Bernd Ulrich "Ich darf Krieg führen! Papa hat`s erlaubt!?"

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Hat sich Bernd Ulrich, der Parapazifist, der "Bekennende Grünschnabel", Kriegsdienstverweigerer von einst, vom pazifistischen Paulus zum transatlantisch bellizistischen Saulus gewandelt?

Bernd Ulrich (Politik-Ressortleiter der Hamburger Wochenzeitung "Die Zeit", Autor des Buches "Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss",
Hardcover, Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
ISBN-10 3498068903
ISBN-13 9783498068905
Gebunden, 192 Seiten, 14,95 EUR

Auszug aus dem besprochenen Buch:

"Der Krieg ist nicht mehr entscheidend für unser Leben. Er hat keine Macht mehr über uns. Gott sei Dank.
Selbst, wer sich sonst kaum für Politik interessiert, hier fühlt er sich aufgerufen, Partei zu ergreifen.
Aber wie und nach welchen Kriterien? Darüber ist viel Verwirrung entstanden, zuletzt beim Libyen Krieg, an dem Deutschland nicht teilgenommen hat.
Und wir merken: Auch Krieg, die man nicht führt, können einen verändern." (S. 13)

Vonwegen, der Krieg ereilt die Völker in Europa, Nordamerika seit Jahrzehnten "Gott sei Dank" nicht mehr, die zwar nicht mehr als flächendeckend bombardierende Heimsuchung, außer im Kosovo, in Tschetschenien, dafür aber umso mehr durch fragile Protektorats Friedensstiftungen in der Welt unter UNO/NATO Mandat, eingebettet in einer Welt Kommandowirtschaft, als Fortsetzung des Krieges mit parapazifistisch human miltärischen Mitteln identifiziert werden können.
Die gegenwärtigen Arten des Friedens sind, militärisch administrativ hochgerüstet, mit einem bizarren Sicherheitsaufwand, dem Kriege zum Bilde organisiert, geschaffen, nur dass diese Arten des Friedens heute nicht mehr propagandistisch
"Kalter Krieg" ,
gerufen, kommuniziert weren, sondern, medial befeuert, alternativlos als parapazifistisch human intervenierend
"Kalter Frieden" gelten.

Auszug aus dem besprochenen Buch:

"Doch er (der Krieg) scheidet noch immer die Geister, er ist der moralische Ernstfall für Staten, auch für demokratische." (S. 13)

Wenn nicht der moralische Ernstfall für demokratische Staaten, für welche Staaten dann?

Bernd Ulrich widmet sich hoch ambitioniert der Frage nach der Legitimität des Krieges, als Fortsetzung der Politik mit parapazisfisitsch militärischen Mitteln (Clausewitz) oder volkserhebenden Aufbrüchen (Kleist), um deren Antwort im 19. Jahrhundert so berühmte Dichter, wie Heinrich von Kleist, Militärstrategen, wie Carl von Clausewitz (Vom Kiege), vergeblich gerungen haben.

These:

"Während Heinrich von Kleist, der Poet, der Geistes Krieger, der, der im Traume fiebernd, den Wolf, den halbwilden Potentaten, den Kaiser der Franzosen, Napoleon Bonarparte zu Schanden ritt, Krieg so verstanden wissen wollte, dass der Krieg keiner Legitimation, außer der einer vorübergehenden Raserei von ganz unten bedürfe, um die rechte Ordnung herzustellen, verstand Carl von Clausewitz den Krieg als Fortsetzung der Politik mit militärischen Mitteln, als Vater aller versicherbaren Dinge der Verrechtlichung der Politik, wo Unrecht regierte."

Dabei bleibt ungeklärt, wer in dem einen, wie dem anderen Fall, das wirkliche Subjekt der Geschchte war und ist, das mandatiert hier Unrecht identifiziert, dort vorübergehende Raserei von unten legitimiert.

