"Ich habe noch nie ein böses Wort über unsere Kanzlerin gesagt"*

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Wir werden uns darauf einstellen müssen - bis zur Wahl des Bundespräsidenten am Mittwoch wird die mediale Kampagne für die Kandidaten Wulff und Gauck, die zugleich einer Treibjagd auf Jene gleicht, die sich mit keinem der beiden Kandidaten anzufreunden vermögen, weitergeführt. Jüngste Trophäen sind nun zu besichtigen, denn am Wochenende startete die Schlußetappe der Medienkampagne.

Da schlägt sich z.B. wiederholt der Schriftsteller und Kolumnist Lutz Rathenow in MDR-Figaro für Gauck in die Bresche: Joachim Gauck sei eine der letzten Integrationsfiguren der DDR-Opposition, die sich heute zu oft als zerstritten oder enttäuscht präsentiere, heißt es da. Und ich frage mich, was ist faul an mir, daß ich mich nicht von ihm repräsentiert fühle - vielleicht, weil ich als bis 2006 Parteilose und auch Mitglied dieser DDR-Opposition, dann in die falsche Partei eingetreten bin?

Und Rathenow fährt fort: "Er repräsentiert vor allem jenen Osten, der den Westen und das demokratische System will und der im Osten den Westen und im Westen die DDR-Erfahrungen plausibel und Ideen spendend zu vermitteln mag." Ich frage mich, welche Ideen das sind, resultierend aus DDR-Erfahrungen - soziale Gerechtigkeit und solidarisches Miteinander, wie es auch das Grundgesetz fordert, wohl eher nicht ...

"Joachim Gauck ist nicht mehr Ost oder West, sondern ein Gesamtdeutscher. Er kann dem Westen Osteuropa näher bringen und gleichzeitig an die Bewahrung der Grundwerte der westlichen Demokratie eindrücklich erinnern." Ja, Vorsicht ist geboten beim Einbringen osteuropäischer Lebenserfahrungen und -leistungen, daß die Grundwerte ja nicht verblassen. Als wären sie es nicht schon längst, unterm Diktum der Finanzmärkte, Arbeitgeberverbände und ihrer Interessenvertreter - man schaue sich nur die Ergebnisse des G8- und G20-Gipfels an.

Auch Hubertus Knabe hat sich nochmals für Joachim Gauck verwendet, mit einem Beitrag im Politischen Feuilleton von DeutschlandRadio Kultur. Zuvörderst versucht er dort Die Linke vorzuführen, die sich den beiden bürgerlichen Kandidaten absolut verweigert, was er nicht goutieren kann: "Die Ablehnung Gaucks durch die Linke geht so weit, dass sie ihn nicht einmal mitwählen will, wenn der Kandidat der schwarz-gelben Regierung Christian Wulff weder im ersten noch im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit bekommt. Da Gauck ohne die Stimmen der Linken keine Chance hat, hilft sie lieber einem CDU-Politiker ins Amt, als den Kandidaten der Opposition zu unterstützen."

Mir erscheint das Ansinnen Knabes, die von der Linken nominierten Wahlfrauen und -männer quasi auf einen der beiden aussichtsreichen Kandidaten zu verpflichten, obgleich keiner von ihnen deren politische Interessen repräsentiert, nicht gerade als Höhepunkt in der Kultur politischer Auseinandersetzung. Keine Zeile zu den Inhalten, für die die Kandidatin der Linken, Luc Jochimsen steht, da wird wie gehabt lediglich moniert, daß sie sich nicht auf die Sprachregelung vom "Unrechtsstaat DDR" hat einschwören lassen ...

Und auch folgende Zeilen markieren eher einen Tiefpunkt politischer Streitkultur: "Die Linke ist eine fundamentalistische Partei. Die reine Lehre ist ihr wichtiger als der politische Erfolg. Ihr Agieren erinnert an die Reichspräsidentenwahl von 1925, als der KPD-Chef Ernst Thälmann durch seine Kandidatur dem Monarchisten Paul von Hindenburg ins Amt verhalf - der Mann, von dem Adolf Hitler später zum Reichkanzler ernannt wurde. Gott sei Dank drohen vergleichbare Konsequenzen diesmal nicht."

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Heute Abend wird in der ARD ein Film zur Kandidatur von Wulff und Gauck abgestrahlt und mit folgenden Worten beworben: "Der ARD-Film Die Kandidaten begleitet Wulff und Gauck bei ihrer Tour quer durch die Republik. Er schildert, wie um Zustimmung geworben, um Themen gestritten wird. Er porträtiert zwei Kandidaten, deren Biografien unterschiedlicher nicht sein könnten. Nur eines ist sicher: Einer von beiden wird der 10. Präsident dieser Republik sein."

MDR-Figaro installierte parallel zur Werbung für Gauck am Wochenende ein Abstimmungsbarometer, dessen Zwischenergebnis momentan wie folgt aussieht:

"Voting

Stimmen Sie ab: Wer ist Ihr Favorit? Wer soll neuer Bundespräsident werden?
Christian Wulff (Kandidat von CDU/CSU und FDP)
9 Prozent | 66 Stimmen


Joachim Gauck (Kandidat von SPD und Grünen)
54 Prozent | 366 Stimmen


Luc Jochimsen (Kandidat der Linken)
15 Prozent | 101 Stimmen


Andere
20 Prozent | 135 Stimmen

28.06.2010 | 22:27:01 Uhr | 668 abgegebene Stimmen
Die Umfrageergebnisse sind nicht repräsentativ."

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* Gauck im ZDF-Interview am 23.06.2010

Nachtrag: Gestern setzten sich auch noch Die Republikaner (REP) für Joachom Gauck ein, der Bundesvorsitzende Rolf Schlierer sagte: „Wer im bürgerlichen Lager die kleinkarierte Parteitaktik und den undemokratischen Fraktionszwang beiseite läßt und sich auf seine Verantwortung für das Gemeinwesen besinnt, muß einsehen, daß Joachim Gauck als Mann der Freiheit der bessere Präsident für die deutsche Republik ist.“

(Foto: Sean Gallup/Getty Images)

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Geschrieben von

jayne

beobachterin des (medien-) alltags

jayne

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