Wiener Melange zum Jahreswechsel

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Kalt.

Etwas zu wissen und etwas zu erfahren sind unterschiedliche Dinge. Und Wien habe ich noch nicht so kalt erfahren. Ich war allerdings auch noch nicht zum Jahreswechsel dort. Der kurze Weg vom Bahnhof zu den Freunden lässt erahnen, was uns in den nächsten Tage erwartet. Der Weg ist aber vor allem eines: Kurz. Und er führt direkt ins Warme.

Mein erster selbst gesuchter Weg überhaupt in dieser Stadt führte mich, oder damals uns, denn wir waren zu dritt unterwegs, zum Heizkraftwerk. Ich weiß nicht, ob es eine weitere von einem Künstler gestaltete Industrieanlage außer dieser in Wien gibt. Der Geist, der daraus spricht, scheint aber auch Bibern zu gefallen, die ganz in der Nähe arbeiten.

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Nach meinem ersten Besuch des Kraftwerks haben wir uns ziemlich verirrt und die Herberge erst spät wiedergefunden. Wir waren auf Kursfahrt in Wien und am ersten Abend auf Inline-Skates unterwegs, von der goldeneren Kugel angezogen, wie Insekten vom Licht. Heute weiß ich ziemlich gut, wo wir hinmüssen. Mit jeder neu gemerkten U-Bahn-Verbindung wird die Stadt ein bisschen weniger mystisch.

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Woher die Wohnmobile mit italienischen Kennzeichen auf dem Heldenplatz kamen und warum sie dort standen, ist mir genausowenig klar, wie der Zweck dem die Soldaten dort dienten. Den Zweck von Soldaten kenne ich natürlich, nur, was sie hier am Heldenplatz machten, mit zivilen Bussen, deren Gepäckräume von Gewehren überquollen, hergefahren und darin aufbewahrt, das war mir nicht klar.

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Den Kaiser und seine Frau, die Kaiserin müssen sie nicht mehr beschützen. Beide gibt es nicht mehr, ein paar Spuren haben sie in dieser Stadt aber hinterlassen. Eine ganze Stadt, im Grunde zum Vergnügen von zwei Personen zu bauen, ist so undemokratisch, dass alles unter Denkmalschutz gestellt wurde. Man kann ja nie wissen.

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Zu Entdecken gibt es auch etwas an bekannten Plätzen. Im Wienmuseum wird gejandlt, wir machen mit. Als nur noch Wortfetzen und Silben durch unsere Köpfe schwirren, gehen wir in die Dauerausstellung zur Geschichte Wiens. Im zweiten Stockwerk, 1850-2000 stehen zwei Herren, halten sich an den Händen und schauen sich verliebt an. Ganz falsch kann man an diesem Ort nicht sein.






In Österreich soll es, durch Migration von Landsleuten, Deutschenfeindlichkeit geben. Zumindest eine gewisse Voreingenommenheit, konnte ich beim Bäcker spüren. Zwar habe ich brav Semmeln bestellt und nicht Brötchen, doch mein norddeutscher Klang war nicht zu verstecken. Die Verkäuferin blieb zwar höflich, war aber, zumindest bildetete ich mir das ein, nicht mehr so ausgenommen freundlich, wie zu anderen Kunden. Als ich einen Abend eine Pizza abholte und dort mit den Worten: "Szwei Magaritha" zur Kassa gerufen wurde, um dort "Szenn Euro" zu zahlen, fühlte ich mich wie zu Hause.






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Auf zugefrorenen Seen ist man irgendwie immer falsch. Das Wasser ändert seinen Aggregatzustand und macht eine Ausnahme, lässt uns eine andere Perspektive erleben und über sich laufen. Richtig ist das nicht. Bei 25°C und Sonne, im Mai, da ist man in der Donau genau richtig, zumindest in der Alten. So wie am Tag nach meinem ersten Ausflug zum Heizkraftwerk, als ein Freund und ich uns Laufschuhe und T-Shirt auszogen und ein paar Minuten planschten. Meine Skrupel sich auf dem Eis aufzuhalten, werden von anderen Arten nicht geteilt.

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Den Abend für den wir gekommen sind, verbringen wir auf der Baumgärtner Höhe, hinter dem Otto Wagner Spital. Von hier hat man einen Großteil Wiens gut im Blick. Und damit all die Bekloppten und Bescheuerten, die einen Wochenlohn in die Luft blasen und uns ein phantastisches Feuerwerk bieten. Leider haben sich einige eine Handvoll von denen gedacht, sie wollten mitmachen und stecken Raketen in die Erde, auf das sie nicht abheben und inmitten der grölenden Jungs explodieren. Der Blick über Wien und die Gesellschaft um Mitternacht entschädigen dafür. Frohes Neues Jahr.

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Bild: Aktuelle Debatte im Dunkeln

Mit Aufzügen fährt man ohne viel Aufwand hoch hinaus, man muss nur einen Knopf drücken. Insofern sind Möbellager, Verwaltung und überhaupt alles was zu einem Betrieb gehört, in einer ehemaligen Aufzugsfabrik falsch. Hoch hinaus möchte hier niemand, es geht nur darum, Menschen mit ihren Stärken und Schwächen dazu zu befähigen in Würde zu leben und zu arbeiten. Und einfach waren die 30 Jahre, die es die ARGE-Wien mittlerweile gibt, auch nicht. Die Ausstellung im Möbellager legt davon Zeugnis ab, wie sich ein Verein emanzipierte, wie er Menschen Möglichkeiten bot und bietet, die woanders bereits abgeschrieben sind. Eigentlich dürfte es die ARGE nicht geben, doch leider kann es nicht genug davon geben. Mehr bei ed2murrow wobei ich explizit auf eine Anekdote j-aps hinweisen möchte.

Musik gab es auch. Da ich alt genug bin, Traditionen zu haben, ging es wieder zu “Porgy and Bess“, wo ich mich auch das letzte Mal von Wien verabschiedete. Hans Joachim Rodelius und Stephan Schneider gaben sich die Ähre und hatten jemanden dabei, der für „Visuals“ sorgte. Die Musik war auch sehr jazzig. Leider wurde die hochklassige musikalische Darbietung von Gedichten des Herrn Rodelius unterbrochen, die IMHO* das Niveau seiner Musik nicht erreichen konnten. So wurde ich immer, wenn ich unterwegs in andere Sphären war, aus diesen herausgerissen und musste der Stimme eines älteren Herren lauschen. Das nächste Mal wieder analoger Jazz.

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*Das wollte ich schon immer mal schreiben.

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Geschrieben von

merdeister

Ein guter Charakter erzieht sich selbst. - Indigokind - Blogtherapeut

merdeister

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