Laute Aufklärung gegen den "Silent Coup"

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Der Globalisieurungskritiker und Journalist
Harald Schumann in der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin

Als vor über 15 Jahren Harald Schumanns Buch "Die Globalisierungsfalle" erschien - damals war er noch Spiegelredakteur - fand ich, dass kein anderer so prägnant und verständlich Zusammenhänge erklären kann wie er. Inzwischen hat er mit seinen Warnungen genau so Recht behalten, wie ein gewisser Oskar Lafontaine, dessen Kritik an den Praktiken der Finanzmärkte, ohne Schumann-Lektüre mir nicht so einleuchtend gewesen wäre. Seitdem gab es eine Finanzkrise, die die Welt an den Rand des Crashs geführt hat, es gab Rettungsprogramme und dann gab es ... monatelang nichts. Jetzt hat Europa "Griechenland" und bald auch "Portugal" und erneut zeigt sich, dass sich an der Macht der Finanz- und Investmentbanker nichts, aber auch gar nichts geändert hat.

Brechend voller
Hörsaal in der HWR


Im Grunde ein Skandal, meinte Harald Schumann denn auch gestern im brechend vollen Hörsaal der "Hochschule für Wirtschaft und Recht" in seinem Vortrag.
www.hwr-berlin.de/
Gemeinsam mit der "Landeszentrale für politische Bildung"

www.berlin.de/lzpb/
ging es genau um dieses schwierige und doch für alle Menschen so wichtige Thema unter dem Titel: Demokratie als Illusion"
Die Macht der Banken und der Druck "von unten".

Es sei höchst alarmierend, wenn so wenige Menschen verstünden, dass sie auf offener Straße ausgeraubt würden, meinte Schumann. Dabei würden die Parlamente zunehmend zu Abstimmungsautomaten degradiert, wie es unter anderem die Griechenlandkrise nachweist.

Niemand hätte gedacht, dass - fast zwei Jahre nach dem Beinahe-Crash - die Politiker weiter von den Bankern vor sich her getrieben würden. Zunehmend setze sich die Welt der Finanzmärkte als "fünfte Gewalt" im Staat durch, die besser als die Wähler weiß, was gut für ein Land ist, wie es der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende der Deutschen Bank, Rolf E. Breuer, unnachahmlich ausgedrückt hat.

Er wolle keine Verschwörungstheorien verbreiten, meinte Schumann, aber zunehmend verstärke sich der Eindruck, dass sich die Politik selbst entmachte und die Finanzoligarchen der Welt den Ländern die Bedingungen diktierten.

Er holte weit aus um diese Entwicklung nachzuzeichnen.
Dass es in den letzten 30 Jahren eine Einkommensverschiebung von "unten nach oben" und dies in gigantischem Ausmaße gegeben hat, belegte er mit Zahlen.
Nur ein Beispiel aus Deutschland:

Das reichste Zehntel der Bevölkerung besitzt fast zwei Drittel des gesamten Vermögens, dagegen verfügen mehr als zwei Drittel der Bevölkerung nur über einen Anteil am Gesamtvermögen von weniger als zehn Prozent.


Dass die Reichen der Reichen immer neue Anlagemöglichkeiten für sich suchten, aber auch mit der Privatisierung der Alterversorgung neue "kreative" Anlageformen angestrebt wurden, war ebenfalls zu beobachten. Es gab nicht genug in der realen Wirtschaft. Dazu eine ständige Standortkonkurrenz der Finanzplätze - dies alles führte zur Vernachlässigung solider Bankwirtschaft und hebelte wichtige Regeln aus.
So wurde zum Beispiel die "Basler Regel", die eine bestimmte Höhe des Eigenkapitals festschrieb, als "Profitbremse" zunehmend ausgehöhlt. Auch die nachfolgenden Regeln (Basel II) wurden mithilfe von allerlei Rechenspielchen immer wieder umgangen.

Eigenkapital mindert den Profit
Eigenkapital mindert den Profit. Profitabel aber ist - wenn man die Risiken nicht bezahlen muss - das Spiel mit fremdem Geld.
So kommen die berüchtigten cds - (credit default swaps), also die Spekulation auf ausfallende Kredite völlig ohne Eigenkapital aus.
Investmentbanking, Hedgefonds und das ebenfalls hochriskante Privat Equity konnten ebenfalls unbehelligt von Eigenkapitalforderungen ihre Geschäfte machen.
Das Instrument des "Kredithebels" (die Arbeit der Großbanken mit hohen Summen von geliehenem Fremdkapital, um damit die Renditen auf ihr Eigenkapital zu vervielfachen) haben verheerende Folgen. Eigentlich sind sie auch gar nicht erlaubt, jedoch Kontrollen gibt es zu wenig. Gleichzeitig vervielfacht diese "Kredithebel-Praxis" auch die Verluste, die dem Steuerzahler aufgebürdet werden.


