Geisteshimmel und Heimatwurzel-Die Mainzer Synagoge

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Geisteshimmel und Heimatwurzel - Die neue Synagoge zu Mainz

oder: Warum das Sprechen über ein judäo-christliches Deutschland schwerer fallen müsste, als es derzeit locker von den Lippen geht.

„Meor ha-Gola - Beth Knesset Magenza“ steht auf den Gussplatten am Eingangsportal der neuen Synagoge zu Mainz. Das heißt, „Leuchte der Diaspora - Haus der Versammlung Mainz“ und erinnert zugleich an den großen rabbinischen Gelehrten Gershom ben Jehuda (960-1028 oder 1040), dem man einst in den SCHUM-Gemeinden am Rhein den Beinamen „Leuchte der Diaspora“ gab.http://1.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLH4l-TjwzI/AAAAAAAAAdo/szs8GczMj90/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-26,05-060910.jpg

SCHUM, genauer Sch, für Schpira, Spira, Speyer; U für Vav, für Warmaisa, das Vv ersetzt Wu; M, wie Mem, für Magenza, Mainz, das meint den Zusammenschluss der drei aschkenasischen Urgemeinden in den Domstädten entlang des Stromes, die während des 11. und 12. Jahrhunderts unter dem besonderen Schutz des deutschen Kaisers und Königs, bzw. der regionalen Reichsfürsten standen ( www.politische-bildung-rlp.de/fileadmin/download/d52022.pdf )http://2.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLH6ZrRxKnI/AAAAAAAAAd8/Gn-w-4uSgCw/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-10,05-060910.JPG

Wer solchen Schutz nötig hatte, der wurde von diesen Mächten auch ausgebeutet, um günstigen Kredit, dann die Stundung der Schuld, später gar, die zinslose Tilgung erpresst. Man brauchte den jüdischen Fernhandel für den eigenen Luxus und ebenso die protokapitalistischen Geldgeschäfte, die man den Juden zuschob, weil sich die Adelsschicht aus religiösen und aus Standesgründen nicht offen als Finanziers und Banker betätigen wollte.

Mit den jüdischen Kaufleuten und Geistlichen lebten, segregiert von der Mehrheitsbevölkerung, eine Vielzahl jüdischer Handwerker und Bediensteter, die auch für Christen arbeiteten, ebenso viele Nicht-Juden. Im frühen und hohen Mittelalter sahen sich die jüdischen und christlichen Quartiere sehr ähnlich. - Einen gewichtigen Unterschied gab es jedoch. Viel mehr jüdische Bürger konnten lesen und schreiben. - Die Juden hatten in der Mehrheitsgesellschaft vor allem korporative Rechte. Sie durften sich mit einem Judenrat selbst verwalten und der regionale Fürstbischof verhandelte mit einem „Judenbischof“ aus ihren Reihen, der als Führer der Gemeinde und Kontaktperson auftrat.

Die Haltung der Christen blieb immer ambivalent und kurzfristig konnte die Stimmung wechseln. Wäre man böse, müsste man sagen, sie änderte sich nach der Kassenlage und nach dem aktuellen Krisengefühl der Bevölkerung. - Das gibt doch zu denken!

Mit den Juden kam Wissen aus dem Mittelmeerraum. Zum Beispiel durch die Rhadanen, die jüdischen Fernhändler (auch Radaniten, Rhadaniten geschrieben). Vor allem jedoch, über das Netzwerk der Rabbinate und Theologieschulen, die Kontakte zur Kultur der Levante, des Nahen Ostens, Arabiens, Persiens und Afrikas pflegten. Lockere Verbindungen lassen sich bis nach Asien verfolgen, ebenso an die Schwarzmeerküste, in das Gebiet der im 8. Jahrhundert jüdisch konvertierten Chasaren, von dort weiter nach Zentralasien. -Woher die Rhadaniten ursprünglich stammten, wie groß ihr Einfluss und ihre reale wirtschaftliche Bedeutung war, das ist bis heute umstritten.

