Ein Vorfahr und sein Krieg II

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Anmerkung: (Diese Blogs verstehen sich auch als eine Ergänzung zum Hauptthema des Freitag dieser Woche )www.freitag.de/wochenthema/1101-kenne-deinen-feind

Der erste Teil I ist hier zu finden. Es geht um die Geschichte meines Großvaters und dessen Erlebnisse im I. Weltkrieg sowie um Überlegungen zur gegenwärtigen Entwicklung.

Teil I schloss: „Konkrete Kriegshandlungen gehören in die Tagesschau-Berichte, wo wenig von Mut und Tapferkeit, mehr von technischen Einsätzen und vor allem von politischen Hintergründen die Rede ist."

Warum töten Männer im Krieg?

Der erste Weltkrieg war mir – wie sicherlich den meisten Menschen in unserer Zeit - ungeheuer fern. Die Briefe des preußischen Hauptmanns rücken ihn mir näher als es viele Bücher aus dieser Zeit vermocht hätten, trotz des pathetischen Tons, der in ihnen manchmalangeschlagen wird. Auch das Elend des Krieges und die eigene totale Erschöpfung werden nicht ausgespart.

Seit ich mich mit diesem Weltkrieg zu beschäftigen hatte, verfolgte ich die zahlreichen Dokumentationen über Soldaten, die aus diesem Krieg und aus dem noch verheerenderen nächsten Weltenbrand zurückkamen, mit einem anderen Interesse, anderen Gefühlen. Ich frage mich: Warum töten Männer im Krieg? Ist solche Frage in Zeiten, da ein Krieg zu Ende gegangen ist, der die Menschen empört, ratlos oder auch mit Zynismus zurückgelassen hat, nicht sogar schon wieder aktuell? Und dies, obwohl hierzulande Renten- und Versicherungsprobleme das Wichtigste zu sein scheinen und eine Mehrheit der Bevölkerung mit Nachdruck ihre Friedensliebe kundtut?

Der „Alltag“ im Graben

So war es jedoch auch in den Jahren vor 1914. Keineswegs war der Krieg ständig im Blickfeld der Menschen. Als nach Sarajevo die Kugel begann, in Richtung Krieg zu rollen, schien es so, als könnte noch immer ein Hindernis, eine lenkende Entscheidung, ihren Lauf ändern. Als jedoch die Würfel gefallen waren, da wurde die Begeisterung von allen Menschen geteilt. Offiziere und Soldaten zogen – bejubelt von ihren Frauen – in einen Krieg, von dem sie glaubten, dass er kurz und siegreich würde. So sagt es die Legende.

Nach den ersten Monaten des Sturms und Vormarsches wartete auf sie der Alltag des Krieges, endlose Grabenkämpfe, Tage gespannten Einerleis, unter ständigem Beschuss.

Und es wartete auf sie das direkte Töten. Und vor dem Töten gibt es Befehle – darauf werden alle verweisen, die aus den Schlachtfeldern heimkommend, befragt werden. Es gibt patriotischen Stolz und Chauvinismus, es gibt das Fronterlebnis der Kameradschaft. Darüber sprechen heimgekehrte Soldaten ausführlich. Wenn sie jedoch über das Töten sprechen, dann zeigen sie sehr unterschiedliche Verhaltensweisen. Entweder vermeiden sie es und oft bricht ihnen die Stimme vor Erregung. Oder aber sie schildern äußerlich unbewegt und hart, was das Handwerk des Krieges ist.

Soldaten kämpfen nicht nur, weil sie es müssen, sondern auch weil sie es wollen, meint der britische Historiker Niall Ferguson. Damit verweist er auf das von Sigmund Freud begründete Muster des Zusammenspiels von Liebes- und Todestrieb - Eros und Thanatos . Freud schreibt in: „Zeitgemäßes über Krieg und Tod“: „So sind wir auch selbst, wenn man uns nach unseren unbewussten Wunschregungen beurteilt, wie die Urmenschen eine Rotte von Mördern (....) Der Krieg (...) streift uns die späteren Kulturauflagerungen ab und lässt den Urmenschen in uns wieder zum Vorschein kommen“. Ungefähr so sagt es in einem Brief auch der preußische Leutnant. Er schreibt von dem Firnis, der jetzt weg, von der Kultur die beiseite geschoben sei. Er meint, es gelte hier nur der Mann, der Tapfere, der Todesmutige und der Entschlossene, Energische, Umsichtige, Einfache. Wenn er prophezeit, dass alles Schwächliche vergehen müsse, dannscheint es, als sei ihm der Umgang mit dem Tode eine Initiation als Mann und Kämpfer.

