Sahra - früher

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Liebe Nutzer,

hier ist ein Portrait, das ich vor langer, langer Zeit mal über Sahra Wagenknecht geschrieben habe. Da wir an anderer Stelle eine kleine Debatte über diese Politikerin der Linkspartei haben, ist das vielleicht ganz interessant. Und sei es nur, um meine antikommunistische Credibility zu stärken :)

Die Veranstaltung auf der Hallbinsel Alt-Stralau endete gestern spät. Da hat das Neue Deutschland sein Hauptquartier, in einem Industriegebiet zwischen Rummelsburger See und Spree-Osthafen, hart an einer stählernen Eisenbahnbrücke, unweit der ausgedehnten Gleisanlagen des Ostkreuzes. In der alten Fabrikhalle des Parteiorgans der PDS, vor vielen sehr alten und sehr jungen Menschen, haben die Parteimitglieder Sahra Wagenknecht und Adre Brie wieder einmal lange über die Zukunft der PDS geredet. Dafür interessieren sich im Osten vor allem die sehr Jungen und die sehr Alten. Und darüber hat Andre Brie, der „Vordenker der PDS“ genannt wird, eine ganz andere Meinung als die junge Kommunistin Sahra Wagenknecht.
Sie hat nicht mit ihm gestritten. Sie hat ruhig festgestellt, daß es die PDS „nicht mehr als Gegenmodell“ gibt und leise gefordert: „Das Kapital muß von unten unter Druck gesetzt werden.“ André Brie hat für seine Hoffnung auf ein Bündnis mit den Sozialdemokraten geworben und für einen vorsichtigen Umbau der Bundesrepublik. Sahra Wagenknecht hat für die Revolution geworben. Aber ganz nüchtern, wie das ihre Art ist.
Heute trägt Sahra Wagenknecht das selbe Kleid wie gestern abend. Ein schwarz-graues Kostüm mit Samtkragen und darunter eine weiße Bluse. Sie hat die Haare streng nach hinten gekämmt, zum Knoten gebunden und im Gesicht zuviel Makeup. Männer achten bei Frauen immer auf das Äußere, bei Männern nicht. Sahra Wagenknecht empfängt Besucher zuhause. Das ist in Karlshorst, am östlichen Rand Berlins, in einem Viertel, das später mal wieder ein vornehmer Vorort sein wird, so wie die westlichen Vororte Zhelendorf oder Dahlem. Dann wird die Kommunistin hier aber nicht mehr wohnen.
Sie geht voran, in ein Zimmer, wie große Schwestern es haben, wo die Bücher aus den Regalen quellen und der Schreibtisch in Papieren versinkt und dennoch alles viel ordentlicher ist als kleine Brüder es hinbekommen und irgendwo steht eine kleine Blume. Mit geradem Rücken sitzt sie auf einem Sofa und lächelt wenig. Sie redet mit der selben Stimme, die sie gestern auf dem Podium hatte. Eine Stimme, die der Kehlkopf zusammenpreßt bevor sie Worte formt. Man fragt sich, welche Stimme sie hat, wenn sie privat ist. Daß Sahra Wagenknecht Besucher zuhause empfängt, heißt nicht, daß sie privat ist.

Sahra Wagenknecht gehört zur „Kommunistischen Plattform“ ihrer Partei. Da haben sich Ostdeutsche gesammelt, die mit der DDR gar keine Probleme hatten und die Mauer für notwendig hielten. Sie verachten den Eiertanz der Realpolitiker in der PDS, die immer noch keinen Weg gefunden haben sich von der DDR-Vergangenheit zu distanzieren, ohne sie ganz über Bord zu werfen. Die fundamentalistische Splittergruppe der PDS ist zu klein, um die Partei zu beherrschen, und sie ist zu groß, um rausgeschmissen zu werden.
Deshalb kommen viele Journalisten zu Sahra Wagenknecht, Jahrgang 1969, der einzig lebenden prominenten Kommunistin der Bundesrepublik Deutschland, und lassen sich in ihrer ostdeutsch überheizten Wohnug erklären, wie sie die Dinge sieht. Sie redet von der Ausbeutung der Dritten Welt durch die westlichen Industrienationen, davon, daß das Roulette der ungebremmsten Kapitalmärkte von der Arbeit der Lohnabhängigen genährt wird. Sie sagt, ein „winziger Kreis von Topmanagern und Großaktionären“ bestimmt das Leben „tausender Menschen“ und das hat „mit Demokratie nichts zu tun.“ Sie folgert daraus, daß die Bundesrepublik die sozialistische Revolution braucht. Sie selbst befindet sich „in Opposition zu dieser Gesellschaft in ihren Grundstrukutren“ und will deshalb auch nicht im parlamentarischen System mitarbeiten. Sie will „außerparlamentarischen Druck“ machen, um die Gesellschaft zu ändern.