Es ist nicht der "kleine Mann" in den USA oder hierzulande, der mit seinem Kredit das Problem stellt, sondern, die hohen Kreditvergaben waren - besonders in den USA - eine Folge der Umverteilungen sprich Verringerung der Einkommen. Alle anderen Probleme sind eine Folge von massiver Finanzjongliererei, deren Brisanz leitende Manager auch durchaus erkennen. Schumann verwies auf Aussagen, nach denen Verantwortliche meinten, sie hofften, sie seien schon in Rente, wenn die ganze Blase platzt.

Als die gesamten so zweifelhaft konstruierten Kreditpapier fielen, begann mit ihrem Fall eine weitere Finanzwette. Diese "synthetischen Kreditpakete" verscherbelte man noch, als ihre Wertlosigkeit schon ganz sicher war.
Eine dubiose Funktion haben dabei die Rating-Agenturen, die - so Schumann - Unterstützer der ganzen Praxis sind und keineswegs unabhängig.

Es ist eine Parallelgesellschaft mit unglaublicher Kreativität, deren Zynismus unendlich ist.

Alles haben die Finanzoligarchen bedacht, aber nicht, dass einer der Ihren, ein Institut komplett pleite gehen könnte. Dafür gab es kein Szenarium, darum die Hektik in der Zeit der Lehman-Brothers-Pleite, die sich aber schon wieder gelegt zu haben scheint. Denn, sie sind zu hoch verschuldet - die großen Bankinstitute, zu vernetzt um sie pleite gehen zu lassen.
Und damit ist das Grundprinzip der Marktwirtschaft, das besagt: "Wer investiert, ist auch für die Folgen zuständig", ist außer Kraft, meinte Schumann.

TV-Kanzler Ackermann
In Deutschland nimmt die Aushöhlung demokratischer Regeln groteske Züge an. Josef Ackermanns -Anwälte schrieben gleich selbst die Gesetze für die Bankenrettung. Die Regeln der Haushaltskontrolle bleiben konstant unbeachtet, das Parlament kann nichts tun. In Deutschland darf sich der Chef der Deutschen Bank solcherart im Fernsehen darstellen, dass Schumann - wie im Tagesspiegel geschehen, von "TV-Kanzler Ackermann" sprach.

www.tagesspiegel.de/meinung/tv-kanzler-ackermann/1838938.html

Tatsächlich hat, entgegen allen kämpferischen Geredes von Merkel und Schäuble, ja tatsächlich er die Bedingungen diktiert und zum Teil die Bundesregierung mit Horrorszenarien massiv unter Druck gesetzt. Die Rettung der Banken stand aber gar nicht auf de Agenda, wie aus Harald Schumanns Beitrag deutlich wird, sondern die Rettung des Kapitals der Bankengläubiger. Die wollten für eingegangene Risiken nicht zahlen. Und so ist es ja auch gekommen.

Simon Johnson, vormals Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, bezeichnete darum diese politische Aushöhlung bei gleichzeitiger Plünderung der Staatskassen als "Silent Coup", als Stillen Staatsstreich einer kleinen Clique von Finanzmanagern.

Gelernt wurde aus dem Desaster bis heute wenig bis nichts, die geplante Finanztransaktionssteuer - wann wird sie kommen? Kein Land kann einen Alleingang machen, das nützte niemandem. Es muss zumindest eine europaweite Lösung geben.
Alle versuchten Regelungen sind - dank massivster Lobbyarbeit - gleich wieder entschärft. Beispiel USA: Es gibt Kontroll- und Aufsichtsregelen, aber man lässt weiter die Offshore-Praxis zu und damit bleiben die diese Investmentinseln ohne Zugriff. Nicht verwunderlich meint Schumann, denn diese Kräfte haben Obamas Wahlkampf mit finanziert. Auch die EU-Richtlinien zum Eigenkapital (Basel III) sind schon wieder verwässert.

Ein "Klassenkampf von oben"
Wenn also - so Harald Schumann - die Finanzmärkte die Regeln der Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt haben, dann könnten sie auch bald die Demokratie unter sich begraben, wenn ihnen keine Zügel angelegt werden. Es ist ein "Klassenkampf von oben", ein Kampf der Eliten, die sich vor unser aller Augen die Taschen voll stopfen. Solange Banken so groß sind, dass man sie nicht pleite gehen lassen kann oder dies zumindest behaupten, wird es keine Änderung geben. Darum ist dies die altererste, wichtigste Forderung: Aufhebung der Staatssicherung für zu große Banken.
Dass sich eine intensivere und unabhängigere Kontrolle - angesichts des jahrelangen, ständigen Rufes nach weniger Staat und mehr Markt - hierzulande schwer installieren lässt, von den Kosten ganz abgesehen, liegt auf der Hand.
Gegenwärtig sei die Bankenaufsicht unterbesetzt, mit jenen verflochten, die sie kontrollieren solle.