Bernd Ulrich geht mit seinem Buch
"Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss"
auf kühnem schlankem Fuß einen nur scheinbar bemerkenswert eleganten Ausweg aus dieser prekäre Lage der Frage nach der Legitimation des Krieges, indem er, per se, den Frieden als Ziel, als historisches Subjekt erst verblassen, dann berserkerhaft milde, ganz verschwinden läßt.

Bernd Ulrich erkennt, vom pazifistischen Paulus zum bellizistischen Saulus gewandelt, in seinem Buch nirgendwo auf Erden mehr auf Frieden als kommunizierbares Ziel lokaler, regionaler, globaler Konferenzen für Entwicklung und Zusammenarbeit (siehe KSZE in Helsinki 1975) Politik, sondern erkennt ausschließlich am Beispiel Deutschlands auf
"Wofür darf Krieg geführt werden. Und muss!".

Dass Bernd Ulrich meint, er könne, anders als Heinrich von Kleist, Carl von Clausewitz, die Frage nach dem historisches Subjekt der Geschichte, das den Krieg so oder so legitimiert auf schlanken Fuss umgehen, läßt ihn schon im schrillen Titel seines ambitionierten Buches spektakulär scheitern.

Wer vom Krieg redet, schreibt, ohne den Frieden auch nur mit einem Wort zu erwähnen, verfolgt andere Ziele, als die Klärung, gar Beantwortung der alten Frage nach dem historischen Subjekt, das Krieg und sei es als militärisch humane Polizeiaktion legitimiert, verfolgt der nicht das dunkle Ziel, den Begriff Frieden aus dem menschheiltich kollektiven Gedächtnis zu löschen?

Andersherum betrachtet, ist für Bernd Ulrich als nacheilenden Transatlantiker und NATO Strategen von eigenen oder fremden Gnaden seiner Mentoren, Helmut Schmidt, Henry Kissinger, womöglich die Frage nach dem historischen Subjekt, das Krieg legitimiert längst mit dem Hegemon NATO samt Appendix UNO für die kommenden Jahrzehnte beantwortet?

Da geht Bernd Ulrich in berserkerhafter Milde im Stil DER ZEIT
"Vorsicht! Fasten Your Seat Belts!"
Hier argumentiert jemand von links nach rechts, von grün nach tief schwarz, auf der historischen Autobahn, gar Drohnen Einflugschneise"
soweit, dass ihm nicht einmal sein Mentor Altkanzler Helmut Schmidt folgen mag, auch wenn ihm Helmut Schmidt attestiert, dass sein Buch, dem er inhaltlich so nicht zustimmen mag, insofern gefällt, weil dieses Buch die allgemein politische Meinungsbildung anregend belebt.

Wer sich allerdings dem Buch von Bernd Ulrich aufgeschlossen widmet, macht eine interessante Reise bei dem vergeblichen Versuch des Autoren, gleichzeitig in die Fußtapfen von Heinrich von Kleist, wie Carl von Clausewitz zu treten, was notwendig fehlschlagend scheitern muss.
Überraschend ist für mich, wie Bernd Ulrich, trotz einer argumentativen Positionierung, in Beschreibungen die Gräueltaten des Krieges so, investigativ engagiert, dicht aufsucht, wie einst der poetisierend politisierende Heinrich von Kleist.

Auf der anderen Seite erklimmt Bernd Ulrich als ausgewachsen
"Bekennender Grünschnabel"
reiner, feinster Güte unbefangen desinformierend propagandistisch, unabdinglich verschwurbelt, sauerstoffarme Höhen, wenn er in seinem Kapitel
"Pazisfismus und Parapazifismus" (S. 144 )
schreibt:

Auszug aus dem besprochenen Buch:

