Europas Außenministerium und die Glaubwürdigkeit

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Demnächst, am 19. November, soll eine völlig neue Position zu besetzen sein, die des „Europäischen Außenministers“. In den Startlöchern stehen Viele, auch Sozialisten. Wer es konkret werden soll, darüber herrscht einige Verwirrung. Martin Schulz, Fraktionsvorsitzender der SPE im Europäischen Parlament, sprach am Rande der Berliner Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung davon, dass David Miliband, derzeit britischer Außenminister der Labour-Regierung Brown, an einer Kandidatur „nicht interessiert sei“. Er wolle daher den ItalienerD’Alema „massiv unterstützen“. Erstaunlich an der Wortwahl ist: Das Europäische Parlament hat bei dieser Entscheidung nichts mitzureden, sie ist eine des Europäischen Rates. Schulz offenbart mit seiner Rhetorik daher lediglich eine aus den nationalen Politiken stammende Malaise, die des Proporzdenkens: Nord-Süd, Konservative gegen Sozialdemokraten. Ohne Ansehung der Personen, obwohl die, die zur Auswahl stehen, das neu ausgerichtete Amt auf Jahrzehnte hinweg prägen werden.

Damit ist der klassische Blog-Eintrag zu Ende. Umblättern. Oder doch nicht, wenn man einen der Kandidaten näher kennen lernen will, ein vermitteltes Shake-Hands mit Small-Talk.

Massimo D’Alema, 1949 in Rom geboren, ist das, was man einen Vollblutpolitiker nennt. Als Kommunist der dritten Generation im Nachkriegsitalien bekleidete er bereits in jungen Jahren prestigeträchtige Ämter im Partito Comunista Italiano (PCI) und im Rat der Stadt Pisa, deren Eliteuniversität „La Normale“ er ohne Abschluss besucht hatte. Wäre sein Mentor, der charismatische Enrico Berlinguer, der ihn u.a. zum Führer der Jungkommunisten im FGCI berief, 1984 nicht unerwartet früh gestorben, seine Parteikarriere wäre noch steiler verlaufen. So kam seine Stunde erst, als 1989 die Berliner Mauer fiel. Die einsetzende Debatte um die Zukunft der Partei, die sich um den praktischen Erfolgsbeweis ihrer Ideologie gebracht sah, wurde von D’Alema maßgeblich beeinflusst und mündete 1991 in der Überführung in die Demokratische Partei der Linken (Partito Democratico della Sinistra, PDS), deren Vorsitz er 1994 übernahm. Unter Öffnung gegenüber der gemäßigten Linken wandelte sich der PDS 1998 in „Linksdemokraten“ (Democratici di Sinistra, DS) um, die ihrerseits 2007 aufgelöst und maßgeblich formell wie personell Bestandteil des neu gegründeten Partito Democratico (Demokratische Partei, PD) wurden. Parallel dazu verlief die parlamentarische Karriere des Politikers. Seit 1987 Mitglied der Abgeordnetenkammer in Rom, mit einer kurzen Unterbrechung Juni 2004 bis Mai 2006 als Abgeordneter im Europäischen Parlament, war D’Alema bisher der einzige Ministerpräsident Italiens (Oktober 1998 bis Dezember 1999; Dezember 1999 bis April 2000), der seine Wurzeln im PCI hat. Von Mai 2006 bis Januar 2008 war er unter Regierungschef Romano Prodi Außenminister.

Eine Erfolgsstory? Scheinbar, aber die Brüche im politischen Leben von Massimo D’Alema sind nicht nur an der Unstetigkeit seiner politischen Heimat abzulesen. Sie sind von der Unfähigkeit charakterisiert, stabile Mehrheiten organisieren zu können. Als 1996 unter Ministerpräsident Romano Prodi erstmals Postkommunisten und –christdemokraten in Italien gemeinsam am Regierungstisch saßen, vollbrachte dieses heterogene Bündnis das Unvorstellbare: Die öffentlichen Finanzen so zu ordnen, dass Italien die Kriterien für den Beitritt zur Euro-Zone schaffte. D’Alema bekleidete dabei zwar kein Amt, war aber als Generalsekretär des PDS die Schlüsselfigur im politischen Kräftespiel. Er konnte - andere sagen, er wollte – aber nicht verhindern, dass trotz seiner unbestreitbaren Leistungen Prodi aus dem linken Lager der Postkommunisten zunehmend angegriffen wurde und schließlich im Oktober 1998 über deren Misstrauensvotum stürzte. Nachfolger im Amt des Regierungschefs: D’Alema selbst. Allerdings nur für kurze Zeit, denn eine katastrophale Wahlniederlage seines Bündnisses bei Regionalwahlen, zu denen er sich Vorfeld zu siegesgewiss geäußert hatte, schadete seinem ohnehin ramponierten Renommee zusätzlich, so dass sein Rücktritt unausweichlich wurde. Diese signifikante Schwächung der Linken ermöglichte schließlich die Etablierung Silvio Berlusconis, der ab 2001 für fünf Jahre ungestört regieren konnte, für Italien ein außerordentlicher Vorgang und heute bereits Teil der Legende um den Medientycoon. Die Geschichte wiederholte sich beinahe deckungsgleich, als 2007, nach dem nur knappen Wahlsieg eines neuen Mitte-Links-Bündnisses von Romano Prodi, D’Alema als Außenminister die Linke im römischen Senat mit einem Bericht zu außenpolitischen Leitlinien (u.a. Abzug aus dem Irak; Verbleib und Finanzierung der Soldaten in Afghanistan) provozierte. Seine Drohung, die „Regierung muss nach Hause gehen, wenn der Bericht durchfällt“, wirkte wie eine Ankündigung und zwang nach dem Misstrauensvotum Prodi abermals zum Rücktritt. Die Schwächung war derart nachhaltig, dass es ein Jahr danach zu Neuwahlen kam mit dem neuerlichen Sieg Berlusconis, der in seiner praktischen Auswirkung heute die Medien der ganzen Welt beschäftigt. Die Anmaßung, das hohe Amt des italienischen Staatspräsidenten bekleiden zu wollen, wofür er im April 2007 den Hut selbst in den Ring warf, löste sich im Lichte seines Werdeganges schnell auf. Die Animositäten, die er im Laufe der Jahre aufgelesen hatte, fielen schlagartig auf ihn zurück: Die pazifistische Strömung in der Linken verübelte ihm immer noch, dass er als Ex-Kommunist und Regierungschef den NATO-Einsatz im Kosovo maßgeblich befördert hatte, beinahe alle Parteien und Interessengruppen, dass er bei der Hinwendung zu einem dem Mehrheitswahlrecht angenäherten Wahlsystem zu einer Ausdünnung der Parteienlandschaft beigetragen hatte und die eigenen Leute, dass er nicht nur gelegentlich taktische Bündnisse mit der aufkommenden Kraft Berlusconi einging und diesen damit mittelbar stärkte.