Die SCHUM-Städte galten als Vorreiter der jüdischen Modernität, ihre Gelehrten als geistliche Autoritäten. Ähnlich den islamischen Imamen, ergab sich ihre Auslegungsmacht nicht aus einem Dogma oder aus dem theologischen Stand, sondern erwuchs aus der Anerkenntnis und Hinwendung einer größeren Zahl von Gemeindemitgliedern zur Auslegungs- und Erklärungskraft eines Rabbiners (1).

Einer der bedeutenden Gelehrten der Mainzer und Wormser Gemeinde kam aus Troyes an der Seine, einer Weinhandels und Weinbaustadt, in der auch Juden Wingerte besaßen und sehr wahrscheinlich selbst bewirtschafteten: Rashi, das ist Rabbi Schlomo ben Jizchak (1040-1105). Er und seine Schüler schufen einen Korpus an Talmud-Kommentaren, der bis heute, wegen seiner Worttreue und akribischen Auslegepraxis hoch im Kurs steht. Mit seinen Lehrmeistern an der Wormser Jeschiwot, der geistlichen Hochschule für die Thora- und Talmudstudien, begründete er die theologische Tradition der Ashkenasim. Zurück in Troyes leitete er eine eigene Jeschiwa und betrieb den Weinhandel seiner Familie.

Der schon genannte, Mainzer RabbinerGershom ben Jehuda kam aus Metz und ließ sich in Mainz nieder. Er begründete die Schule, aus der später Rashi hervor ging. Neben der Talmud-Kommentierung und der Gemeindearbeit, oblag es ihm, die aus ganz Westeuropa eintreffenden Beratungsfragen zur Einhaltung der Glaubensgebote gutachterlich zu entscheiden. Darin war seine Schule so anerkannt, dass spätere Rabbinate ihre Weisungen ausdrücklich mit dem Hinweis versahen, „im Namen des Rabbi Gershom“, oder „Thakkanot-Schum“, nach dem Dekret der SCHUM-Rabbinate. U.a. setzte er die Einehe endgültig durch, vertrat die einvernehmliche Ehescheidung, an Stelle der Verstoßung, forderte die Wiederaufnahme zwangschristianisierter Juden und formulierte ein strenges Briefgeheimnis.

Das Pogrom als ständige Bedrohung

Für die zahlreichen Übergriffen wurden immer wieder die gleichen Gründe genannt. Es störte die Andersartigkeit der Juden in Habitus und Gestus. Fatal wirkte die katholische Lehre von den Juden als Christusmördern. Für schlechte Wirtschaft, schlechte Hygiene und tragische Todesfälle, gab es die jüdischen Sündenböcke.

1096 kam es beim ersten Kreuzzug zu massiven Austreibungen und Massentötungen an den Juden der Rheinstädte. Graf Emichos Banden zogen auch durch die SCHUM-Gemeinden. In Mainz und Worms starben je etwa die Hälfte der jüdischen Bewohner, aus einer tausendköpfigen Gemeinde, etwa 1/7 der Stadtbevölkerung!

Die christlichen Reformorden beschleunigten und vertieften die Kluft zwischen Juden und Christen. Klostergeistliche erwiesen sich als geistige Brandstifter. Tatkräftig half ihnen mittlere und niedere Adel. Während des zweiten Kreuzzuges 1147/1148 musste Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux die eigenen Ordensbrüder zur Mäßigung aufrufen.

Trotz vieler Schutzbriefe und Siegel, Kaiser Friedrich II., unser Kind aus Apulien, hatte 1236 alle Juden zu Servi camerae nostrae, zu Kammerknechten und Schutzbefohlenen des Kaisers gemacht, blieb die Lage prekär, denn schon 1205 verkündete Papst Innozenz III. das Dogma von der ewige Judenknechtschaft. Später sollte Thomas von Aquin dazu schreiben: „Da die Juden....durch ihre Schuld ewiger Knechtschaft verfallen sind, so dürfen die Landesherren ihnen ihren Besitz wegnehmen, wenn sie ihnen nur das zum Leben Nötige belassen.“

Noch ein paar Jahre vorher, 1190, hatte der salischer Vorgänger Friedrichs II. , Kaiser Heinrich IV. , den SCHUM-Gemeinden das Privileg einer eigenen Gerichtsbarkeit in Glaubensfragen und die juristische Gleichstellung bei jedem gesetzlichen und vertraglichen Handeln gewährt. Noch früher, 1084, begrüßte der Bischof von Speyer die aus dem verbrannten Mainzer Judenviertel Zuziehenden als Bereicherung und Zierde seiner Stadt. - All´ das nutzte nichts.