"Um dem Verhängnis des Krieges zu entgehen, bleibt, als nobelste Variante, der Pazifismus. Er geht davon aus, dass Krieg immer mehr Gewalt erzeugt, als er bekämpft; die Gewaltspirale kann demnach nur unterbrochen werden, wenn man Unterdrückung, Unfreiheit, Gewalt duldet. Wer das auf sich nimmt, hat jeden Respekt verdient.
Und nicht nur beim Widerstand Mahatma Gandhis hat das gegen die britischen Kolonialherren funktioniert.
Hier und Heute jedoch ist der Pazifismus ein prekäres Prinzip, weil bei den in Rede stehenden Kriegen nicht der deutsche oder französische Pazifist etwas auf sich nimmt, vielmehr fordert er, dass andere alles erdulden, was ihnen von ihren Unterdrückern widerfährt.
Ohnehin ist der Pazifismus in Deutschland eine schwer zu haltende Position, weil er streng genommen, den Krieg der Alliierten gegen die Nazis, die militärische Befreiung von Auschwitz und von Deutschland verurteilen müsste, was einem Deutschen nicht sonderlich gut zu Gesicht steht"
(Ende des Zitats)

Hier inszeniert sich Bernd Ulrich selbst noch vor und gegen seinen Mentor Helmut Schmidt als das
"Tapfere Schnedierlein"
das historisch und prognostisch vorrauseilend
"Sieben auf ein Streich"
erledigt!

DIe Versenkung der Tatsache, dass der Zweite Weltkrieg als kriegsverbecherisch völkerrechtswidriger Angriffs- und Vernichtungskrieg von Deutschland ausging, in dem das NS- Regime auch noch demonstrativ provokativ nach dem Überfall der Japaner auf Pearl Habour in Hawaii am 07. Dezember 1941, den USA den Krieg erklärte, scheint für Bernd Ulrich hier die leichtere Übung zu sein.


Auf der anderen Seite klagt Bernd Ulrich an keiner Stelle die Art der Kriegsführung der Alliierten mit ihren Flächenbombardements auf die Zivilbevölkerung in Deutschland an,


Dass Bernd Ulrich den politischen Pazifismus, der weltweit nach dem Ersten Weltkrieg den politischen Raum eroberte, marginalisierend, gar nicht erst erwähnt, muss ihm als bekennenden Grünen, vormaligen Kriegsdienstverweigerer als publizistische Übung schon schwerer gefallen sein.

Bernd Ulrich unterstellt in der Argumentationskette seines vorliegenden Buches für den Krieg, den er euphemistisch "Parapazifismus" (S. 144)
nennt, einen Hegemon als historisches Subjekt, das aus sich heraus mandatiert, bestimmt, wann, wo Krieg, wann nicht Krieg geführt wird, das es gar nicht gibt und mutmaßlich niemals geben wird.

Es sei denn, dieser Hegemon hätte den Haustürschlüssel für das Haus, das Land, die Region in der Tasche, rückt den aber nicht friedenstiftend, friedenserhaltend intervenierend heraus, weil
"Halt! Wer da!"
durch die Wand brechend, kostenaufwenig lebenkostend, umweltvernichtend, klimaschädigend, parapazifistisch Krieg geführt werden soll?

Ganz abgesehen, dass Bernd Ulrich die Ereignisse, die Signale der
"Arabellion",
der gewaltfrei demokratischen Aufbrüche in Arabien, in Nordafrika, der weltweiten
"Occupy- Bewegung"
entweder nicht mehr erreicht haben, gar nicht berühren, oder, schlicht und ergreifen, als "Episode" schnuppe sind?

JP


siehe:

www.perlentaucher.de/buch/37205.html

Bernd Ulrich
Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss

Eine Streitschrift
Cover: Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss

Rowohlt Verlag, Reinbek 2011
ISBN-10 3498068903
ISBN-13 9783498068905
Gebunden, 192 Seiten, 14,95 EUR
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Klappentext

www.rowohlt.de/buch/Bernd_Ulrich_Wofuer_Deutschland_Krieg_fuehren_darf_Und_muss.2944633.html

Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muss.
Eine Streitschrift

«Weil Bernd Ulrich und ich in wichtigen Fragen nicht übereinstimmen, deshalb empfehle ich, sein interessantes Buch zu lesen. Denn Widerspruch schärft die eigene Urteilskraft.»
HELMUT SCHMIDT
IM MAGAZIN

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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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