Sicherungsverwahrung oder „das Schweigen der Regierungslämmer“

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Sicherungsverwahrung oder „das Schweigen der Regierungslämmer“

Christian Rath schreibt in seinem viel beachtlichen Freitag Artikel:

www.freitag.de/politik/1036-weggesperrt-aus-vorsorge?searchterm=weggesperrt+aus+Vorsorge

Justizvollzug | 12.09.2010 09:50 | Christian Rath

Weggesperrt – aus Vorsorge“

„Dann kam in den achtziger Jahren das Privatfernsehen und setzte auf Sex and Crime. Ausufernd wurde über einzelne Kriminalfälle berichtet. Und obwohl die Zahl der Sexualmorde insgesamt zurückging, entstand so der Eindruck, dass Kinder zu wenig vor gefährlichen Rückfalltätern geschützt würden.“

Das finde ich, ist bei Weitem zu kurz gegriffen, weil es hier n. m. E. um mehr als die Aufhetzung des Publikums geht. Es geht um das Phänomen, dass sich Regierungen in demokratisch verfassten Ländern zunehmend selber Volk genug ist und sich auch kein neues Volksuchen, wie Bert Brecht (BB) noch euphemistisch optimistisch drauf los mutmaßte. Es geht folglich darum, dass sich diese Regierungsvölker als Nomenklatur im vorauseilenden Gewahrwerden von aufgedecktem Organisationsverschulden, Regierungskriminalität in das MI selbst auferlegter Sicherungsverwahrung der Marke „Goldener Käfig“nehmen.

Politisch wirkt das parteiübergreifend so stilprägend, dass die Hemmschwelle, das gemeine Volk aus Vorsorge, fern jeden konkreten Fallbezogenen Verdachtes, per medialen Zuruf im Sinne von Sicherungsverfahren, bei unterschiedlichsten Deliktgruppen, immer niedriger gerät.

Die gegenwärtig kolportierte Auffassung, die Sicherungsverwahrung, besonders bekannt unter dem NS- Begriff Schutzhaft, gelte nicht als spezifisches NS-Recht, kann durchaus als Versuch der Geschichtsfälschung gewertet werden, um die Tatsache, dass die DDR, entgegen ihren eigenen totalitären Tendenzen der Gründungs- und Anfangsjahre, die Sicherungsverwahrung, mit Blick auf die unselig heillose NS- Justiz- Praxis, aus überaus politischen Gründen abgeschafft hatte, ins Unpolitische umzudeuten.

Diese heute geschichtsfern kolportierte Auffassung soll die doppelte Wirkung eines prekären Gewinns an der Meinungshoheitsfront entfalten, einmal der DDR- Entstehungs- Geschichte den grundsätzlichen Ansatz der Abkehr von der unheilschwangeren NS- Justiz- Praxis abzusprechen, weil ja die Sicherungsverwahrung vom Grunde her ein immanent totalitäres Kontroll- und Machtinstrument ist und zum Anderen gleichzeitig die heutigen Formen der Sicherungsverwahrung in Deutschland, vom Ruch der NS- Justiz befreit, für alle Zukunft als Option offen zu halten,

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die 1998 erfolgte Entfristung der Sicherungsverwahrung beanstandet. Dass die Zehn-Jahres-Grenze auch für alle damals bereits verurteilten Täter (die so genannten Altfälle) aufgehoben wurde, verstoße gegen das Rückwirkungsverbot von Strafgesetzen.

Dieses Urteil des EGMR deckt nicht nur den rechtlich unhaltbaren Zustand der Sicherungsverwahrungspraxis in Deutschland auf, sondern konfrontiert die deutsche Gesellschaft, voran Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Verbände, Stiftungen, brachial mit einer jahrzehntelangen Praxis der Politik, die Jurisprudenz, voran den Justizvollzug mehr und mehr in einem haltlos versumpfendenZustand des „Staates im Staate“, personellund materiell unterversorgt, unterfinanziert, verwildert zugewachsen, auf Gedeih und Verderb, verkommen zu lassen.

Die Linkspartei und Sympathisanten/innenkritisieren zu Recht, dass die Sicherungsverwahrung künftig viel häufiger als bisher im Rahmen so genannter „besonders schwerer Schuld“ u. a. Kategorien im Strafurteil „vorbehalten“ werden soll. Die Linkspartei fürchtet berechtigt einen Automatismus, bei dem die Sicherungsverwahrung nach schweren Verbrechen tendenziell zur Standardmaßnahme wird.

Damit wäredas vomEGMRrechtskräftig beanstandete Rückwirkungsverbot von Urteilen und Gesetzen (s. o.) auf „Advocati- diaboli“ Weise ein weiteres Mal im Sinne von heillosem Vorauswirkungsrecht gebrochen.

Richter/innen, die gleichzeitig ein Urteil wg. „besonders schwerer Schuld“ verkünden und gleichzeitig sich die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nach Strafverbüßung für den Verurteilten vorbehalten, dementieren ihr eigenes Urteil im Sinngehalt der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch eine nicht de factoerklärte, aber de jure angedeutete Schuldunfähigkeit des Angeklagten.

Bei all dem Geschehen, rund um das DebattenThema Sicherungsverwahrung, ist n. m. E. seismografisch der Tsunami eines gewaltigen unterseeischen Bebens unseres bizarren Sicherheitsdenkens unserergesellschaftlichen Grundsee am Horizont zu erkennen, der bereits jetzt die Medizinalisierung und Psychiatrisierung von Fehlverhalten, Vergehen, Verbrechen der Bürger/innen unseres Landes in einer Megawelle vor sich her antreibt.

Mich beschäftigt die Frage, ob es dabei eine korrespondierende Korrelation zwischen dem bizarren Sicherungsdenken und -bedürfnis unseres politischen wie wirtschaftlichen Spitzenpersonals und der forcierten Handhabung der Sicherungsverwahrung an bestehenden Gesetzen und Rechtsgrundsätzen vorbei, gibt?

JP


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Geschrieben von

Joachim Petrick

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Joachim Petrick

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