Diese Kombination aus links-pubertärem gesamtgesellschaftlichem Rundumschlag, treffsicherer System-Kritik und sehnsüchtiger Vision vom gerechten Leben ist nicht so bemerkenswert. Man kann das allerorten an den politologischen Seminaren hören. Aber Sahra Wagenknecht sagt das, während sie kerzengerade auf dem Sofa sitzt, in ihrem grau-schwarzem Kostüm mit Samtkragen und weißer Bluse, über ihr das große Bild von Goethe, daneben kleine Bilder von Richelieu, Ludwig XIV., Marx und Lenin. Das ist eine bemerkenswerte Kombination. Es gibt vermutlich nicht viele Leute, die Enteignung des Produktivvermögens fordern und sich beschweren, das moderne Theater würde die guten deutschen Klassiker zur Unkenntlichkeit inszenieren.

Sie will das Bürgertum bekämpfen und sie wirkt so durch und durch bürgerlich. Aber das ist nicht ihr Problem, sondern das des Beobachters, den der sonderbare Kontrast verwirrt. Man kennt so konservative Linke im Westen nicht. Als sie über das Theater spricht, das sie früher gerne besuchte, heute nicht mehr, weil die Regisseure den Klassikern „gar nicht mehr gerecht“ werden, da sagt sie noch etwas, das einen plötzlich verstehen läßt. Sie sagt: „Was ich da an westlichen Inszenierungen gesehen habe ... der blanke Irrationalismus!“
Die junge Frau ist darauf angewiesen, die Unordnung der Dinge mit ihrem Verstand zu durchdringen. Die konzeptionelle Reinheit des Sozialismus findet ihre Bewunderung, das Chaos des Kapitalismus ist ihr ästhetisch zuwider. Und wenn sie über die „klassische Hausfrau“ redet, die es zu DDR-Zeiten gar nicht gegeben habe, die sich nur mit „Diäten, Waschmittel, Schönheit, wie sie ihre Wohnung gestaltet, was sie kocht“ befaßt und über den Mittelstand, der „so hohl, so spießig, so leer“ sei, dann tut sie das gar nicht mit polemischer Verachtung sondern eher mit ungläubiger Distanz.