Durch die beiden Laterankonzile von 1179 und 1215 war festgeschrieben, die bisher in den Gemeinden frei wohnenden Juden hätten nun in abgetrennten Vierteln zu wohne. Der Papst bestand auf kennzeichnende Kleidung. Gelbe Judenscheiben oder Judenringe mussten sichtbar getragen werden. - Der Davidstern kommt viel später, unter osteuropäischen Juden in Mode, bevor ihn Antisemiten und Nationalsozialisten zur Ausgrenzung nutzen.

Die jüdischen Quartiere ursprünglich in großer Nähe zum jeweiligen Sitz des regionalen Schutzherren, - Quellen, z.B. aus Frankfurt am Main, berichten, wie ungern sich die Juden entlang der Stadtmauer ansiedeln wollten, weil dort Übergriffe drohten-, wanderten an die Stadtmauer. Während der Kreuzzüge half nicht einmal das Kirchenasyl!

1349/50 kam es erneut zur großen Katastrophe. Nach der Pestepidemie, 1348, galten die Juden als Verursacher des Massensterbenst. Wer nicht getötet wurde, der floh oder wurde mit Gewalt ausgetrieben. Die Aschkenasim-Juden, später galten sie als die deutschstämmigen Juden schlechthin, mussten aus den rheinischen Städten nach Osten fliehen, Achashverosh/ Ahasveros auf der großen Wanderung.

Das Jiddische, eine Sprache mit altfranzösischen, mittelhochdeutschen und hebräischen Wurzeln, geschrieben in hebräischer Schrift, behielten sie bei. Es diente als soziale Klammer in der weiteren Fremde und blieb eine Erinnerung an die ursprüngliche Herkunft.

Die ausgestreuten Israels (Diaspora), waren schon zu römischen Zeiten als Handelsleute und Handwerker auf das heutige Staatsgebiet Deutschlands gekommen, die Stadt Köln blieb zunächst ihr Zentralort, daneben auch Trier. Allerdings sind die schriftlichen Zeugnisse rar. Außer Erwähnungen in spätrömisch-konstantinischen Urkunden nach 320, findet sich nicht allzu viel. Erst 917 und 937 werden Juden als Teil der Mainzer Stadtbevökerung offiziell genannt. Um die Jahrtausendwende und einige Jahre danach, kennen die Quellen schon die alten jüdischen Friedhöfe in Mainz und Worms (Sände).

Die Mainzer Juden kamen ursprünglich auf den alten Handelswegen vom Mittelmeer durch das Rhonetal. Andere Herkünfte für die Sippen sind Troyes in der Champagne, -Champagner gab es dort natürlich noch nicht-, und vor allem Lucca in Italien. - Sie waren also klassische, neu Zugewanderte, denn von einer Kontinuität der bestehenden Judengemeinden seit römischer Zeit ist auch auszugehen.

Die Architektur leitet das Sehen des Wesentlichenhttp://2.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLH5TLjC-kI/AAAAAAAAAd0/MfEhC6vtcXo/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-21,05-060910.jpg

Mainz hat endlich wieder eine repräsentative Synagoge. Die jüdische Gemeinde, - nach dem Zweiten Weltkrieg waren nur ca. 50 Mainzer Juden, der Shoah entgangen, ca. 1400 starben in den Vernichtungslagern, ebenso viele konnten vorher fliehen-, setzt damit ein großes Zeichen der Hoffnung, mehr noch, ein Zeichen der Dauerhaftigkeit und der Zugehörigkeit.