Ob ein solcher Politiker, der in Bezug auf seine eigenen Projekte als gescheitert anzusehen ist, auf der Position des „Hohen Vertreters der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ in Europa mehr Erfolg haben wird, ist auszuschließen. Hier geht es nämlich nicht mehr lediglich um die Fortführung der bisherigen, als bessere Parkettdiplomatien zu bezeichnenden Politiken einer Ferrero-Waldner oder eines Solana, sondern um die Schaffung eines neuen Rates für Auswärtige Angelegenheiten. Und das ist politisch wie menschlich ein Schleudersitz. Politisch, weil die außenpolitischen Stimmen von 27 souveränen Mitgliedsstaaten abgestimmt und zusammen formuliert werden müssen, was inhärent schon Unmögliches bedeutet. Die französische Parallelpolitik der „Francophonie“, die neuerlich am Beispiel Mayotte zeigt, dass die angeblich überholte Politik der „Françafrique“ weiterhin fröhliche Urständ‘ feiert, in Kollision mit dem britischen Commonwealth of Nations, von der Mittelmeerunion ganz zu schweigen; Nationale Sicherheitsinteressen, die am Beispiel des vormals geplanten Raketenschildes der USA demonstrieren, dass im neu erwachsenen Europa jederzeit grundlegende Brüche entstehen können, was auch sprachlich Unterschiede im Selbstverständnis aufgedeckt hat (tschechische Medien etwa schrieben in dem Zusammenhang durchgehend von Mitteleuropa, deutsche hingegen von Osteuropa); die Haltung gegenüber einem immer noch nicht befriedeten Balkan, dem Theo Sommer sogar einen neuerlichen Krieg prophezeit, wenn die dortigen Ländern nicht schnell in die EU aufgenommen werden. Der neue Außenminister wird in einem heiklen Balanceakt versuchen müssen, die bisherige Kakophonie Europa zu einem Chor zu einen, unterfüttert mit einem soliden, nicht primär nationalen Interessen huldigenden Apparat. Aber er wird auch im persönlichen Umgang, dieses „gewisse Etwas“ mitbringen müssen, das den Eitelkeiten der diversen Gouvernements-Repräsentanten schmeichelt und im entscheidenden Moment eine Kompromissformel entlockt. D’Alema leistet dies alles nicht. Von Freunden als „Graf Max“ wegen seiner Vorliebe für Luxusjachten und sonstigen elitären Attributen tituliert, von den Gegnern als „Eisenbart“ verschrien, können selbst engste Weggefährten nicht umhin, öffentlich zu konstatieren, er verberge seine politische Sensibilität „hinter einer Maske aus Zynismus und Erbarmungslosigkeit“. Damit beweist man aber eher weniger die Fähigkeit zum Brückenschlag als mehr zum politischen Abdeckertum. Die Art, wie er selbst Koalitionäre ans Messer geliefert hat, ist dafür der praktische Beweis.

Ist das alles nur l’art pour l’art, weil der Leser, noch weniger als ein Fraktionsvorsitzender im Europäischen Parlament, so rein gar nichts mit dieser Entscheidung zu tun hat? Sicher nicht, denn er kann zumindest in Form einer echten geistigen Übung (was weiß ich über wen in Europa) selbst überprüfen, wen er denn ins Rennen schicken würde. Ich selbst würde, wenn ich könnte, Bernard Kouchner nehmen. Was er angepackt hat, hat er realisiert, von Médecins sans Frontières über UNO-Mandate bis hin zur Tatsache, dass er als Vorzeigesozialist keine Berührungsängste mit dem autoritärsten französischen Präsidenten seit Charles de Gaulle hat. Sein Außenministerium, das umtriebigste in ganz Europa, führt er zudem nicht nur kraft eigener Connaissance, sondern auch Dank der Connection mit Gattin Christine Ockrent. Diese ist als Chefin von AEF für die außenpolitischen Koordination der staatlichen Medien, allen voran RFI, France24 und TV5Monde verantwortlich. Ein Publikum von rund 600 Millionen Menschen auf fünf Kontinenten. So etwas nennt sich praktische Grandeur, Erfolg und ist die äußerste Form von der Kunst des Machbaren. So etwas würde Europa benötigen und nicht eine weitere gescheiterte Existenz auf Versorgungsposten.

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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