2012 und die Weichenstellungen

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Nach der personellen Selbstdemontage des politischen Personals aus dem Regierungslager folgt die der Presse; wer vermittelt eigentlich dann noch Politik?

Keine Frage, die 17. Legislaturperiode in Deutschland ist in der Mitte ihrer an sich programmierten Dauer bereits ein Unikum. Ein Verteidigungsminister musste schon nach 33 Tagen wegen der sogenannten Kunduzaffäre gehen. Der Nachfolger nahm 4 Monate später seinen Hut, weil sein Doktorat nicht das Papier wert war, auf dem es verliehen wurde. Der Stellvertreter der Kanzlerin durfte 7 Monate amtieren, bevor er demontiert und ersetzt war von jemandem, dessen Zukunft nach weiteren 6 Monaten nur noch an einem seidenen Faden hängt. Ein Wirtschaftsminister ist aus parteitaktischen Gründen ausgeschieden, sein Nachfolger in Wirtschaftsdingen so beschlagen wie es ein Stabsarzt der Bundeswehr ohne Facharztausbildung eben sein kann. Und ein spät berufener Innenminister erwies sich beim Handling rechtswidrig eingesetzter Ermittlungsmethoden („Bundestrojaner“) als derart resistent in Sachen Rechtsstaatkenntnis und solcher in moderner Technologie, dass Rücktrittsforderungen das Mindeste waren; er ist geblieben.

Die Schwäche des politischen Personals hat vor dem höchsten im Grundgesetz vorgesehenen Amt nicht halt gemacht. Horst Köhler zog sich so vorzeitig wie larmoyant zurück, weil er die heftigen Antworten auf seine politische Botschaft zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr nicht weiter ertragen wollte. Auch Christian Wulffs Schicksal ist im Grunde bereits besiegelt. Einerseits steht im Raum, dass er als Ministerpräsident eines Bundeslandes mit der Annahme eines vergünstigten Kredits gegen geltendes Recht verstoßen haben könnte. Es ist ohne weiteres einsichtig, dass die beträchtliche Zinsvergünstigung im mindestens fünfstelligen Valutabereich eine unentgeltliche Zuwendung, mithin eine Schenkung darstellt. Die Annahme eben dieser verbietet das Niedersächsische Ministergesetz in § 5 Absatz 4: „Die Mitglieder der Landesregierung dürfen, auch nach Beendigung ihres Amtsverhältnisses, keine Belohnungen und Geschenke in Bezug auf ihr Amt annehmen.“

Unstreitige Geschenkannahme

Dass dem Bundespräsidenten die Möglichkeit eines Verstoßes gegen die Bestimmung wohl bewusst ist, wird indirekt in der Stellungnahme seines Anwalts Gernot Lehr vom 5. Januar bestätigt. Darin wird nicht bestritten, dass das gewährte Darlehen in Teilen tatsächlich eine Schenkung war, sondern lediglich, dass sie nicht „in Bezug auf das Amt“ erfolgte. Die Begründung generationeller Freundschaft der Beteiligten, die derlei Argument tragen würde, vermag allerdings den Eindruck gegenseitiger Hilfestellung nicht zu beseitigen: Alleine das Entree in eine Wirtschaftsdelegation des Ministerpräsidenten bietet einen zwar nicht bezifferbaren, aber unabweisbaren Vorteil. Türen, die im Gastland möglicherweise sonst verschlossen geblieben wären, tun sich leichter auf. Egon Geerkens wurde in dieser Hinsicht mindestens 4 Mal privilegiert.

Andererseits hat sich das Verhältnis des obersten Staatrepräsentanten zur Vierten Gewalt im Land von einer Affäre zur Groteske entwickelt. Die Bedrohung von Journalisten mit Klage zur Verhinderung von Artikeln, der Gebrauch der institutionellen Internetpräsenz des Bundespräsidenten, um einem Journalisten öffentlich nach seinem Verhältnis zur Vertraulichkeit zu befragen. Und schließlich der Rückzug hinter ein vom Grundsatz der Verschwiegenheit geprägten Anwalts- / Mandantenverhältnis, um unbesonnene Ankündigungen zu Transparenz und Aufklärung in letzter Sekunde wieder einzuhegen.

Eine Verkehrung von Vorzeichen

Denkt man sich den unbedingten Machtwillen und den Aplomb weg, es wäre die Blaupause zu Silvio Berlusconis Habitus: Auch der ehemalige Chef der italienischen Exekutive verteilte unter anderem via Netzpräsenz des Ministerrates rote Karten an die Presse, die sich zu angelegentlich mit der Vermischung von Privatem und Öffentlichem beschäftigte und ließ, wenn es eng wurde, seine Anwälte, die Abgeordneten Niccolò Ghedini und Piero Longo, die Sache in seinem Sinne klären. Das ging lange Zeit gut, weil nie im Zweifel stand, wer Herr der Verfahren war.

Hier enden die Parallelen auch schon, bislang. Denn wo Berlusconi kraft eigener medialer Unternehmerschaft mit seiner Spielart des veröffentlichten divide et impera auftrumpfen konnte, besorgt dies hierzulande ein Teil der Presse in eigener Verantwortung: Naserümpfend, weil BILD eben ist, was es ist, wird nicht mehr die Frage gestellt, ob der höchste Staatrepräsentant einwandfrei ist, sondern ob das Blatt lediglich das eigene Renommee aufpolieren wollte und will. Und ersetzt damit mindestens unprofessionell die Recherche mit der allgemeinen, allgemeinst beantwortbaren Suche nach einem cui bono, mit Motivforschungen. Dass dabei nicht nur die zwei Causae Wulff aus dem Bewusstsein schwinden, sondern insgesamt die Schwäche der politischen Riege mit einer Schwächung der Kontrolloren kompensiert wird, wird billigend in Kauf genommen.

Glaubt man den Wirtschaftsauguren, dämmert mit 2012 für Deutschland ein schweres Jahr herauf. Was bislang als Meisterung der Wirtschaftskrise vollmundig verklärt wurde, könnte sich als die Kontinuation struktureller Mängel erweisen, die nur deswegen mit Verspätung durchschlägt, weil Deutschland die weniger schwache der europäischen Volkswirtschaften wäre. In diese Zeit der Herausforderung zieht eine Regierung, deren Mitglieder in Teilen weniger als Exekutive wirken, sondern mehr als Improvisationskünstler für die eigene Daseinsberechtigung. Mit an der Spitze des Staatswesens ein Mann, der erforderliche Gesetze auszufertigen hat und im Notfall den Bundestag auflösen kann, aber selbst bereits eingeräumt hat, in einer Weise gehandelt zu haben, die „mit meinem Amtsverständnis nicht zu vereinbaren“ ist.

Letzteres ist eine gute Einsicht. Es fehlt nur noch die Konsequenz, sie umzusetzen. e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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