäten (…)

Alternative Gurus (…)

Die Medien (…)

Die Medien (noch einmal) (…)

Ärzte (…)

Alternativmedizinische Interessenverbände (…)

Regierungen und Aufsichtsbehörden (…)

Weltgesundheitsorganisation (..)” “S. 305ff)

unter Punkt 9, eine “empörende Verantwortungslosigkeit der Medicines and Healthcare Regulatory Agency” forciert zu haben.

Wenn ich als Blogger jemanden als Schurken bezeichnete, könnte jeder sich gegen einen „ad hominem“-Angriff verwehren. „Schurke“ ist eine Meinungsäußerung, und wenn Singh/Ernst hervorheben, nur Hippokrates' Motto zu folgen, („Es gibt in der Tat zwei Dinge, die Wissenschaft und die Meinung: die Erstere gebiert Wissen, die Letztere Unwissen”) ist das billige Demagogie und Meinungsmache. Mit mehr Recht kann man das Gegenteil postulieren, wie es z. B. Franz Walter tut: „Jedes Wissen multipliziert Nicht-Wissen, produziert auch nicht-beabsichtigte Resultate von Wissensanwendungen mit hohen Risikofolgen. (…) Das, was angeblich unleugbar ist, wird subjektiv konstruiert und ausgedeutet, durch verschiedenartige normative Perspektiven, gesellschaftliche Orte, kulturelle Werte und handfeste Interessen der Betrachter und Interpreten. „ (in: FR 17.11.2011 „Alternative zur Heilserwartung“)

Warum bei Ernst die politischen Überlebensinstinkte nicht mehr funktionierten, wieso Ernst annehmen konnte, Immunität zu genießen, zu glauben, eine später als „ironisch“ apostrophierte Widmung sich leisten zu können, den Prince of Wales ungestraft öffentlich als “Schurken” zu titulieren, kann ich nicht erklären. Schon auf der persönlichen Ebene wäre es ein nicht wieder gutzumachender Affront, dem, den man grüßt, zugleich vors Schienbein zu treten. Dies könnte künftig Anlass sein, von Don Quichote hin zu Edzard Ernst eine exponentielle Steigerungslinie zu sehen. Lehrreich, dass sich so wieder betätigt: Wissenschaftliche Qualifikation ist kein Schutz davor, Dummheiten zu begehen, umso mehr ein Grund, nach Daniel Goleman auf “emotionale Intelligenz” oder auch “soziale Intelligenz” zu achten, oder hinsichtlich der Tatsache von prospektiven Therapiebewertungen es mit Nietzsche zu halten: „Alles aber ist geworden; es gibt keine ewigen Tatsachen so wie es keine absoluten Wahrheiten gibt. - Demnach ist das historische Philosophieren von jetzt ab nötig und mit ihm die Tugend der Bescheidung.“(

Friedrich Nietzsche, Werke I - Menschliches, Allzumenschliches

) oder, zukunftsgewandt zu beherzigen: „Man kann zwischen den verschiedenen Typen der Zukunft nicht a priori unterscheiden, sondern nur durch Erfahrung“ (Eric Hobsbawn, FR vom 16.11.2011).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

bertamberg

Xundheit! Salut! o! genese! Aufs Ganze gehen, bei Erkennen & Tun, Diagnose & Therapie. Alles ist vollkommen, "wenn das nötige gemacht ist." (Goethe)

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