Durch die Auswanderung der Juden aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion wächst die Gemeinde heute weiter an. 65 Jahre nach dem Kriegsende leben wieder mehr als 1000 jüdische Bürger in Mainz und in den Umlandgemeinden, und nun haben sie den Raum der ihnen einen angemessenen Platz für das Gemeindeleben und die Lithurgie bietet.http://3.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLH5CNZh-jI/AAAAAAAAAds/u7hh6Th8fsE/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-22,05-060910.jpg

Die Bürger strömten zur Eröffnung und Übergabe des Bauwerks zu Tausenden an den neuen Synagogenplatz in der Mainzer Neustadt, und staunten angesichts der gewagten, aber völlig logisch aus der Bedeutung die die Schrift für das Judentum hat, abgeleiteten Gebäudeform.http://3.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLJ6tpoqLqI/AAAAAAAAAeg/AlPdiIGeZsU/s640/100_5437-1.JPG

Der Architekt Manuel Herz verleugnet nicht seine Vorbilder. Er hat bei Daniel Libeskind studiert und zusammen mit Jacques Herzog und Pierre de Meuron gelehrt. Seine ganz eigene Sprache ist diesen Zeitgenossen verpflichtet. Keines seiner bisherigen Bauwerke wirkt gewöhnlich, und diese Mainzer Synagoge geht noch einen Schritt weiter. Ein dekonstruktives Konzept schafft eine neue symbolische Form. Das geht, weil Herz die Möglichkeiten des Spannbetons bei der Gestaltung der Gebäudehülle und der Innenraumgliederung (Teppen, Ballustren, Emporen und Rampen) vollkommen ausnutzt (Gebäudeschnitt, www.alemannia-judaica.de/images/Images%2058/Mainz%20Synagoge%20Plan%2006.jpg ).http://3.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLH7B0XYjAI/AAAAAAAAAeI/Yz_g16FN8zU/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-24,05-060910.jpg

Die Synagoge steht am neugeschaffenen Platz im Licht und dann im Schatten der Bäume. Das Wechsellicht spielt mit der ungewöhnlichen Oberfläche. Tausende gebrannte, dunkelgrüne Keramikkacheln in Winkelform, speziell gefertigt, überziehen die Fassade des Baus mit einem komplexen Riffelmuster. Der Lauf des Tageslichts verändert die Farbe der Kacheln und die Formen des Baukörpers lösen sich, gegen das Licht gesehen, auf. http://1.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLJ-Zgj29uI/AAAAAAAAAew/R-okjxX787Y/s640/100_5443-2.JPG

Das Gemeindeleben muss sich den Neubau erst noch erschließen. Die Thorarollen sind freilich schon da und weihen das Haus. Die Wände des Gebetsraums und weiterer Wandflächen sind mit abertausenden Schriftzeichen, allesamt Verweise auf die Texte der rabbinischen Lehrmeister des 11. Jahrhunderts, stukkiert, ohne diese jedoch simpel zu zitieren. An einigen Stellen stehen, weniger dicht gesetzt, Piyutim (Piutim), lakonisch knappe Liedgedichte, die in diesem Falle wiederum aus dem Hochmittelalter der Gemeinden am Rhein stammen und inhaltlich die Thora verehren, die Verfolgungen beschreiben und betrauern (www.alemannia-judaica.de/images/Images%20269/Mainz%20Synagoge%20neu%2010186.jpg ), Fürbitten und Gottesdank enthalten. - Piutim werden selbstverständlich auch heute gesungen.

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Keduscha, Heiligung

Verweist der Spruch der Eingangstüre auf die Synagoge als schützenden Raum für eine jüdische Gemeinde außerhalb des gelobten Landes, zugleich auf die Gelehrsamkeit der Rabbiner des alten Magenza (jüd., Mainz), so nimmt die Gebäudehülle als Ganzes das hebräische Wort „Keduscha“ ("Qadushah"), grob übersetzt, „das Heilige“ oder, mit aktivischer Bedeutung, „Heiligung“, auf. - Die Silhouette des Gebäudes, von rechts nach links betrachtet, repräsentiert das heilige Wort. Der zerstörte Tempel Jerusalems hat seine ewige architektonische Analogie in den heiligen Schriften gefunden und diese werden wieder zu Architektur.- „Nichts ist übrig, ausser der Thora“, endet ein bekanntes Lehrgedicht, des überall an diesem Bau eingeschrieben Rabbis Gershom ben Jehuda. - Die Bindung der Gebäudeform und der Innenwände an die Schrift, das versteht man sofort, symbolisiert worum es geht und beweist, wie intensiv für diesen glücklichen architektonischen Entwurf nachgedacht wurde.http://3.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLH8pglvSfI/AAAAAAAAAeU/eRzn2SPnBO0/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-05,05-060910.JPG

