Rom: Schlussverkauf und sehr sehr lange Ferien

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Aufgefasst und abgebissen, die 20. und 21.KW bis Freitag in Italien

Was Italien die vergangenen beiden Wochen bewegt und wohl noch längere Zeit beschäftigen wird, ist das größte staatliche Vermögensmanöver seit Bestehen der Republik. Denn mit ihm sollen nicht nur die Folgen einer desaströsen Politik korrigiert werden. Es ist der Staat selbst, der inmitten der Finanzkrise der Mitglieder der Europäischen Union umgebaut werden soll.

Ein Sparprogramm von 24 Milliarden
gestreckt auf zwei Jahre ist die eine Seite. Am 25. abends ist der Ministerrat unter Vorsitz von Silvio Berlusconi zusammengetreten und hat ein Sparprogramm ausgearbeitet, das bereits für das Haushaltsjahr 2010-11Einschnitte von rund 12 Milliarden Euro vorsehen soll. Wie sich die Beträge zusammensetzen, ist derzeit noch nicht vollständig klar. Denn einerseits haben einige namentlich nicht genannte Minister am nächsten Morgen Vorbehalte angemeldet, sie hätten bei Beratung und Abstimmung keine Zahlen und Fakten vorgelegt bekommen. Andererseits wurden die Beschlüsse nicht der Gazzetta Ufficiale, dem italienischen Amtsblatt zugeleitet. Mit Blick auf die Aufforderung des Staatsoberhauptes Giorgio Napolitano, „es sei Angemessenheit vonnöten“, deutet dies alles darauf hin, dass nicht nur einzelne Positionen noch heiß diskutiert sind.

Ein Grundproblem Italiens ist die außerordentlich hohe Staatsverschuldung. Für 2008 veröffentlichte das statistische Amt ISTAT eine öffentliche Schuld von 1.664 Milliarden, mithin 105,8% des Bruttoinlandsproduktes (BIP), heißt 2,3% mehr als im Vorjahr. Damit war Italien für diesen Zeitraum das in Bezug auf das BIP fünft höchst verschuldete Land der Welt, in absoluten Zahlen sogar an zweiter Stelle der Weltskala. Eine der Konsequenzen ist, dass alleine der Zinsdienst jährlich mehr als 80 Milliarden (die Kosten für Derivatgeschäfte nicht eingerechnet) beträgt, das sind 5,1% des BIP, oder um es noch deutlicher zu machen, rund 17% des verfügbaren Geldes im Budget von 2009. Zieht man des Weiteren in dem Haushaltsjahr die Beträge ab, die lediglich Transferleistungen an andere öffentliche Stellen wie die der Vorsorge betreffen und rund 60% des Haushalts ausmachen, so fällt es leicht, den volkswirtschaftlichen Spielraum auch der jetzigen Verhandlungen zu ermessen.

Der Schwindel zu Beginn
Das in Europa ausgegebene Ziel des Stabilitätspaktes, sei es in seiner ursprünglichen als auch jetzt in seiner gegenwärtig aufgeweichten Form, hat sich in Italien von Anfang an als Chimäre herausgestellt. Denn 2001 wurde durch Veröffentlichungen im Wall Street Journal und der Financial Times London eine Studie bekannt, wonach das Land aufgrund eines immensen SWAP-Geschäftes mit dem japanischen Yenin den Jahren 1995 bis 1997 seinen wahres Defizit von bis dahin rund 6% scheinbar unter das Maastricht-Kriterium von weniger als 3% drückte. Der Trick bestand darin, etwas untechnisch ausgedrückt, das Defizit auf die kommenden Jahre zu strecken und zu stückeln. Auch in Bezug auf die Schuldenlast, die im März 1996 noch 123% des BIP betrug, konnte die italienische Regierung unter dem damaligen Ministerpräsidenten Prodi bis 1997 eine Verringerung auf unter 108% vorweisen und damit das, was man als „signifikante Verbesserung einer Tendenz“ bezeichnete und genügen ließ, um Italien zu den Gründernationen des Euro zuzulassen. Bezeichnenderweise wurde vor zehn Jahren der Name der Bank oder des Konsortiums nicht genannt, der bei diesem finanziell-politischen Transaktionsakt behilflich gewesen war; die Konnotationen zu Griechenland, freilich mit Tribut an die verfeinerten Marktmechanismen der Zwischenzeit, sind nicht zu übersehen. Romano Prodi, der im Jahr 1999 Präsident der Europäischen Kommission geworden war, hat die Studie nie wirklich dementiert, sondern nur darauf verweisen, dass die „öffentlichen Bilanzen in Ordnung“ gewesen seien.