Im Kopf bereits „der totale Krieg“

Ganz gleich, wann diese Passagen wirklich geschrieben worden sind, sie belegen doch sehr deutlich, wie sehr der preußische Hauptmann sich eins mit dieser Zeit fühlte in der er lebte. Hier sind sie die Wurzeln der Vernichtungsfeldzüge, der Brutalisierung auch des folgenden großen Krieges. Hier ist er bereits im Kopf – der totale Krieg.

Das Kriegserlebnis hat, so ist zu bemerken, eine tiefe Spaltung auch unter den Teilnehmern dieser Menschen- und Materialschlacht hervorgebracht, die in den politischen Kämpfen danach eine wesentliche Rolle spielte. Während die meisten der Männer, die im Ersten Weltkrieg – in der überwältigenden Mehrheit als Wehrdienstpflichtige – gedient hatten, als überzeugte Kriegsgegner zurückkamen, gab es auch eine andere wenngleich kleinere Gruppe, die ganz anders aus diesem Krieg hervorgingen. „Jene ehemaligen Soldaten, die durch diesen Krieg hindurchgegangen waren, ohne sich gegen ihn aufzulehnen, zogen aus der gemeinsamen Erfahrung eines Lebens mit Tod und Tapferkeit eine Art unvermittelbarer urtümlich-roher Überlegenheit, die sich vor allem gegen Frauen und all jene richtete, die nicht gekämpft hatten“, meint der britische Historiker Erik Hobsbawm.

Der deutsche Hauptmann, der ferne Großvater, dessen Lebensspuren ich verfolge, gehörte zu der zweiten Gruppe. Wie so viele nach diesem „Großen Krieg der weißen Männer“ wird das Grundmotiv seines weiteren Leben die militärische Ordnung sein. Seine „Erziehung vor Verdun“ist die zur Härte und Gnadenlosigkeit.War er schon vorher so? Hat ihn der Krieg erst dazu gemacht? Manchmal ist in den Briefen eine tiefe Erschöpfung zu erkennen, ein Gefühl für die zerstörerische Dumpfheit dieses mörderischen Krieges. Es wurde gekämpft um einige hundert Meter, um eine Anhöhe, einen Berg. Zumindest an der Westfront war der Krieg ein zermürbender und demotivierender Stellungskrieg.

Kein Zuhause mehr in der zivilen Welt

Wilhelm Friedrich L. hat noch im Kriege geheiratet, aber er wird dennoch zu jenen Männern gehören, die durch das Erlebnis der Schlacht so verändert werden, dass sie sich in der profanen Welt von Haus und Heim nie wieder heimisch fühlen. So wird er selten daheim sein. Er wird ein ewiger Haudegen und Krieger bleiben, wie es die amerikanische Publizistin Barbara Ehrenreich in ihrem Buch „Blutrituale“ nennt: „Kreuzritter, die nach der Rückkehr aus dem Heiligen Land in Europa fortfuhren, überall Ketzer zu bekämpfen; englische Ritter, die sich während der Waffenstillstandszeiten im Hundertjährigen Krieg weigerten, die Kampfhandlungen einzustellen, und in Frankreich als marodierende Freibeuter weiterkämpften; amerikanische Bürgerkriegsveteranen, die von den Schlachtfeldern im Osten nach Westen zogen, um dort gegen die Indianer zu kämpfen, deutsche Offiziere, die nach dem Ersten Weltkrieg die reaktionären Freikorps anführten, welche zwischen den Kriegen die deutsche Arbeiterklasse terrorisierten und später den Kern von Hitlers SA bildeten“.