Wie ein Widerhorn, Schofar (Shofar), ragt der Turm der Synagoge in den Himmel. Das Horn symbolisiert den Anruf an die Gemeinde und erinnert an Abrahams Opferbereitschaft. Eine Prüfung, die der Gott Israels gar nicht annahm, denn er sah, wie fest der Glaube des Stammvaters war.http://3.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TLJ7SEmW7GI/AAAAAAAAAek/-5tq2kUfpsQ/s640/100_5433-1.JPG

Keduscha heisst eines der drei bekannten Gebete im jüdischen Ritus, neben dem Kaddisch (heb., aramäisch), das nur bei Anwesenheit von zehn erwachsenen, männlichen (heute in manchen Gemeinden auch Frauen) Gemeindemitgliedern gesprochen oder gesungen werden darf, - In der Not gilt allerdings in keiner Religion ein unbedingtes Gebot, es zählt der Mensch. -, und dem Kiddusch ( heb., „Heiligung“ durch den Segen an Schabbat und zu liturgischen Festen). Es ist Teil der Fürbitten für ein heilsgemäßes Gemeindeleben und schließt diese liturgisch ab.

Warum schreibe ich das so genau hin? Weil die beigegebenen Fotografien allzu leicht als reine Apotheose der Architektur verstanden werden könnten. Hier aber, dient der Bau, wahrlich mit einem Aufsehen erregenden Konzept, der Verkörperung einer religiös-geistigen Haltung. Die Synagoge, ist nun einmal mehr als ein Wohnhaus.

„Unsere neue Synagoge zu Mainz“

Das muss man nicht unbedingt wissen, steht man vor dem neuen Bau und einem kleinen Rest eines Peristyls (Vorbau) der zerstörten, mächtigen alten Hauptsynagoge der reformierten Juden (www.alemannia-judaica.de/images/Images%2056/Mainz%20Synagoge%20n%20010.jpg , Trümmer während der Abrissarbeiten 1939, www.alemannia-judaica.de/images/Images%2057/Mainz%20Synagoge%2004.jpg ) die der Brandstiftung in der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 genau so zum Opfer fiel, wie die beiden anderen, etwas kleineren Synagogen der Stadt. http://3.bp.blogspot.com/_6wmcvSPeABE/TK5-hjgCilI/AAAAAAAAAc0/kXTiBAlPtn4/s640/Neue+Synagoge,Mainz,SW-13,05-060910.JPG

Bis zur Reichspogromnacht gab es also drei jüdische Gemeindehäuser in Mainz. Die erwähnte Hauptsynagoge der reformierten Juden, dann eine, im islamisch-maurischen Stil gebaute Synagoge der orthodoxen Juden ( www.alemannia-judaica.de/images/Images%2058/Mainz%20Synagoge%20a010.jpg ), und eine kleinere Synagoge, in der sich die im 19. Jahrhundert zugewanderten polnischstämmigen, othodoxen Juden trafen.

Vermessen wäre es, eine vollständige Geschichte abliefern zu wollen. Zumindest sollte jedoch deutlich werden, dass, selbst unter Ausblendung der nationalsozialistischen Jahre, die deutsche Geschichte mitnichten von einer engen Verbindung und gleichberechtigten Anerkenntnis jüdischer Wurzeln geprägt ist.

Auf eine kurze Phase großer Hoffnungen, sie umfasste etwa den Zeitraum der jüdisch-deutschen Aufklärung, die anschließende französische Revolution und die napoleonische Ära, bis zur gescheiterten 1848er Revolution, in der wesentliche Emanzipationsfortschritte gemacht wurden, folgte bald wieder eine Haltung der Ambivalenz und der überwiegenden Ablehnung der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der religiösen Minderheit.

