Nicht ohne meinen Guru

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Unter den fast hundert Veranstaltungen des diesjährigen Attac-Kongresses fiel eine mit der Nummer 107 schon vom Titel her aus dem Rahmen. Unter der Überschrift „Entstehung und Mechanismen der kapitalistischen Geldökonomie und die Antwort biblischer Theologie und buddhistischer Philosophie“ wurde offenbar für möglich gehalten, dass die Frage nach dem richtigen Wirtschaftssystem eine theologische sein könnte.

Mit Theologie kann man alles und das Gegenteil begründen

Wer dieser Frage ernsthaft nachgehen will, muss vor theologischen Taschenspielern und ihren tausenderlei Tricks gewarnt werden. Mit Theologie kann man nämlich alles und das Gegenteil begründen. Das funktioniert in weltlichen Fragen ebenso mühelos, wie in metaphysischen.Speziell im Christentum liegt das daran, dass schon die Bibel eine Vielzahl von Autoren und Autoritäten gleichrangig nebeneinander stellt. Widersprüche bleiben da nicht aus. Die posthume Verurteilung des ersten Großen Kirchenlehrers der Antike zeugt von diesem Kreuz mit dem Kreuz genauso wie im Mittelalter die präscholastische Zusammenstellung von Kirchenväterzitaten, die Petrus Abaelard spöttisch "sic et non" (Ja und Nein) nannte, oder die Zersplitterung
des einen Kirchenfelsens in tausenderlei Einzelbrocken in der Neuzeit.



Macht macht eindeutig

Nur dort, wo weltliche Macht ihr den Arm leiht, wird Theologie scheinbar eindeutig - weshalb bekanntlich die Piusbrüder mit Religionsfreiheit ein Problem haben, und nicht nur sie. Der Trend in allen monotheistischen Konfessionen und Religionen geht weltweit im Moment weg vom Liberalen, hin zum Fundamentalen, wie Ottfried Nassauer im Forum 602 (Neue globale Weltordnung) feststellte. Was immer dann richtig gefährlich wird, wenn die Wortführer dieser Eindeutigkeiten den Staat als Überzeugungshelfer verpflichten wollen.Auf den ersten Blick könnte man deshalb über den Veranstaltungstitel schon ein wenig besorgt sein, zumal die biblische Theologie von Prof. Ulrich Duchrow vertreten wurde, der schon vor 40 Jahren die lutherische Zweireichelehre, auf deren Grundlage Protestanten die Trennung von Staat und Kirche gewöhnlich bejahen, als bürgerlich-neuzeitliche Erfindung des Spätluthertums entlarvte, was er in der Attac-Veranstaltung auch wiederholte.


Vom Paulus zum Saulus

Doch auf den zweiten Blick ist die Beunruhigung überflüssig. Druchow hat – bisher jedenfalls - nicht einmal innerhalb der Evangelischen Kirche die Macht, die dort Mächtigen von der Richtigkeit seiner Auffassung zu überzeugen. Vielmehr haben die sich inzwischen von allem abgekehrt, was sie noch 1990 auf der Oekumenischen Weltversammlung in Seoul als Selbstverpflichtung mitbeschlossen haben. Hieß es in Seoul noch, dass „die Strukturen der Weltwirtschaft grundlegend verändert werden“ müssen, damit auch die Bedürfnisse der „Geringsten“ befriedigt werden können, glaubt man bei Kirchens jetzt, dass diese Veränderungen inzwischen durch den Neoliberalismus vollzogen wurden.Tatsächlich muss man dieser Auffassung des neuen evangelischen Mainstreams zugute halten, dass die (auch von J.A. erwähnten) 1,2 Milliarden neuen Mittelständler in den Schwellenländern, die die Globalisierung hervorgezaubert hat, ein beachtlicher Erfolg sind, der mit Spendentransfers nicht zu machen gewesen wäre. Dabei wird nur gern übersehen, dass diese Mittelständler vor Ort eben nicht wirklich „die Geringsten“ sind, obwohl ihrem Mittelstand in der Tat alsbald der Notstand folgen könnte: Was rasant wuchs, kann um so rasanter zerfallen, wie man jetzt (wieder) sieht.


In Wort und Tat gewendet

Insider vermuten statt dessen, der religiöse Sinneswandels könnte mit dem sogenannten „Strukturwandel“ zu tun haben. Seit zehn Jahren betreibt die Evangelische Kirche in ihrem Inneren eine Ökonomisierung, bei der immer öfter das Gegenteil von dem geschah, was sie nach außen anderen predigte. Seit der Unternehmerdenkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom Juli 2008 stimmen nun Wort und Tat wieder überein. Scheinbar kritiklos werden den Unternehmern darin die Segnungen des Neoliberalismus von der EKD erklärt. „Funktioniert diese Ordnung, so führen die wettbewerbsgetriebenen Aktivitäten der Wirtschaftssubjekte nicht nur zu hoher Effizienz, sondern begrenzen auch die staatliche Regulierung auf das Notwendigste und sorgen so für mehr Freiheit. Dieser klassische – auch Ordo- (oder Neo-) Liberalismus genannte – Ansatz wurde im Wesentlichen von Walter Eucken und der »Freiburger Schule« in den frühen 40er-Jahren entwickelt.“


Die ewig Gestrigen

Über Sätzen wie diese empören sich rückwärtsgewandte Theologen wie Ulrich Duchrow oder der Erfurter Propst i.R. Heino Falcke, der 1983 in Vancouver als Vertreter des Kirchenbundes der DDR den Anstoß für die spätere Oekumenische Weltversammlung gegeben hatte. Sie sehen darin einen glatten Bruch des Wortes, das alle Kirchen der Welt den Armen in Seoul und anderswo einst gaben. Bis Pfingsten sammeln sie deshalb Unterschriften für einen Aufruf, mit dem sie die EKD an ihre früheren Worte erinnern.Nicht auszuschließen, dass die zwölf Erstunterzeichner dieses Aufrufs die EKD-Denkschrift grundlegend missverstanden haben. Das hieße dann aber, dass Unternehmer und Politiker sie ebenfalls missverstehen können, von den Medien ganz zu schweigen. „Heuschrecke als Gottesanbeterin“ titelte die FAZ und „Seid anständig, vermehrt das Kapital“ der Freitag, wo Mitunterzeichner Franz Segbers mit der These „Die Verantwortung des Unternehmers kann nicht an die Stelle der frei gewordenen politischen Verantwortung treten.“ seine Kirche aus der „neoliberalen Falle“ zu befreien versuchte. Bisher vergeblich. Auch die börsensaalähnlichen Auseinandersetzungen auf der Kölner Novembersynode, über die domradio.de unter der eher verharmlosenden Headline „EKD-Synode wirft Huber ‚Kuschelkurs mit den Neoliberalen’ vor“ berichtete, führten zu keinem Beschluss, der den Inhalt berichtigt hätte.

Zum Glück kommt es darauf auch nicht an. Die Frage, wie viele und welche Menschen der Neoliberalismus arm oder reich macht, ist eine empirische und keine theologische. Nur die Klarheit der Sprache des Aufrufs erinnert an die Tatsache, dass es bis 1989 in Ost und West vor allem Theologen waren, die die Systemfrage anders stellten, als es den jeweils Herrschenden lieb war: Sie erkannten schon damals, dass es um keinen Ost-West-, sondern um einen Nord-Süd-Konflikt ging. Nicht zuletzt deshalb widerspiegeln die „Zehn Grundüberzeugungen“ von Seoul bis heute in unübertroffener Kompaktheit die große Unfreiheit auf der Rückseite eines vermeintlich freien Marktes.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

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