Der Krieg ist doppelte Flucht

Der Krieg mag abenteuerliche Flucht vor den wirklichen Aufgaben des Lebens sein, wie Thomas Mann so aufklärend - mahnend sagte. Er kann auch Flucht in ein anderes Leben sein, das dem großen Schriftsteller durchaus nicht fremd war. Ein Leben intensiver Männlichkeit, hin zu homoerotisch getönten Kameradschaften, zu extremen Empfindungen, erhöhtem Lebensgefühl. Einem Lebensgefühl des Risikos und des Wagnisses, deren Fehlen heute von manchen jungen Männern als Defizit erlebt wird, so dass sie extreme Abenteuer suchen.

Auch in den Jahren vor 1914 gab es ein Empfinden von Leere, meinen die Geschichtsschreiber. „Es gab die fast natürliche Abnutzung einer langen Friedenszeit, die Langeweile, den Überdruss am Alltäglichen und im Gegenzug die Lust am Abenteuer, die Sehnsucht nach der Mutprobe, der Bewährung.“, konstatiert der Historiker Christian Graf von Krockow. Wobei man auch hier gespenstische Parallelen zur Gegenwart sehen könnte. Nicht nur die Risiko-Sportarten der Spaßgesellschaft sind dafür ein Beleg, sondern auch die sich zunehmend einstellende Bereitschaft, Kriege nicht als zu vermeidendes Übel zu betrachten, sondern sie als Mittel der Politik wieder zu akzeptieren.

“Der Krieg (...) stellt auf keinen Fall nur ein Mittel dar, er ist vielmehr sehr oft als Endzweck betrachtet worden – als eine höchst attraktive Tätigkeit, für die nichts anderes einen angemessenen Ersatz liefern kann (...) Allein der Krieg gibt dem Menschen die Gelegenheit, all seine Fähigkeiten einzusetzen, alles aufs Spiel zu setzen und sein Wertvollstes gegen einen Gegner zu erproben der genau so stark ist wie er selber (...). Wie unangenehm die Tatsache auch sein mag, der wahre Grund, warum es Krieg gibt liegt darin, dass Männer gern kämpfen“. Mit dieser Einschätzung ist der allerdings nicht unumstrittene Militärhistoriker Martin van Creveld in der Mitte des Zeitgeistes.

Trachten nach dem Tode

Dass es in der deutschen Mentalität ein spezifisches Trachten nach dem Tode gäbe, unterstellt der französische Politiker Georges Clemenceau in einem Brief an den Theologen Karl Barth: " Lieber Freund, es entspricht dem Wesen des Menschen, das Leben zu lieben. Der Deutsche kennt diesen Kult nicht. Es gibt in der deutschen Seele, in der Kunst, in der Gedankenwelt und Literatur dieser Leute eine Art Unverständnis für alles, was das Leben wirklich ist, für das, was seinen Reiz und seine Größe ausmacht und an dessen Stelle eine krankhafte und satanische Liebe zum Tod. Diese Leute lieben den Tod. Diese Leute haben eine Gottheit, die sie zitternd, aber doch mit einem Lächeln der Ekstase betrachten, als wären sie von einem Schwindel erfasst. Und diese Gottheit ist der Tod. Woher haben sie das? Ich weiß darauf keine Antwort. Der Deutsche liebt den Krieg als Selbstliebe und weil an dessen Ende das Blutbad wartet. Der Deutsche begegnet ihm, wie wenn er seine liebste Freundin wäre".

Ist das so oder spiegelt sich in diesem Satz eine – durch die Ereignisse der Zeit verengte Sicht - wider, die das Kriegerische im eigenen Umfeld, der eigenen Nation nicht sehen will?

Sind die Deutschen besonders todesversessen und erklärt sich dadurch ihr Verhalten?

