Ungerechtigkeiten der Mediengesellschaft (II)

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Der Perlentaucher hat ein Problem. Der Freitag-Aufruf zum Abzug aus Afghanistan passt ihm nicht. Eigentlich ist das kein Problem. Man kann ja, wie Perlentaucher-Chef Thierry Chervel es getan hat, eine Replik schreiben. Man kann den Aufruf auch ignorieren. Aber beides gleichzeitig geht irgendwie nicht. In der heutigen Feuilleton-Rundschau des Perlentauchers wird aber genau das versucht.

Oben wird eine polemische Intervention von Richard Wagner aus dem Blog Die Achse des Guten gewürdigt als Beitrag zum Streit um den Freitag-Aufruf:

"Richard Wagner interveniert in der Achse des Guten im Streit um den Freitag-Aufruf, aus Afghanistan so schnell wie möglich abzuhauen, und greift einen Satz Jakob Augsteins auf: 'Der Universalismus der Menschenrechte droht unter den Bedingungen des globalen Kapitalismus leicht zum Kultur-Imperialismus zu werden.'"

So weit so gut. Aber weiter unten wird der gleiche Streit lächerlich gemacht, als quasi nicht existierend. Zu einem Beitrag ausder Zeit heißt es:

"'Pazifismus, der darauf abzielt, die eigenen Schäfchen ins Trockene zu bringen, ist ein moralischer Taschenspielertrick', bescheidet Thea Dorn die Intellektuellen, deren Forderung im Freitag nach einem Abzug aus Afghanistan beinahe ohne Reaktion verklungen wäre."

Wir danken Herrn Chervel, dass er den Freitag-Aufruf umgehend mit einem Essay kommentiert hat, damit dieser nicht völlig unbeachtet blieb. Aber mal ernsthaft, was ist das eigentlich für ein Umgang mit streitbaren Beiträgen? Müsste der Perlentaucher nicht an einer lebendigen, offenen, auch hart geführten Debatte interessiert sein?

Ich finde, der Perlentaucher hat wirklich ein Problem. Seit langer Zeit beobachtet man politisch eine Schlagseite. Aus den zahlreichen Blogs kommt an manchen Tagen als einziger nur die, sagen wir mal, nicht gerade linke Achse des Guten zu Wort.

Auch das wäre freilich kein Problem, wenn der Perlentaucher sich nicht selbst primär auch als Dienstleister sehen würde. Er bringt in Selbstverpflichtung einen tägliche Übersicht über das deutschsprachige Feuilleton. Ausdrücklich nennt er das eine "Presseschau". Nicht alles wird in einer solchen Presseschau erwähnt, aber doch alles, was ihm und auch anderen wichtig scheint. Aber wie geht das? Einerseits einen relativ neutralen Überblick geben zu wollen und andererseits in dieser Dienstleistung immer mehr Partei zu sein?

Es geht halt irgendwie. An die schon habituellen Ausfälle gegen die FAZ hat man sich mittlerweile gewöhnt, und dass viele Blogs keine Beachtung finden, nun gut, es gibt zu viele, da muss man schon eine Auswahl treffen...

Im Übrigen gilt: Besser schweigen. Der Perlentaucher hat ja nicht nur ein Problem, sondern auch relativ viel Macht, auch wenn er das gerne bescheiden verneint. Man würde schon ganz gern von ihm erwähnt werden, das sorgt für Verbreitung und Beachtung. Also haben auch wir ein Problem.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Michael Angele

Ressortleiter „Debatte“

Michael Angele, geb. 1964 in der Schweiz, ist promovierter Literaturwissenschaftler. Via FAZ stolperte er mit einem Bein in den Journalismus, mit dem anderen hing er lange noch als akademischer Mitarbeiter in der Uni. Angele war unter anderem Chefredakteur der netzeitung.de und beim Freitag, für den er seit 2010 arbeitet, auch schon vieles: Kulturchef, stellvertretender Chefredakteur, Chefredakteur. Seit Anfang 2020 verantwortet er das neue Debattenressort. Seine Leidenschaft gilt dem Streit, dem Fußball und der Natur, sowohl der menschlichen als auch der natürlichen.

Michael Angele

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