Dass die Tendenzen mittlerweile in eine ganz andere Richtung gehen, sagen uns die Zahlen des Internationalen Währungsfonds, wonach bei unveränderter Marschrichtung die öffentliche Schuld Italiens bis 2015 auf 124,7% des BIP anwachsen wird, wenn nicht noch Unvorhergesehenes dazwischen kommt. Wo bleibt da, perspektivisch gesehen, noch Raum für Steuerungsmaßnahmen?

Die Gesundbeter
Demgemäß fallen die ersten Verlautbarungen zum Sparpaket so aus, wie es die Regierung Berlusconi schon seit je her zu ihrem Prinzip erhoben hat: Sinnlose Maßnahmen anzukündigen, um sie mit Brutalitäten gegenüber den eigenen Bürgern zu vermengen, auf dass schließlich eine Stimme der gefühlten Vernunft regiere. So schlug die Bildungsministerin Mariastella Gelmini sofort vor, die Sommerferien in den Schulen um einen auf vier Monate zu verlängern. Dies geht einher mit den ohnehin vor drei Wochen verlautbarten Plänen des Ministeriums, bis zu 1800 Lehrerstellen an öffentlichen Schulen einsparen zu wollen.

Gleichzeitig wurden einige der ernst gemeinten Eckdaten des Sparprogramms bekannt: 60% werden zu Lasten der Kommunen und Regionen gehen, die sich ihre Bundeszuweisungen gekürzt sehen. Die restlichen 40% werden dadurch eingespart, dass das Renteneintrittsalter für Frauen schrittweise von 62 auf 65 Jahre angehoben wird; öffentliche Bedienstete werden das Gehalt sowie die Altersanpassungen für zunächst vier Jahre unabhängig von ihrem tatsächlichen Verdienst eingefroren; was für Manager des öffentlichen Sektors nur bedingt gilt: Wer jährlich zwischen 90 und 130 Tausend verdient, dessen Gehalt wird um 5% gekürzt, was darüber hinaus geht, um 10%. Und umdie Steuerhinterziehung zu erschweren, sollen zukünftig alle Bargeschäfte über 5.000 Euro verboten sein. Steuererhöhungen, so die Botschaft, wird es auch jetzt nicht geben, obwohl die Einkommenssteuersätze in Italien zu den Niedrigsten in Europa zählen; Schenkungs- und Erbschaftssteuer wurden schon vor Jahren abgeschafft.

