Der Kälberflüsterer

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oder Berhard Bueb, der „strengste Lehrer Deutschlands“

Deutschland im Erziehungs- und Bildungsnotstand. Die Katastrophe naht und am 27. September ist Bundestagswahl. Regierungskälber, Provinzkälber, grüne Wiesental-Kälber wissen nicht weiter, verabschieden sich in die Sommerferien. Jedoch: Ruhe bewahren ist erste Bürgerpflicht, keine Panic auf der Titanic. Leisten wir uns einige Rückblicke, Ausblicke und hören wir, was ein ganz besonderer Kälberflüsterer für Weisheiten anzubieten hat.

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PISA, TIMSS, schlechte Zeugnisse quer durch die Republik, der Ruf nach nationalen Bildungsstandards, ein Heer von anscheinend besorgten Beratern, ermüdendes Politikergezänk, vollmundige Reformrhetorik, gelangweilte Schüler, frustrierte Lehrer, verunsicherte Eltern – was ist los in Deutschlands Schulen?
Das System Schule scheint krank zu sein, schwer krank: Schein oder Sein, Wahrheit oder Irrtum? Wie lauten die Antworten?
Ausführliche Bestandsaufnahmen und Diagnosen gibt es zum schulpolitischen Waterloo alle Jahre wieder, durch viele Schwarzweiß- Brillen gesehen und gleichzeitig als buntes Stimmengewirr vorgetragen: aufgeregt, mahnend, unterkühlt, laut, leise, marktschreierisch, beschwichtigend, beschwörend, aufrüttelnd und fast immer mit einem Quäntchen Wahrheit gewürzt: Ja, die Verwahrlosung der Sitten und die Eskalation der Gewalt an Schulen stoppen, der Vergreisung der Lehrerschaft entgegenwirken, die Lehrerausbildung neu regeln, den Beamtenstatus von Lehrern abschaffen (und bei der nächsten Sitzung in den politischen Gremien und in der Tagespresse wieder verteidigen), die Eltern an ihre erzieherischen Aufgaben erinnern . Vor allem die Eltern und Großeltern, auch durch 68er Eskapaden irregeleitet, Staatsautoritäten untergrabend, tragen eine große Mitschuld an der ganzen Misere.

Die Republik diskutiert ernsthaft über Bildung, könnte man meinen, gar Bildungsstreiks werden von Studierenden ausgerufen. Bund und Länder bereiteten sich in den letzen Monaten intensiv auf den nationalen Bildungsgipfel vor, die Bundeskanzlerin reiste bildungsbeflissen durchs Land - reisen soll bekanntlich bilden - und Massenblätter lancierten ihre bildungspolitischen Positionen und pädagogischen Lieblinge. Die FAZ z.B. puschte den Disziplinmatador und ehemaligen Internatsleiter Bernhard Bueb: “Deutschlands strengster Lehrer” titelt die Bildzeitung zustimmend. Bueb ist seit 2006 der neokonservative Liebling, gefragter Festredner, pädagogischer Frontmann a.D., aus altem Schrot und Korn. Aus der Buebschen Bücher-Mottenkiste wird im Jahr 2006 zuerst Lob der Disziplin hervorgeholt und dann, im September 2008 nachgeladen, mit dem neuen Buch Von der Pflicht zu führen. Neun Gebote der Bildung. Konservative Medienunternehmen investieren hier mit großer Münze, sorgen für die nötige Verbreitung des Heil versprechenden Gedankenguts. Medienpräsenz wird systematisch organisiert, auch bekannte Talkshows wie z.B. bei Anne Will gehören ins Repertoire. Mehr Führung mit Bueb und den neun Geboten wird auch im Hessischen Rundfunk (ttt-Sendung) untergebracht. Ein paar einkalkulierte kritische Stimmen runden die auf Seriosität bedachte Marketingstrategie ab. Man will doch nicht indoktrinieren, sondern „aufklären“.

Man fragt sich, warum eigentlich nur 9 Gebote, warum nicht gleich 10 Gebote, in Stein gemeißelt, vom Bueb-Moses-Internat zur erzieherischen Heilung der deutschen Jugend? In ‚Lob der Disziplin’ heißt es: „Die Achtung vor der Autorität der Älteren, vor allem der Eltern, müssen wir Kindern und Jugendlichen abverlangen. Dem vierten der zehn Gebote, du sollst Vater und Mutter ehren, muss heute so dringend Geltung verschafft werden wie zu alttestamentarischen Zeiten, als die Würde und selbst das Überleben der Eltern gefährdet war. Wir nähern uns wieder diesen Zeiten, denn nicht nur die Achtung vor den Eltern, sondern vor den Älteren überhaupt wankt. Wer Autorität besitzt, darf Respekt und Achtung erwarten, aber auch Gehorsam. (Bueb 2007, 10. Auflage, S. 57) Weiter können interessierte Erziehungshungrige erfahren: „Wer versucht, Jugendliche ohne Strafen vor Drogen, Alkohol und Rauchen zu bewahren, wird scheitern. Jugendliche sind ungefestigte Persönlichkeiten und solchen „Verführern“ nicht gewachsen, insbesondere wenn sie in der Gruppe von Gleichaltrigen angeboten werden.“(109) Das Salem-Internat mit Bueb ist nach eigenen Angaben mit wohlmeinenden Gesprächen mit den Jugendlichen gescheitert. Deshalb wurden tägliche Urinproben als pädagogisch-praktische Konsequenz eingeführt. „Jeden Morgen wird ein Schüler nach dem Losverfahren bestimmt, der eine Urinprobe abzugeben hat. Wenn die Prüfung einen positiven Befund ergibt, wird der Schüler fristlos entlassen. Bereits bei der Aufnahme im Internat müssen Eltern und Schüler unterschreiben, dass sie dieses Verfahren akzeptieren.“ (110). Das ist definitiv Klartext, da bleibt kein Auge trocken. Zusätzlich sind Entgleisungen zu lesen wie “Die Menschen klären, die Sachen stärken” (164).
Korrekt heißt die pädagogische Grundformel selbstverständlich beim Reformer Hartmut von Hentig: “Die Menschen stärken, die Sachen klären”. Der Freudsche Versprecher - von Autor und Lektor! - läßt tief blicken. Besonders peinlich ist diese Entgleisung auch deshalb, weil Bueb auf der selben Seite explizit von Hentig hervorhebt. “Der große Unruhestifter in Sachen Bildung und Erziehung der Nachkriegszeit und Nestor pädagogischer Theorie und nachdenkender Praxis, Hartmut von Hentig, hat es verdient, schon wegen seiner genialen Formel zur Beschreibung der Tätigkeit aller Lehrer und Erzieher in den pädagogischen Olymp aufzusteigen.” (164). Dann diese fundamentale Patzer! Von dort ist es nicht weit zur neuen Verpackung: Alle Macht den Schulleitern!, so der FAZ-Vorabdruck (04.09.2008) aus den neun Geboten.