Sie redet stets ohne Aufregung, ohne Eifer, aber auch ohne Enthusiasmus. Nicht, wie man sich vielleicht eine Revolutionärin vorstellt, deren Herz in ihren Worten mitschwingt. Sondern wie eine hervorragende Schülerin, die, ceteris paribus, eine schwierige Aufgabe gelöst hat und der die Lösung jetzt ganz selbstverständlich vorkommt. Kant, Fichte, Schelling, Hegel, Marx hat sie gelesen und alles ist sonnenklar. „Wenn man bei Hegel ist muß man zu Marx weiter“, sagt sie, blickt dabei vor sich in die Luft und schüttelt sachte den Kopf, „ich verstehe gar nicht wie man den Schritt nicht gehen kann.“
Das Ende der DDR ist in ihrer Erinnerung nicht nur das Scheitern des besseren Gesellschaftssystems. Für die junge Frau, die sich noch kurz vor Untergang ihres Staates, dessen Hymne sie hinter ihrem Computer stecken hat, in die SED aufnehmen ließ, war dieser Untergang vor allem eine ungeheure Demütigung. Die Mauer ging auf und die Ostbürger wurden mit Bananen empfangen, die Trabis mit Sekt übergossen: „Das war so erniedrigend, das war ja unsere Bevölkerung, da wurden dann die Kameras draufgehalten, wie die zu Tränen gerührt durch die Kaufhäuser liefen und den Konsum bestaunten.“ Sie ist am 9. November 1989 zuhause geblieben und hat Kant gelesen, „die ‚Kritik der reinen Vernunft‘ oder schon die die der ‚Praktischen‘.“
Da war sie 20 Jahre alt, lebte in einem Plattenbau in Marzahn bei ihrer Mutter, die sich aus Politik nichts macht und wollte Philosophie studieren und an einer Universität arbeiten oder an der Akademie. Als der Schock der Einigung vorüber war beschloß sie jedoch, die Bücher erst mal wegzupacken und Politik zu machen. Das ging sehr schnell. Sie war ein Jahr später im Vorstand der Partei und nervte dort die Realpolitiker. Im Januar 1996 wurde sie auf deren Druck nicht wiedergewählt, im Januar 1997 stellte sie sich gar nicht erst zur Wahl.
Sie machte bald die sonderbare Erfahrung, daß man Frauen in der Politik ganz anders behandelt, als Männer. „Frau mit den kalten Augen“ wurde sie genannt „Frau aus Marmor“ oder „rote Frontfrau“, man machte sich über ihre Frisur und die Rüschenblusen lustig und fragte sich, wann sie die Rosa-Luxemburg-Imitation so weit treiben würde, daß sie mit dem Hinken anfinge. Selbst für westdeutsche Verhältnisse ausgesprochen linke Journalisten spotteten über den Weg der „ realsozialistischen Barbiepuppe zur kommunistischen Jeanne d‘Arc.“
Sahra Wagenknecht befindet sich in Fundamentalopposition zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Man kann damit rechnen, daß sie dazu neigt, eine paranoide Position zu beziehen. Die Angriffe auf ihre Weiblichkeit tun dann ein Übriges dazu, daß sich die Frau verfolgt. Vielleicht hat sie aber auch nur leichtfertig einen archaisch anmutenden Sprachgebrauch des Klassenkampfes übernomen. Auf jeden Fall redet sie ständig von „Denunziation“, „Kampagnen“ und „Säuberungen“, mit denen sie fertig gemacht werden soll. Mit naiver Verachtung sagt sie über ihren Bundesvorsitzenden, der sie aus dem Parteivorstand drängte: „Bisky ist Medienwissenschaftler, der weiß auch was man rausgeben muß um eine entsprechende Wirkung zu erreichen.“

Seit sie aus der Parteispitze geflogen ist, kann sie Wirkung nur noch über Interviews und Auftritte erreichen. Sie reist zweimal im Jahr für ein paar Tage durchs Land und
tritt auf irgendwelchen Podien auf: In München, Osnabrück, Gelsenkirchen, Essen, Schwäbisch Hall, Siegen, Stuttgart, wohin man sie einlädt. Sie nennt das die „Frühjahrstour“ und die „Herbsttour.“ Der Gedanke, das ungebrochene Interesse an ihrer Person könne mit ihrem Äußeren und ihrem Frau-Sein zusammenhängen, ist ihr zuwider. Sie möchte für ihre Feinde nicht das bedrohliche Flintenweib spielen. Aber für ihre Freunde auch nicht das rote Sexsymbol.

Gestern abend haben sich die Menschen vor der Tür gedrängt und dahinter, im Flur auch. Der Saal war längst übervoll. Durch die Menschen bahnte sich Sahra Wagenknecht einen Weg zum Podium und blickte dabei starr nach vorne. Hinter ihr her sagte ein alter Genosse kaum hörbar: „Die muß mal ein bißchen zunehmen.“ Sahra Wagenknecht hat das nicht gehört. Es war liebevoll gemeint und zärtlich. Aber es hätte ihr nicht gefallen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Jakob Augstein

Journalist und Gärtner in Berlin

Jakob Augstein

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