Ministerpräsident Berlusconi hat die Maßnahmen bisher damit überschrieben, sie würden dazu beitragen, „den Staat preiswerter zu machen“. Was umgehend von Nichi Vendola, dem Gouverneur der Region Apulien und Chef der Partei Sinistra Ecologia Libertá (Linke Ökologie Freiheit, SEL) umgedeutet wurde in ein „Großes Werk der sozialen Schlachterei“. Vendola stößt dabei nicht einmal so sehr auf, dass auch seine Region von den Sparmaßnahmen getroffen ist, das was er einen Selbstmord der kommunalen Körperschaften auf Raten bezeichnet. Er fragt vielmehr: „Was ist denn diese Krise? Ist das etwas, was mit dem Erdinneren oder der Schöpfung zu tun hat, hat sie etwa der Klapperstorch gebracht? Es ist die Krise einer Welt, die als Geisel genommen worden ist von raffinierten Diebesbanden, von einer weltweit agierenden Schicht von Räubern, die sich als Finanziers verkleidet haben, als Akrobaten der internationalen Finanz. Wie kann man sich da auch nur vorstellen, einem Arbeiter oder einem Rentner das Opfer abzuverlangen, und mag es auch nur ein Euro sein, wenn man nicht vorher erklärt, wie man diese perverse Logik durchbrechen will?“ Und weiter: „Wir sind angekommen auf dem Niveau eines sozialen Dramas, das von der Propaganda verdeckt und versteckt wird. Wer auf Jahre hinaus öffentliche Angestellte auf dem Niveau von 1100-1200 Euro im Monat blockiert, verursacht eine Depression in der Volkswirtschaft.

… und ihre große Umverteilung
So kritisch wie Vendola äußern sich kaum andere Chefs der Regionen, obwohl sie die Hauptlast der Manovra, des Finanzmanövers wie es die Italiener nennen, tragen werden. Der Grund liegt wiederum in einem Dekret von vergangener Woche, als der Ministerrat den ersten Teil des sog. fiskalischen Föderalismus in die Tat umgesetzt hat. Mit ihm werden den Gebietskörperschaften wie Kommunen, Provinzen und vor allem Regionen rund 75% des Eigentums, das bisher dem Zentralstaat zustand, zur eigenen Verwendung übertragen.

Vorläufer der kostenlosen Übertragung von Grund und sonstigen Immobilien an die Peripherie des Staates war die Verfassungsänderung vom 18.Oktober 2001 während der zweiten Regierung Berlusconi, als Art. 119 der Verfassung die Rolle der Gebietskörperschaften grundlegend verändert wurde. Dort heißt es seitdem: „Die Kommunen, die Provinzen, die Metropolen (vergleichbar mit den großen Kreisstädten, Anm.d.A.) und die Regionen haben finanzielle Einnahmen- und Ausgabenhoheit. (Sie) verfügen über ein eigenes Vermögen, das ihnen nach den Grundsätzen der staatlichen Gesetzen zugebilligt wird.“ Diese fiskalischen Dezentralisierung wurde sodann mit Gesetz Nr. 42 vom 5. Mai 2009 umgesetzt – die vierte Regierung Berlusconi war gerade ein Jahr im Amt –, in dem der Exekutive eine Ermächtigung eingeräumt wurde, per Dekret Umfang und Art des „eigenen Vermögens“, also der Grundausstattung der Gebietskörperschaften, zu bestimmen. Das Dekret bedarf nicht der parlamentarischen Zustimmung.

… aufdie Gebiete und neue Immobilienfonds
Gemäß dem nun auf der Internetseite des Ministeriums für die föderale Reform, Amtsinhaber Umberto Bossi, veröffentlichten Text liegt der Schwerpunkt nicht so sehr auf dem Halten und Bewahren von Stränden, Flüssen, Tälern und Hügeln nebst allem, was in Jahrtausenden von Menschen geschaffen wurde. Betont wird vielmehr, in welcher Weise solche Güter aufgewertet werden sollen, um letztlich eine Veräußerung auf dem freien Markt zu ermöglichen. Dazu gehört nicht nur der Verkauf einer einzelnen Parzelle oder eines Gebäudes, sondern auch die Möglichkeit, den neuen Besitz in einen Immobilienfonds einzubringen, an dem auch die Cassa Depositi e Prestiti teilnehmen kann. Diese Depot- und Darlehenskasse ist eine Aktiengesellschaft privaten Rechts, die sich zu 70% in Staats- und zu 30% in Privatbesitz vor allem von institutionellen Anlegern befindet. Zwar müssen die Einnahmen aus solchen Veräußerungen zuerst auf Schulden der Körperschaft verrechnet werden. Die Tatsache jedoch, dass der die Schulden überschießende Teil zu 75% bei ihnen bleibt und die restlichen 25% dem Fonds zur Amortisierung von Staatstiteln zufließen werden, dürfte die Begehrlichkeiten schnell wecken.

