Oh, Casablanca

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Ferne Länder haben schon immer die Phantasie und das Begehren der Menschen geweckt. Das sagenhafte Punt war für das neue Reich der Pharaonen genauso ein Ziel für Handel und Händel wie lächerliche Jährchen später das El Dorado für die Conquistadores irgendwo im südlichen Amerika. Die Suche nach dem mysteriösen Reich des Priesterkönigs Johannes bewegte sogar Marco Polo, der immerhin ganz praktische Dinge von seinem Ausflug heim brachte wie den Begriff Millionär. Damit betitelte er nicht nur seinen Reisebericht, sondern die Venezianer dessen eher bescheidene Behausung in der Lagunenstadt, so sehr hatten sie seine Protzerei satt. Nudeln kannten sie ohnehin schon.

Seitdem die Welt, Bildschirm oder Leinwand vorausgesetzt, so richtig zusammen gerückt ist, geht es im Grunde immer weniger um Häupter, die man nimmt, als um Köpfe, die zu erobern sind. Genauer: Um das Amalgam darin, die neue alte terra incognita aus Phantasie, Magen und Sex. Der Text dazu nennt sich Drehbuch. Was lag 1942 also näher, das heroische wie olympische Bild von einem perfekten Diskuswerfer im Adamskostüm mit Ironie zu konterkarieren? Der rauchende, saufend schnoddrige, stets bekleidete Blaine war nicht nur der passende Anti-Typ. Er hatte, so die Dramaturgie, die äußerlich kongenial passende Partnerin des germanischen Kraftprotzes bereits flach gelegt und das ausgerechnet in Paris. Und damit das Mädel nicht wie jede x-beliebige Kriegsbeute dasteht, lässt er ihr, nicht ohne erhebliche Selbstzweifel, ihren freien Willen. Im Nirgendwo angesiedelt, konnte der Film nicht anders, als eine erfolgreiche Metapher werden, und aus Bergmann/Bogart ein immerwährender Traum. Aus denen, die dahinter Propaganda vermuten, spricht nur der Neid.

Schon Montecarlo hat gezeigt, dass aus staatlichen Inszenierungen meist kein Knüller wird. Das ehemals unbedeutende Schmugglernest hat zwar dank grazienhafter Domestizierung und ebensolcher Besetzung eine gewisse Bekanntheit erlangt. Aber seitdem der Sex-Appeal nicht mehr dem Schlitz im Kleid, sondern nur noch denen der Postfächer von Briefkastenfirmen gehört, ist die Luft, nach wie vor dem Freibeutertum verpflichtet zu sein, raus: Nur noch Kulisse und keine Handlung. In der Hinsicht wäre Stockholm eine letzte Bastion. Eingetaucht in die langwährende Dunkelheit des Nordens, kann keine noch so lichte Preisverleihung, schon gar nicht eine für den Frieden, darüber hinweg täuschen, dass finstere Mächte sich vor Ort unerbittliche Kämpfe liefern. Olof Palmes unaufgeklärte Ermordung, das Raunen um Waffengeschäfte, tief tauchende U-Boote, ja die ganze Neutralität sind immer noch der Stoff, moderne Legenden zu weben.

Wenn also einer der jungen Helden der Neuzeit namens Assange und seine geheimnisumwitterte Organisation Wikileaks dort ihren Auftritt haben, ist Prickeln angesagt: Geheimdienste, die Unrat wittern; Energiekonzerne, die um ihren Profit fürchten – die Computerkohorten temperieren sich mit kühler subpolarer Luft selbst, statt mit stromfressenden Klimaanlagen; Eine Damenwelt, die Nähe sucht; CIA oder Vattenfall oder doch das Königshaus ...?Schade, dass aus dem Stoff keiner so recht was machen will. Ausgerechnet die Venusfalle als Höhepunkt, und ein Tölpel, der darin zappelt, Uraltplot seit Antonius und Kleopatra. Ein langweiliger Schinken.

(Ergänzung um 20:45 Uhr: Es läuft auf ARTE, mir graut vor dem Morgen)

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Geschrieben von

ed2murrow

e2m aka Marian Schraube "zurück zu den wurzeln", sagte das trüffelschwein, bevor es den schuss hörte

ed2murrow

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