Die Lust am Krieg hat unterschiedliche Aspekte, meinen Psychologen: Der Krieg stille elementare Triebe wie den Beutetrieb oder dieLust am Überleben. Er befriedige aber auch die Lust am Abenteuer, an der Gemeinschaft, am Sieg. Andere wieder fühlten sich durch die Waffen fasziniert, von einer Ästhetik der Gewalt, durch die Perfektion der Ordnung und Organisation oder auch durch den Erfolg, der mit kriegerischen Handlungen einher geht.

Es mag durchaus sein, dass in unterschiedlichen Nationen, vor unterschiedlicher Geschichte und Kultur entsprechend unterschiedliche Aspekte im Vordergrund stehen. Bei den Deutschen der Tod?

Oder Lust am Überleben

Bei den Franzosen das Überwinden des Grauens und die Lust am Überleben? Bei den US-Amerikanern schon im zweiten Weltkrieg und heute ganz besonders die vorrangige Befriedigung an der Funktion der modernen Waffen und der militärischen Organisation?

Van Creveld vermutet, dass das wahre Wesen des Krieges nicht einfach darin besteht, daß eine Gruppe eine andere tötet, sondern in der Bereitschaft ihrer Mitglieder, sich, wenn nötig, im Gegenzug töten zu lassen“.

Ähnliches sagt Simone de Beauvoir: „Nicht indem er Leben gibt, sondern indem er es wagt, erhebt sich der Mensch über das Tier“.

Was mag den deutschen Hauptmann, meinen „Helden“ am Kriege fasziniert haben? Wie aus seinen Briefen erkennbar, erstrebte er den Erfolg, wollte sich auszeichnen . Auch die Gemeinschaft spielt bei ihm eine wichtige Rolle. Er verweist ja bei seinen Kriegsschilderungen immer auf die Truppe ohne die der Erfolg nicht möglich gewesen sei.

Jedoch, den Tod “liebt“ er nicht, zu sehr spricht aus seinen Briefen spricht das Entsetzen und eine tiefe Erschöpfung am Handwerk des Krieges.

Wenn etwas Euphorie erzeugt, dann ist es das Gefühl des Davongekommenseins. Davon ist in den Briefen des deutschen Hauptmanns ebenfalls die Rede.

Wenn im Kino seriöse Filme über den Krieg zu sehen sind, dann enden die Schlachten, die Kämpfe, die Angst und die Entbehrungen meist mit der Rettung von Kameraden. Die Moral: Kriege sind furchtbar, wird politisch korrekt mit transportiert. Die Zuschauer aber sind fasziniert, weil sie die Euphorie der Davongekommenen teilen. Kriege sind furchtbar, wer würde dem nicht auf der Stelle beipflichten. Aber, wenn sie nur das wären, gäbe es sie nicht. Kurt Tucholsky stellte einmal fest: „Nichts als Pazifist sein – das ist ungefähr so, wie wenn ein Hautarzt sagt, „Ich bin gegen Pickel“. Ein Teil der Gründe für Kriege liegt im Wesen des Menschen. Und etwas später in einem Brief an seine Freundin Nuuna: „Es wird immer Kriege geben.“

Fluch und Gegenbeschwörung

Wenn es so wäre, dann will auch dieser Fluch seine Gegenbeschwörung finden. Die Antipoden sind ja nicht nur Töten und Getötet werden, sondern es kommt noch ein Drittes hinzu,. das den Fluch mildert, der mit diesen destruktiven Gegensätzen aufgerichtet ist.

Töten und Tod mögen die dunkle Seite jenes Gefühls sein, dass ein Mensch hat, der Leben hervorbringt, wie es die Mütter tun, oder Leben rettet, das verloren schien.

Das Erlebnis Geburt in seinem Rhythmus von Schmerz und Glück wurde oft beschrieben. Wenn man die Erzählungen von Menschen kennt, die nicht als professionelle Helfer, sondern einfach durch den Zufall ein Leben retten, erfährt man, dass auch sie ein enormes Glücksgefühl verspüren.

Ob bei den „guten“ Mächten oder denen der Finsternis, das Gefühl Herr oder Herrin über Leben und Tod zu sein ist wohl die Mitte, um die sich alles dreht.

Der „Held“ meiner Suche aber neigte sich immer ausschließlicher den Mächten der Finsternis zu.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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