Altern im Kapitalismus

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Wie werden wir im Alter leben? Diese Frage löst bei immer mehr MenschenAngst, Schrecken und Abwehrreflexe aus. In Zeiten, in denen Meldungen über das Ende der sozialen Sicherungssysteme alltäglich und Altersarmut schon längst Realität ist, ist es keinesfalls eine besonders pessimistische Weltsicht, wenn das Leben für alte Menschen in 20 Jahren so definiert wird. Komfortable Alterswohnanlagen am Park für die wenigen Wohlhabenden, Massenunterkünfte mit einer Minimalversorgung für die Massen und für die ganz Unten bleibt eine Notunterkunft im Seniorenobdachlosenasyl.Schon heute häufen sich die Meldungen von Angehörigen, die in Armut gestoßen werden, weil sie ihre alten Angehörigen zu Hause pflegen. Diesen Fragen widmet sich das Braunschweiger Off-Theatergruppe unitedOFFproductions im zweiten Teil ihrer Trilogie zu den Themen Familie, Alter und Tod. Die vier Darsteller Franziska Dick, Katharina Bellena, Mirca Preißler, Stefan Mehren geben im Mittelteil „Trainingscamp - Vorbereitungen auf ein späteres Drama" mehr als 60 Minuten Lektionen in einen klaren Realismus. Schöne Worte und Sonntagsreden über das Altern in Würde werden die Zuschauer dort nicht finden.

Am Ende die selbstbestimmte Selbstentsorgung

„Na, wie geht es uns heute? Heute schon gekackt?“ lautet die Begrüßung des überarbeiteten Pflegers, der angesichts des Zeittaktes ohne große Vorreden zur Sache kommt.

Ein Wellensittich ist dann das letzte Lebewesen, dass dem alten Menschen noch etwas Gesellschaft leistet. Schon steht die Frage im Raum, ob der alte Mensch überhaupt das Recht hat, solange zu leben. Möglichst eigenverantwortlich für das eigene Ableben sorgen, um die Gesellschaft und die eigenen Angehörigen nicht unnötig zu belasten, ist eine Aufgabe, die von den Senioren in einer Gesellschaft erwartet wird, in dem sich alles um Leistung und Profit dreht. Die Alten haben dort nur solange ein Lebensrecht, solange sie ihren Teil zu diesen kapitalistischen Götzen beitragen. Wehe, sie brechen das Trainingsprogramm ab und verweigern sich, den Zumutungen bis zum letzten Atemzug produktiv, kreativ und nützlich zu sein. Dann wird er aus dem Zimmer geschmissen, wie ein alter, zerschlissener Sessel. Den vier Darstellern, die in dem Stück in die verschiedenen Rollen schlüpfen, gelingt es, das Publikum in den Bann zu ziehen, weil sofort der Gedanke kommt, so werden wir also altern. Wenn das Künstlerquartett am Ende versichert, dass doch alles nur ausgedacht war, ist das eher noch eine Bestätigung. Nein, dass ist alles gnadenlos realistisch.

Am Ende der Aufstand der Grauen Panther?

Und die Gegenkräfte. “Empört euch“, heißt es zwischendrin mal in einer kurzen Szene. Wie in der Realität ist der Aufstand der Alten auch in dem Stück höchstens eine entfernte Möglichkeit. Aber das kann sich ja ändern. „Ich stell mir vor, ich bin 85 und ich stehe am Rande der Gesellschaft“, heißt es ziemlich am Anfang. Das kann auch der Rand einer Aktion der Grauen Panther sein, die die Forderung hat. „Ein schönes Leben im Alter für alle, unabhängig vom Geldbeutel und der Rente“. Diese Parole könnte bald öfter zu hören sein. Diesen Eindruck nimmt man beim Verlassen der Spielstätte mit.

Peter Nowak


TRAININGSCAMP - Vorbereitungen auf ein späteres Drama" ist zu sehen vom 13. – 19. Januar im Lot-Theater Braunschweig,

vom 26.- 29. Januar im Theater unterm Dach, Berlin


Mehr Infos:unitedoffproductions.de/trainingscamp.html





Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Peter Nowak

lesender arbeiter

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden