Bücherfunde: Zwischen den Zeilen die Zeiten

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Ein gute sortiertes Antiquariat ist ein Paradies, das hält, was es verspricht. Man möchte sofort einziehen. Und ein Sofa gibt es ja meist. Antiquar ist ein Traumberuf - von Büchern umgeben, die man schon immer lesen wollte. Und besucht von Menschen, die genauso denken, fühlen, kaufen. Die ahnen oder wissen wollen, was zwischen Buchdeckeln auf Entdeckung wartet, zwischen den Seiten und Zeilen sogar. Und zwischen den Zeiten.

In dieser Welt gibt es sie natürlich: Bücher von Werner Heiduczek. Märchen, Romane, Essays. Am 24. November feiert er seinen 85. Geburtstag, doch der stationäre Buchhandel muss passen. Gut, im besser sortierten gibt es den neuen Essay-Band “Vom Glanz und Elend des Schreibens”, der gerade bei Plöttner erschienen ist, der wiederum die Autobiographie “Die Schatten meiner Toten” von Faber & Faber übernommen hat, wo “Tod am Meer” in der Reihe “Die DDR-Bibliothek” verlegt wurde.

Im Antiquariat ist allerdings noch einiges zu haben: “Das verschenkte Weinen”, “Abschied von den Engeln”, “Mark Aurel oder ein Semester Zärtlichkeit”, “Reise nach Beirut”, “Im gewöhnlichen Stalinismus” oder eben “Tod am Meer”. Signiert oder nicht, mit Unterstreichungen oder ohne.

“Abschied von den Engeln” kam 1968 im Mitteldeutschen Verlag Halle heraus – Heiduczek hat es am 6. November 1968 signiert, in Leipzig. Mehr steht da leider nicht, nicht für wen es bestimmt war oder warum. So richtig zerlesen sieht es übrigens nicht aus, und es gibt Bücher, die besser riechen – doch was es alles verraten könnte. Und leider für sich behält.

Das sollte bedenken, wer ein Buch ins Antiquariat gibt: Dass die neuen Besitzer sich so ihre Gedanken machen wollen. Eine Kurzvita wäre schon schön. Dazu ein paar Stichworte zur Lektüre-Erfahrung. Und der Trennungsgrund natürlich.

Ganz wunderbar haben das die Vor-Leser von “Tod am Meer” gemacht. In der Zweitauflage aus dem Jahr 1977 liegen zwei Zeitungsausschnitte: eine Rezension aus der Magdeburger Volksstimme vom 30. August 1978. Und der Bericht von einer Heiduczek-Lesung aus dem Jahr 1989, kurz vor oder kurz nach der Wende und höchstwahrscheinlich aus dem Sächsischen Tageblatt. Zurückhaltend geschrieben (vor dem Umsturz?) und recht kurz(danach?).

“Wenn Werner Heiduczek liest, dann liest er noch immer aus ,Tod am Meer’,” schreibt der Autor S. Stadler zwölf Jahre nach dem Erscheinen. “Das wollen die Leute, und er selbst hat keinen Grund, es nicht immernoch zu wollen.” Zudem sei es ein Schlüsselwerk, das – wie zwischen den Zeilen steht – viele Jahre nicht erscheinen durfte, zwischen der zweiten und dritten Auflage sind so viele Gedanken die Elbe hinab geflossen.

Stadler verweist auf eine “zugespitzte, die Zeit illustrierende, fürs Heute aufgeschriebene Episode, wie sie so sicher nicht Eingang fand in die Chronik mancher Alma mater, an der sie sich zugetragen haben könnte.”

Vielleicht, reflektiere der Ich-Erzähler im Text, “hätte manches glücklicher verlaufen können, nicht für mich, für unser Land, hätten die, die sich als Widersacher begriffen, zum gegenseitigen Verständnis finden können …” Dieser Satz wäre, man kann es sich heute kaum vorstellen, vor dem Herbst ’89 nahezu revolutionär gewesen.

Ganz nach den Vorgaben der Zeit misst Dr. Günter Meyer in der Rezension der Volksstimme. “Mit seinem neuen Buch ,Tod am Meer’ hat Werner Heiduczek, der in der Vergangenheit mit zahlreichen Werken maßgeblich zur Entwicklung unserer sozialistischen Nationalliteratur beitrug, viele kritische Bemerkungen ausgelöst.”

Meyer stellt die autobiographisch unterlegte Figur Jablonski vor und fragt: “Warum sollte man über einen Menschen wie diesen und dessen Entäußerungen nicht schreiben? Im Arsenal unserer Feinde nimmt er sich vergleichsweise harmlos aus; und wer wollte sich dafür verbürgen, daß nicht so mancher denkt, was Jablonski ausspricht?” In die Nähe des “Arsenals unserer Feinde” sah sich seinerzeit auch Heiduczek gerückt.

Andererseits gab es damals keine bessere Werbung für ein Buch als einen Verriss im Neuen Deutschland. In seiner Autobiographie “Die Schatten meiner Toten” schreibt Heiduczek: “Noch hatte Hans Koch, Direktor des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts des Zentralkomitees der SED, in seinem umfangreichen ND-Artikel Tod am Meer für die Wadenbeißer nicht freigegeben. Aber eine Woche später, in der Wochenendausgabe vom 15./16. April 1978, ist zu lesen:
,Wenn aber, sei’s auch in einer erfundenen Biographie, diese Jahrzehnte als ein Golgatha-Weg – allerdings bei Abwesenheit biblischer Größe – erscheinen, im wesentlichen als eine Häufung von Begebenheiten, die zu moralischer Bedrückung und Scham Anlass bieten, als eine Art Taumelpfad zwischen Unrecht und Anmaßung, wenn ein Buch in seinen wesentlichen Intentionen so beschaffen ist, dann wird dadurch nicht nur, gewollt oder ungewollt, ein Gesellschaftsbild des realen Sozialismus in Frage gestellt. Es droht Gefahr, dass die möglicherweise angestrebte moralische Warnung und Korrekturforderung selbstzerstörerische Züge annimmt. Ich schreibe dies vornehmlich mit einem Seitenblick auf Werner Heiduczeks Tod am Meer.’”

Schon weil es solche Geschichten birgt, ist ein Antiquariat mehr als die Summer seiner Bücher. Und erzählt ein Buch mehr als eine Geschichte. “Man wird so schnell alt und so langsam weise”, heißt es in “Tod am Meer”.

(dieses blog ist zuerst erschienen bei lvz-online.de)

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Geschrieben von

kay.kloetzer

Kulturtante in Leipzig.

kay.kloetzer

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