Mut zur Geste

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Relativ, wenn nicht hochgradig irritierender Abend gestern abend im Panorama: Romuald Karmakar zeigte seinen Film "Angriff auf die Demokratie - Eine Intervention". Ein Film, der filmwissenschaftliche Seminare über Jahr beschäftigen kann und in denen sich dann alles um die Frage der "Geste" drehen würde.

Karmakar, der schon im Himmler-Projekt und den Hamburger Lektionen die Frage des Performativen bei der Arbeit am Vortragstext bearbeitet hatte (Manfred Zapatka sprach eine Himmler-Rede beziehungsweise die Predigt eines islamistischen Imams), präsentierte die Montage einer Veranstaltung im Dezember im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Dort hatten Carolin Emcke, Franziska Augstein, Friedrich von Borries, Julia Encke, Nils Minkmar, Ingo Schulze, Joseph Vogl, Harald Welzer und Roger Willemsen zehnminütige Statements zur Lage von Politik und Wirtschaft in Zeiten der andauernden Kapitalimuskrise abgegeben (Karmakar selbst hatte einen sechseinhalbminütigen Beitrag zur Psychologie der Märkte gezeigt, in dem Ziegen sich fressend über eine Wiese choreografieren, bis sie alle aus dem Bild verschwunden sind).

Die Veranstaltung war selbst mit einer Geste verbunden, insofern sie nicht nur typische Gesprächsveranstaltung sein wollte, sondern die Journalisten, Schriftsteller, Akademiker das Gefühl zu vermitteln suchten, einmal grundsätzlicher ("eine Intervention") Nein zu den gegenwärtigen Verhältnissen zu sagen.

Mut zur Geste

Karmakars Film ist auf zwei Ebenen zu lesen, die sich im nachhinein, also im anschließenden Gespräch, schwer auseinander halten ließen: als Dokumentation einer Veranstaltung, die ihr grundsätzliches Nichteinverstandensein über die Veranstaltung hinaus verlängern und in die Welt tragen will. Und als Film, der als eine Kritik an Vortragspraxen von Intellektuellen verstanden werden kann, die über die Krise reflektieren.

Irritierend war nun, dass die Anordnung im anschließenden Gespräch eher auf die erste Lesart abhob: Bis auf Willemsen (Konzert in Oldenburg) und Minkmar (Kinderhüten in Wiesbaden) nahmen alle Beteiligten Platz vor der Leinwand; stellenweise entstand der Eindruck, dass da jetzt einfach weiter diskutiert werden sollte, was im Film (und nicht als Film) gesagt wurde beziehungsweise dass die Anwesenden (Emcke) für ihren "Mut" (Vogl) bedankt werden wollten, einmal mit einer grundsätzlicheren Geste Unbehagen an den Verhältnissen ausgedrückt zu haben.

Diese Anordnung führte sehr schön vor, was an den meisten Beiträgen der Veranstaltung bei allen richtigen Fragen zum Lauf der Dinge (Wem nützt was? Wer profitiert? Wie wollen wir leben?) als Frage unbedacht blieb: Wer spricht? Und von welchem Punkt aus? Der Zuschauer sah sich gestern jedenfalls mit Leuten konfrontiert, bei denen er nicht wissen konnte, ob sie nun als Experten ihres Veranstaltungsauftritts weiterreden wollten über Krise und Kapital oder als Protagonisten eines Films, die man, gerade in dokumentarischen Zusammenhängen, eher bewundert für ihre Anwesenheit als mit Fragen belästigt, die man Schauspielern stellen könnte ("Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?")

Remake mit Zapatka

Dass die Geste des Grundsätzlichen dabei nicht aufrecht zu erhalten war, zeigte sich schon an Fragen des Vertriebs. Emcke wollte den Film als "Flaschenpost" verstanden wissen, die in die Welt hinaus schwimmen soll, um Menschen mit kritischem Gedankengut zu versorgen. Wobei diese Welt für Emcke allein aus Goethe-Instituten zu bestehen scheint - die naheliegende Idee, den Film ins Internet zu stellen (was auch erstmal nur eine Geste wäre - die Frage ist ja, wem er da nützen, wer ihn da sehen soll, auch wenn die einzelnen Teile sich passgerecht in den Youtube-üblichen Rahmen von 10 Minuten fügen), wurde abschlägig beschieden mit dem Hinweis auf die Produktionskosten, die wieder reinkommen müssten.

Diese Antwort machte deutlich, wie prekär die Geste in Zeiten unserer Verhältnisse wiederum ist: zur, überspitzt gesagt, Revolution aufrufen und dann auf Produktionskosten (und womöglich noch so was wie künstlerische Urheberschaft am Projekt) verweisen - das ist inkonsequent in einem absurden Maß, denn es zeigt die Begrenztheit des "Muts" zur gesellschaftlichen Veränderung. Wenn die "Flaschenpost"-Annahme stimmen sollte (der Film also nur der Verbreitung der Veranstaltungsinhalte dienen sollte und nicht zur bildsemantischen Kritik), dann wäre die richtige Geste für diesen Film, nicht auf Fördergelder zur Produktionskostenerstattung zu warten oder auf das Sponsoring durch einen solventen Partner zu setzen und um die Aufführungen herum nette Empfänge zur Selbstvergewisserung der Richtigkeit des eigenen Tuns zu organisieren.

Wenn es also nicht darum ginge, Distinktionsgewinne auf dem Feld einer publizistischen Selbstdarstellung zu erzielen - dass man nicht nur Veranstaltungen macht, von denen es jeden Tag Tausende im politisch-kulturellen Berlin gibt, sondern mit der Filmversion auch noch auf die Berlinale eingeladen wird -, dann läge nichts näher, als dass die gutsituierten, wenn nicht vermögenden Teilnehmer aus dem linksliberalen Establishment, die im Film auftreten und an seine Flaschenposthaftigkeit glauben, ihn aus der Portokasse ihrer Monatsgehälter beziehungsweise ihres Besitzes der nach diskursiver Wappnung darbenden Öffentlichkeit zur freien Verfügung stellten.

Es spricht folglich vieles dafür, dass es um die zweite Lesart geht, die Bild- und Repräsentationskritik, die man in Karmakars Montage von fremden Material der abgefilmten Veranstaltung (Haus der Kulturen der Welt, 3sat) auch finden kann. Noch deutlicher kann diese Kritik hervortreten - und damit die Dopplungen des Auftritts der Redner bei der Berlinale noch einmal einholen und vervielfachen -, indem Karmakar bis zur nächsten Berlinale ein Remake seines eigenen Films hinlegte - mit Manfred Zapatka, der alle Rollen spricht.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Matthias Dell

Filmverantwortlicher

Matthias Dell

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