Erziehung ist für Bueb wesentlich Führung und Gefolgschaft, immer mit den besten Absichten, versteht sich von selbst. Ansonsten tischt Bueb Binsenweisheiten und oberflächlichen bildungspolitischen Konsens auf. “Kinder und Jugendliche brauchen gestaltete Gemeinschaften.” Dissens bricht bei klugen Pädagogen jedoch sofort auf, wenn er ständig betont “unter Führung von Erwachsenen.” Bueb fordert die Ganztagsschule – wer inzwischen eigentlich nicht? Dann kommt die spezielle Buebsche Variante: “Als wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Ganztagsschule gilt, dass dieselben Erwachsenen, die morgens unterrichten, nachmittags als Partner im Spiel auftreten – nämlich die Lehrer.” Fürchterlich. Dann gäbe es für Schüler kein Entrinnen mehr: die durchgeplante Lehrerschule als überwachendes Erziehungs-Gesamtprogramm. Der eingepasste Lehrer als 7.00 bis 17.00-Arbeitnehmer für die Erziehungsanstalt der Zukunft? Immer mit dem wachenden Auge, dem Gärtnerblick, dass die Pflänzchen doch nach Plan wachsen und gedeihen. Der Obergärnter, der Minister, der Staatssekretär mit Hofstaat, hätten dann auch noch gleich die Lehrer, so ganz zufällig, unter herrschaftlicher Lehr-Kontrolle.
Und das soll der Ausweg aus der “Erziehungs- und Bildungskrise” sein? Mit Bueb zurück in die Führerzukunft?

Wir brauchen stattdessen starke selbstverantwortliche Schulen (sprich: Schulgemeinden aus Schüler, Eltern, Lehrer und Schulleitern mit demokratischer Schul- und Lernkultur) mit Personal- Budget- und Programmhoheit. Wir brauchen die Auflösung bürokratisch-ministerialer Gängelungen - das sieht Bueb im Grundsatz auch so - die schnelle Beseitigung der Überregulierungen im Schulalltag.
Muss deshalb das Berufsbeamtentum für Lehrer abgeschafft werden? Ein alter Vorschlag, den Bueb erneut aufwärmt und ernsthaft glaubt, dass sich die Lehrer dafür selbst einsetzen müssten, in ihrem ganz genuinen Interesse. Wo lebt der Mann?
Nehmen wir einmal an, dass die Lehrer tatsächlich sagen würden: Warum nicht? – so schlage ich als Beobachter vor: Als Pilotprojekte sollten zuerst die Kultusministerien und Schulämter dienen. Abschaffung des Berufsbeamtentums, jawohl: denn Führung heißt Vorbild sein für mehr Flexibilität, Kreativität und Zivilcourage. Das wäre der Praxistest der Ernsthaftigkeit und Glaubwürdigkeit zur beamtenrechtlichen Reform.
Gut, dass wir uns noch unseres eigenen Verstandes bedienen und diesen nicht beim Pförtner, pardon “Führer”, abgeben. Von dem einstigen Reformpädagogen Bueb ist nicht mehr viel geblieben. Man hört bisweilen – die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber. Vielleicht stimmt das gar nicht? Es gibt z.B. gar keine Wiesental-Kälber und Bueb ist auch kein Kälberflüster, sondern nur ein konservativer Hirten-Trommler aus der pädagogischen Provinz.
Denis Scheck (und sein TV-Team in »druckfrisch« vom 06.10.2008) kommentierte zu Buebs neuestem Buch: »Eine Pflicht zu führen kenne ich offen gestanden nur von Blindenhunden. “ Von wegen Kälberflüsterer.

Und ein letztes: Ist das die „neue Bildungsrevolution“, von der Frank Schirrmacher als FAZ-Mitherausgeber, Feuilleton-Chef und neuer Ludwig-Börne-Preisträger träumt?

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Bildungswirt

Bildungsexperte, Wissenschaftscoach, Publizist, Müßiggänger, Musiker

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