Außer stärkerer Kontrolle geht es vor allem darum, die Bürger, die zunehmend alarmiert sind, zum Engagement aufzurufen, sich sachkundig zu machen und dringende Forderungen unterstützen:
Eine Finanztransaktionssteuer muss in der gesamten Eurozone installiert werden
Es muss eine Wahrheitskommission geben, die gegen die Verschleierungen und Vertuschungen wirkungsvoll vorgehen kann
Gefragt werden müsste zum Beispiel: Welche Rolle spielte die Deutsche Bank bei der ganzen IKB-Affäre?

Konventionelle Medien
haben zu wenig aufgeklärt


Eines stellte sich bei der Gelegenheit auch mal wieder deutlich heraus: Die konventionellen Mainstream-Medien haben in dieser ganzen Finanzkrise reichlich versagt. Darum ging es unter anderem in der Diskussion. Die Medien reagierten ohnehin nur, wenn es verlangt würde, meinte Schumann. Dem journalistischen Nachwuchs stellte er kein gutes Zeugnis aus: Die sähen in diesem Beruf eine Lifestyle-Sache, "was mit Medien" zu machen. Aufdecken, Aufklären, politische Hintergründe - nur wenig sei da zu erwarten.

Diskurs nach Abschluss

Auch über diese Fragen diskutierte ich mit Fräulein Juliane, die mich auf diese Veranstaltung aufmerksam gemacht hatte, anschließend im Restaurant gegenüber der Hochschule. Es gehöre zur guten Tradition der HWR, dass sie kritischen und warnenden Stimmen nicht nur zur Entfesselung der Finanzmärkte, sondern zu Wirtschaftsfragen generell Raum bietet, meinte sie. Wir bedauerten, dass die teilnehmenden Studenten recht wenig zum Fragen kamen, weil rechthaberische ältere Debattenredner nichts fragten, sondern umfangreiche Eigenbetrachtungen ablieferten. Und ganz perplex war ich, als eine - sich als Lehrerin vorstellende Zuhörerin - feststellte, dass sie das komplexe Thema nur zu 10 Prozent verstanden hätte. Also - Medien hin oder her - es gibt schon inzwischen immer mal wieder recht gute Darstellungen zum Thema. Und - auch hier hat das Internet seine Chance und Funktion. Darüber wurde erst gesprochen, als gefragt wurde, ob man Schumanns Beitrag im Internet findet.
Er ist da - in einer Audio-Fassung für die Urania. Aber, ich habe sie nicht geöffnet gekriegt.

Nachsatz: Heute morgen gab es ein Interview auf

www.dradio.de/dkultur/sendungen/interview/1191001/
mit dem Ökonomen Max Otte, der sich gegen den Vorschlag einer Bankenabgabe anstelle der Finanztransaktionssteuer wandte. Das sei - so meinte er - viel zu wenig.

Die Moderatorin fragte zu riskanten Geschäften nach. Sie hätten die Finanzkrise verursacht und seien, genau jetzt in der Krise besonders lukrativ.
"Wie pervers ist das?"

Otte: "Das ist schon sehr pervers, aber solange wir als Gemeinwesen, als Politik nichts daran ändern, wird es wohl so weiterlaufen, denn die Banker sind ja sehr gut vernetzt und sie verstehen es eigentlich immer wieder, Regulierungsbemühungen zu hintergehen und zu unterlaufen und so weiterzumachen wie bisher. Außerdem hat die Politik das durchaus gewollt. Wir haben nämlich die Buchhaltungsregeln gelockert, sodass wir gar nicht mehr so genau reinschauen bei etlichen Banken, und im Prinzip das Signal gegeben, macht weiter wie bisher, verdient schnell wieder viel Geld, damit ihr wieder auf positive Eigenkapitalkonten kommt."

Aber auf diese Weise ist die so wichtige Forderung nach Erhöhung des Eigenkapitalanteils der Banken nicht gemeint. Sie stand ebenfalls bei Otte ganz oben auf der Agenda. Deutlich wurde nicht erst bei dieser Sendung, die Medien sind auch aufgewacht, wie die Bürger.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Magda

Immer mal wieder, aber so wenig wie möglich

Magda

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