Viel Phantasie ist nicht nötig, sich die Umsetzungen vorzustellen. Nachdem nur in einer ersten Phase per Amtsblatt des Staates die einzelnen zu übertragenden Güter benannt werden, entschwinden sie in der Folge aus dem kollektiven Bewusstsein und damit auch der Kontrolle. Denn für die Veräußerungen sind weder Ausschreibungen noch Auktionen vorgesehen, die Benachrichtigung der territorialen Bevölkerung ist nur eine Soll-Vorschrift. Der Phantasie muss nicht einmal nachgeholfen werden. Seit 1978 die erste Dezentralisierung stattgefunden hat, nämlich die des Gesundheitswesens, gibt es keinen Monat, in dem nicht ein Korruptionsskandal eine Region erschüttert hätte. Ministerpräsident Berlusconi wurde die Escort-Dame Patrizia D’Addario von dem Unternehmer Gianpaolo Tarantini zugeführt, der sich dadurch eine Klimaverbesserung für seine diversen Firmen erhoffte, die sich hauptsächlich mit Krankenhauszubehör befassen. Selbst Nichi Vendola war davon nicht verschont geblieben, als sein Assessor für Gesundheit, Alberto Tedesco, 2009 ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten war. Der Vorwurf: Tedesco habe zwei Ärzte beurlaubt, die von ihm empfohlene Zulieferfirmen nicht hätten berücksichtigen wollen. Soll es da, wo es nicht um öffentliche Gesundheit geht, sondern um Gesundung der öffentlichen Hand, besser aussehen?

Dieser Gemengelage und der eigentlich offenen Einladung zur Selbstbedienung ist es wohl geschuldet, dass die römische Abgeordnetenkammer, die nur zur Abgabe einer Meinungsäußerung zu dem Dekret aufgerufen war, kaum Gegenstimmen verzeichnete. Die Opposition, die immerhin noch die Hälfte aller Regionen Italiens regiert, enthielt sich wohlweislich der Stimme.

Italia Docet
Dieser in einem anderen Zusammenhang geprägte Satz besitzt Aktualität eigentlich für ganz Europa. Als deutsche Politiker in einem Anflug herrschaftlicher Arroganz den Satz gegenüber Griechenland prägten, man möge doch die Akropolis verkaufen, wussten sie sicher nicht, dass Italien den Anlauf für das Kolosseum schon 2001 begonnen hatte. Die Frage ist nur, ob nicht wiederum der Staat, um sich selbst zu finanzieren, in großem Umfang und verdeckt auf dem Finanzmarkt rekurriert, um die aktuelle Misere wenigstens noch eine Zeit lang zu kaschieren. Denn einerseits waren die Erkenntnisse zur Studie, die oben zitiert ist, nur Frucht eines Zufallsfundes in internen Papieren. Andererseits ist nun nicht mehr absehbar, welche Sicherheiten der italienische Staat tatsächlich wird bieten können, wenn er sich der letzten pfändbaren Habe entledigt.

Denn auf dem Markt ist der Staat letztlich doch wie sein eigener Bürger: Kann man ihm nicht mehr in die Tasche greifen, lebt es sich zwar ungeniert, aber auf Pump leben wird dann etwas Künstlerisches. L’arte di arrangiarsi, die Improvisationskunst, ist allerdings eine Lebensart Made in Italy, egal wer regiert.


(Mit Danksagung an Rainer Kühn für seine wertvollen Hinweise und Korrekturen: THX Rainer)

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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