Wer sich, in Erinnerung des Spruches, „Juden sind unser Unglück“, - Der Historiker Heinrich von Treitschke sprach so von den Juden, wie heute viele Multiplikatoren über Türken und Muslime reden.-, angesichts der vielen judenfeindlichen Gesetze und Verordnungen des Deutschen Kaiserreiches, eingedenk der vielgestaltigen judenfeindlichen Pressehetze, seit der gescheiterten 1848er Revolution, allzu leichtfertig angewöhnt von einer judäo-christlichen Kultur zu sprechen, also alles in einem Atemzug zu nennen, gar ein kulturelles Amalgam anzunehmen, der muss sich schon fragen lassen, wo denn sein Verstand geblieben ist. Meist war die Liebe zu Deutschland und deutscher Kultur einseitig auf der Seite der jüdischen Menschen, nur selten wurde sie erwidert.

Dazu hat Adam Soboczyinski einen klugen und knappen Artikel, >>„Unser Kulturkampf“, Die Rede von der christlich-jüdischen Tradition ist ein Skandal<< geschrieben, den ich gerne empfehle (www.zeit.de/2010/42/Christlich-Juedische-Tradition ). - Er hat schon schlechtere, vorurteilsbeladenere Beiträge abgeliefert ( „Das Netz als Feind“, Warum der Intellektuelle im Internet mit Hass verfolgt wird, www.zeit.de/2009/22/Der-Intellektuelle ) und sich dafür, fast noch mehr angestrengt.

Deutschland zu einem Land mit vielen Wurzeln zu machen, diese unverhoffte Chance nach dem völligen Desaster, ist eine säkulare und durchaus bewundernswerte Leistung des neuen republikanischen Staates, kein alt hergebrachtes Stück Kulturgemeinschaft. Leicht zerbricht, was spät erworben wurde und steht erneut auf dem Spiel, wenn aus diffuser Angst und übertriebener Furcht, angesichts lösbarer sozialer Probleme, der Wunsch nach Homogenität und eindeutiger Kultur wieder stark wird und zu viele Anhänger findet. Die Sehnsucht nach der einförmigen Kultur, sie führt zurück und widersspricht dem Sinn unserer Verfassung. Christoph Leusch

(1) www.historia-interculturalis.de/historia_interculturalis/JuedischeGeschichte02.htm#Historikertag , übersichtliche Quelle zu den historischen Themen, bis zur frühen Neuzeit. Karten, Dokumentenauszüge, gute Bildbeispiele.

- www.arte.tv/de/Juedisches-Leben---Juedische-Geschichte/1481976.html , bildreicher Ausgangspunkt für eine Exkursion.

- www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/bilderserie/1126742/Synagogen-in-Worms%252C-Speyer-und-Mainz-?bildIndex=1#/beitrag/bilderserie/1126742/Synagogen-in-Worms%2C-Speyer-und-Mainz- , ein Leporello guter Bilder zu den historischen Bauten der SCHUM.

- www.talmud.de/cms/Synagogen-und_Gemeindele.442.0.html , umfassende Webseite zum jüdischen Leben in Deutschland, hier: „Synagogen- und Gemeindeleben im Mittelalter“, Leon Scheinhaus.

- www.manuelherz.com/ , die Seite des Architekten. Sucht das Abrissmanifest!

- www.rlb.de/rpbgooi/sn630000/sn632000/sn632000_$.htm, Bibliografie zu Judaica mit regionalem Bezug.

- www.susannealbers.de/02kultur-juden01.html , Susanne Albers, Berlin, baute eine der schönsten privaten Webseiten zum Thema. Von dieser Frau und ihren Seiten konnte ich auch in anderer Hinsicht jederzeit etwas lernen.

- www.jgmainz.de/index.htm , Seite der jüdischen Gemeinde Mainz.

- www.alemannia-judaica.de/mainz_synagoge.htm , die Seiten der Alemannia Judaica - Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum.

-Weitere Fotografien: haendlerundheldenmbh.blogspot.com/2010/10/meor-ha-gola-beth-knesset-magenza.html

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